Er betrachtet seine Rosen, untersucht sie präzise auf Schädlinge und zwickt bisweilen eine verwelkte Blume ab. Hinter der Hecke steigen Rauchschwaden in die Luft. Der Nachbar hat Grillwürste aufgelegt. Weiter drüben Kindergekreische. Ein kleines Mädchen hüpft durch eine Wasserfontäne, die sein Vater mit Gartenschlauch und Daumen erzeugt. Die Mutter und ihre Freundin – beide Mitte dreissig – kümmern sich ums Gemüse. Sie ziehen kleine Frühkartoffeln aus der kühlen Erde. Idylle pur an diesem Nachmittag in einem Schrebergarten am Rande von Zürich. Fast schon kitschig.
Namensgeber ist der Leipziger Arzt Moritz Schreber. Angeblich aber nur das, denn Erfinder und Gründer des ersten Schrebervereins war sein Kollege. Für das eingezäunte Stück Land gibt es sehr viele Begriffe: Kleingarten, Schrebergarten, Laube, Heimgarten, Familiengarten (besonders in der Schweiz), Bünt/Pünt/Beunde oder Parzelle. In Deutschland werden Schrebergärtner leicht spöttisch «Laubenpieper» genannt. Anfang des 19. Jahrhunderts dienten sie als Armengärten, um gegen Verarmung und Hunger anzukämpfen. Dann sollten sie die Stadtjugend zu mehr Bewegung anspornen. Aus den «Kinderbeeten» wurden «Familienbeete», die man später parzellierte und umzäunte. Ab da nannte man sie Schrebergärten.
In der Schweiz möchten immer mehr junge Leute einen Schrebergarten pachten. «Auf die freien Plätze rücken vermehrt junge Leute nach. Sie haben das Gärtnern als Hobby entdeckt», sagt Walter Schaffner, Präsident des Schweizer Familiengärtner-Verbands. Das sei eine gute Sache. Denn so lernen sie das Gärtnern und den Umgang mit der Umwelt. «Dass immer mehr junge Familien mit kleinen Kindern kommen, ist gut für die Durchmischung in den Schrebergärten», erklärt Schaffner.
Doch nicht jeder Hobby-Gärtner findet gleich einen Platz – oder eine Parzelle, wie es im Garten-Jargon heisst. Weil Schrebergärten so beliebt sind, gibt es derzeit insbesondere in Städten lange Wartelisten. In Genf harren laut Schaffner derzeit etwa 700 Leute in der Schlange. Auch im hippen Zürcher-Stadtteil Wipkingen gibt es eine sehr lange Warteliste. «2015 haben wir einen richtigen Anmelde-Boom», sagt Rose-Marie Nietlisbach vom Familiengartenverein Zürich Wipkingen. 717 Gärten, 170 auf der Warteliste und 40 bis 50 Wechsel im Jahr. Das heisst: drei bis vier Jahre Wartezeit. Das soll nicht entmutigen, denn einige springen laut Nietlisbach in der Warteschleife wieder ab. «Geduld muss man haben», rät sie.
Auch die 66-Jährige berichtet von den vielen jungen Interessierten. Derzeit hat sie viele Interessenten mit Jahrgang 1980 bis 1985. Singles, junge Paare mit kleinen Kindern oder beste Freundinnen – fast jeden Tag flattern neue Anmeldungen in ihren Briefkasten.
Der 30-jährige Fabian pachtet mit seinem Partner und einem befreundeten Paar seit zwei Jahren einen Schrebergarten. «Wir wohnen alle in einer grossen Stadt-Wohnsiedlung. Wir wollten ein kleines Paradies in der Nähe.» Warum überhaupt einen Schrebergarten? «Wir sind alle vier sehr gerne in der Natur und kochen gerne. Die Idee, das Gemüse, die Tomaten, den Salat aus dem eigenen Garten zu essen, schien uns sehr verlockend. Wir wollten uns mit dem Garten auch einen kleinen Rückzugsraum schaffen», sagt Fabian.
Nietlisbach schätzt den Generationenwechsel: «Die Jungen machen es gut, wir haben Freude an ihnen.» Natürlich gebe es manchmal Diskussionen zwischen den älteren Pächtern, die es traditionell «bützlet und gstrählet» wollen, und den Jüngeren, die auch mal Unkraut stehen liessen. Die Jungen sehen das eben nicht so genau. Sie hätten schliesslich auch nicht so viel Zeit wie die Rentner.
Schaffner hält fest, dass man den Aufwand nicht verkennen sollte. Mit ein-, zweimal alle 14 Tage Vorbeigehen sei es nicht getan. Jedes Hobby brauche Zeit. Und davon hatten Fabian und seine Freunde auch plötzlich zu wenig. «Der Unterhalt des Gartens war eine Riesenarbeit. Wir übernahmen ihn in einem desolaten Zustand und haben sehr viel Herzblut investiert. Kämpften mit viel Wasser, überschwemmten Beeten, Läusen und Schnecken. Nicht immer nur eine Freude.» Und obwohl die selber gemachte Kürbissuppe und die Quitten-Konfi die Mühe wert waren, gaben sie den Garten vor kurzem ab.
Wegen der beruflichen Instabilität, den häufigen Wohnungswechseln oder den knappen Zeitfenstern entscheiden sich viele (erst mal) für «Urban Gardening» auf dem Hausdach oder dem Balkon. Eine Weinkiste mit Blumen und Kräutern lässt sich eben schneller und einfacher zügeln und «bewirtschaften» als ein Garten mit Häuschen.
Doch warum liegt Hobby-Gärtnern plötzlich im Trend und warum haben jetzt alle einen grünen Daumen und wollen eigenes Gemüse? Einerseits ist da die Sehnsucht nach Beständigkeit und Bodenständigkeit. Unser Alltag wird immer hektischer, als Ausgleich suchen wir uns explizit Hobbys, die «erden». Wir lechzen geradezu nach Idylle. Für viele ist der Garten ein Zufluchtsort für Ruhe und Entfaltung. Und in Zeiten, in denen die wenigsten noch körperliche Arbeit verrichten, sondern Stunden vor dem Computer sitzen, möchten sie in ihrer Freizeit etwas mit den Händen schaffen.
Andererseits häufen sich die Lebensmittelskandale und daher unser Misstrauen gegenüber der Industrie. Wir sind sensibilisiert. Noch nie war es uns so wichtig, zu wissen, was auf unseren Tellern landet und unter welchen Umständen es produziert wurde. Gesundheit und Ernährung haben einen immensen Stellenwert. Immer mehr – obwohl teurer – greifen zur heimischen Forelle und kaufen Erdbeeren aus der Region anstatt Früchte mit Tausenden von Flugkilometern auf der Schale. Und so leben auch immer mehr – insbesondere junge Familien und gut verdienende Akademiker – den grünen Trend und züchten ihr eigenes ökologisches Gemüse. So wissen sie ganz genau, woher es kommt, und gewinnen obendrein ein Gefühl für Qualität zurück und eine Extraportion Genuss.
In den 60er-, 70er-Jahren wollten die jungen Menschen die Welt verbessern, heute reicht ihnen die Veränderung im Kleinen. Sie sind Individualisten, denen eigenes Bio-Gemüse als erster Schritt in eine bessere Welt reicht.
Dass Gärtnern guttut, weiss auch die Wissenschaft. Studienergebnisse aus den Niederlanden zeigen, dass Schrebergärtner gesünder und entspannter sind als ihre Nachbarn ohne Garten. Die klassische Erholung im Grünen erfüllt also auch therapeutische Zwecke – ganz abseits des Trends.