Der Frühwarndienst der Gemeinde Albula, zu der das Dorf Brienz/Brinzauls gehört, analysierte gemäss einer Mitteilung der Gemeinde vom Dienstag die Gefahrenlage zusammen mit der Fachgruppe Geologie und Naturgefahren sowie weiteren Geologen. Auf Empfehlung des Gemeindeführungsstabes sei die vorsorgliche Evakuierung angeordnet worden.
Die Gemeinde informierte am Dienstagabend im Livestream:
Die absturzgefährdete Schuttlawine oberhalb des Bündner Bergdorfs Brienz kann nicht gesprengt werden. Dies legten die Behörden den Betroffenen am Dienstagabend dar. Diese müssen sich deshalb ab Sonntag auf eine mehrmonatige Evakuierung einstellen.
Die Brienzerinnen und Brienzer müssen am kommenden Sonntag das Dorf verlassen und möglicherweise bis im nächsten Frühling zuwarten, bis die Steinlawine von selbst abgeht.
Die Stimmung bei den von einer Evakuierung betroffenen Brienzerinnen und Brienzer ist angespannt. Einige von ihnen stellten am Dienstagabend das Vorgehen der Behörden in Frage.
«Ein drittes Mal gehen wir nicht mehr», sagte ein Brienzer vor den Behörden in Tiefencastel GR. Er stellte damit den Entscheid in Frage, dass das Dorf bis Sonntagmittag geräumt sein muss, weil eine Steinlawine abzurutschen droht.
«Ihr geht nicht für uns, ihr geht für euch», hiess es seitens der Behörden. Man habe beim Entscheid stets das Wohlbefinden der Betroffenen ins Zentrum gestellt.
Es sei einfach schlicht zu gefährlich, im Dorf zu bleiben, sagte der Geologe Stefan Schneider. Weil ab nächster Woche ein Wetterumschwung droht, könne mit der Evakuierung nicht länger zugewartet werden.
Das Spendenkonto für die erneut von einer Evakuierung betroffene Bevölkerung von Brienz GR ist ab Mittwoch wieder geöffnet.
«Weshalb kann man nicht einfach sprengen?», fragten verschiedene Brienzerinnen und Brienzer immer wieder. Es sei schlicht nicht machbar, so Andreas Huwiler vom kantonalen Amt für Wald und Naturgefahren.
Dafür müssten zehntausend zehn bis zwanzig Meter tiefe Bohrungen mit 360'000 Kilogramm Sprengstoff gemacht werden. Dies wäre das Dreissigfache der Hiroshima-Bombe. Damit würde vermutlich ein Bergsturz mit verheerendem Ausmass ausgelöst.
Auch Teilbereiche zu sprengen sei zu gefährlich. Damit könnte eine Schuttlawine ausgelöst werden, die das Dorf zerstören würde, erklärte Huwiler weiter. Dennoch habe man vorsorglich mit einer in diesem Bereich spezialisierten Firma Kontakt aufgenommen.
Als Reaktion auf die bevorstehende Evakuierung sicherte die Bündner Regierung am Dienstagmittag zu, die Umsiedlungsplanung weiterhin intensiv voranzutreiben. Bereits am 20. November will die Gemeinde den Betroffenen einen Standort präsentieren, so Gemeindepräsident Albertin im Gespräch mit Keystone-SDA.
Dieser Standort befinde sich ebenfalls im Gemeindegebiet von Albula. Auch im Wissen, dass er nicht bei allen Betroffenen auf Anklang stossen werde, sei es ein Lichtblick. Bei der Präsentation will die Gemeinde zudem auf mit der Umsiedlung zusammenhängende finanzielle Fragen eingehen, versprach Albertin.
Wird Brienz GR nicht umgesiedelt, könnte der Entwässerungsstollen helfen. Der 2,3 Kilometer lange und 40 Millionen Franken teure Stollen unterhalb des Dorfes soll die Landmasse entwässern und so den Druck auf die Rutschungen reduzieren. Er wird aber erst Ende 2027 fertig sein.
Der Bau schreite derweil gut voran, sagten die Behörden am Dienstagabend. Auch während der Evakuierung werde daran weitergearbeitet.
Gemeindevorstand und Gemeindeführungsstab möchten den Betroffenen möglichst viel Zeit für eine Evakuierung geben, hiess es. Die Frist zum Verlassen des Dorfes sei auf 13 Uhr am Sonntagmittag festgelegt worden. Bis dahin müssen auch sämtliche Tiere weggebracht werden.
Aus Sicherheitsgründen gilt für das Dorf Brienz/Brinzauls ab sofort ein Betretungsverbot. Die Zufahrtsstrassen zur Ortschaft sind gemäss der Mitteilung gesperrt. Einzig Bewohnerinnen und Bewohner sowie Besitzerinnen und Besitzer von Zweitwohnungen, die Gebäude evakuieren, hätten Zutritt.
Als Reaktion auf die bevorstehende Evakuierung sicherte die Regierung des Kantons Graubünden der Ortschaft Brienz/Brinzauls eine Soforthilfe von einer halben Million Franken zu. Dieser Beitrag soll gemäss einer Mitteilung der Regierung unter anderem helfen, ungedeckte Umzugs- und Mietkosten zu decken. Über die Verteilung entscheide die Gemeinde Albula in Koordination mit der Spendenkommission.
Bereits früher ist für die Betroffenen ein Fonds mit mehreren Millionen Franken eingerichtet worden. Dieser soll Schäden an Häusern decken, die entstanden sind, weil das gesamte Dorf derzeit 2,4 Meter pro Jahr talwärts rutscht. Dieses Geld fliesse allerdings erst, wenn das Dorf nicht mehr als zehn Zentimeter pro Jahr rutsche, hatte ein Vertreter der kantonalen Gebäudeversicherung in den vergangenen Tagen der Nachrichtenagentur Keystone-SDA erklärt.
Die Bevölkerung des bedrohten Bergdorfes war bereits am Samstagabend an einem Informationsanlass über die mögliche und mittlerweile beschlossene Evakuierung informiert worden.
Während dieser Veranstaltung hatte Albulas Gemeindepräsident Daniel Albertin auch auf den laufenden Bau eines 2,3 Kilometer langen und 40 Millionen Franken teuren Entwässerungsstollens unterhalb des Dorfes verwiesen. Dieser soll die Landmasse entwässern und so den Druck auf die Rutschungen reduzieren. Der Stollen soll Ende 2027 fertig sein.
Die rund 80 Bewohner von Brienz/Brinzauls mussten ihre Häuser bereits im Mai 2023 verlassen, weil sich Geröll und Gestein oberhalb des Dorfes so stark bewegten, dass die Behörden einen grösseren Felssturz oder Schuttstrom befürchteten, der das ganze Dorf hätte fortreissen können.
Der Schuttstrom kam schliesslich in der Nacht zum 16. Juni 2023. Riesige Gesteinsmengen schossen den Hang hinab, begruben eine Strasse und Wiesen meterhoch unter Schutt und kamen wenige Meter vor dem Ort zum Stillstand. Anfang Juli 2023 konnten die Brienzerinnen und Brienzer nach rund eineinhalb Monaten in ihre Häuser zurückkehren. (sda)