Als ich nach dem Aufwachen ein leichtes Kratzen im Hals spürte, machte sich ein ungutes Gefühl in meiner Magengegend breit. Bereits gestern, Samstag, hatte ich Fieber und Gliederschmerzen. Symptome also, die gut zum Corona-Virus passen.
Auf Rat meiner Freundin rief ich auf der Notfallstation an, um meine Situation zu klären. Nach dem vierten Telefon mit Ärzten oder einer Hotline (wovon mir drei von einem Corona-Test abrieten!), entschied ich, mich im Unispital testen zu lassen. Ich zweifelte zwar am Entschluss, da ich mich nicht wirklich krank fühlte und auch keine Lust auf das Spital hatte.
Da wir kein Bus und Tram benutzen durften, fuhren meine Freundin und ich mit dem Velo in die Notaufnahme des Unispitals, wo der Test durchgeführt werden sollte. Im Spital angekommen, musste sie mich verlassen und ich war auf mich alleine gestellt. Ich bekam eine Maske, die ich prompt falsch herum aufsetzte, und wurde in den Isolationstrakt («Kontaminierte Zone») geführt. Das ganze Personal trug Schutzkleidung, was mich fühlen liess, als wäre ich in einen Zombie-Apokalypsen-Film geraten. Ein Arzt rief mich auf, ich wurde in den Testraum geführt. Er fragte mich, weshalb ich gekommen sei, worauf ich ihm meine Geschichte erzählte. Von der Mitbewohnerin in Genf (, wo ich studiere), die in Mailand war und mit verdächtigen Symptomen zurückgekehrt war. Von der Hotline des BAG, die ihr trotz klaren Indizien von einem Test abgeraten hatte. Von meiner Freundin und ihrer Mitbewohnerin, die in Basel Medizin studieren und nächste Woche im Spital arbeiten werden. Von meinen Symptomen seit Freitagabend.
Der Arzt meinte darauf, ich könne selber entscheiden, ob ich mich testen lassen wolle; es würde eh keinen grossen Unterschied machen, der Virus sei «nicht mehr aufhaltbar». Ein Optimist war er also nicht gerade, der nette Herr Doktor. Aber insgeheim dachte ich mir, dass er wahrscheinlich recht hatte.
Der Test selber war schnell erledigt, wenn auch unangenehm für die Nasenschleimhaut. Der Abstrich musste anscheinend aus den tiefen meiner Nasenhöhle genommen werden. Danach ging ich nach Hause, worauf das grosse Warten losging. Da wir uns seit Samstagabend in selbstverordnteter Quarantäne befanden, waren wir mit der Situation schon einigermassen vertraut.
Das Problem, dass wir kein Essen mehr hatten, konnten wir dank der Mithilfe einer Freundin überbrücken, die uns eine Notlieferung vor die Tür brachte. Als Dankeschön gab es keine Umarmung, nur ein Winken aus sicherer Entfernung.
Der Tag fing nicht gut an. Lagerkoller machte sich bei mir bemerkbar. Wir sind schliesslich schon seit Freitagabend zuhause geblieben. Um die Zeit zu vertreiben, haben wir für die Uni gearbeitet und Netflix näher kennen gelernt. Beim Mittagessen waren wir optimistisch, dass der Spuk bald vorbei sein werde. Wir rechneten uns aus, wie klein die Wahrscheinlichkeit war, dass es ausgerechnet mich getroffen hat. Wie haben wir uns getäuscht!
Am Nachmittag kam ein Anruf, der ersehnte Anruf der Kantonsärztin. Ziemlich schnell kam sie auf den Punkt: «Leider muss ich ihnen mitteilen, dass sie positiv getestet wurden». Wumms! Ich versuchte mich zu erinnern, dass das Virus für mich nicht schlimmer sei als eine normale Grippe ist. Dennoch fühlte es sich in diesem Moment viel dramatischer an.
Ich fragte sie, was dies für mich und uns bedeuten würde. Ihre Antwort: «Für sie drei Wochen Quarantäne im Spital» und «für ihre Freunde zwei Wochen Quarantäne zu Hause.» Hammer! Ab jetzt fühlte sich alles Surreal an. Darauf noch ihr Hinweis, dass die Ambulanz in einer Stunde käme und ich meine Sachen packen soll. Was packt man für drei Woche Spital? Keine Ahnung, Hauptsache mein Handy und mein I-Pad sind dabei, den Rest kann mir ja jemand bringen. Während der Wartezeit habe ich angefangen zu realisieren, welche Konsequenzen nun folgen werden.
Alle Personen, mit denen ich die letzten Tage engeren Kontakt hatte, sind Risikopatienten und müssen auch in Quarantäne. Zum guten Glück habe ich am Sonntag nicht noch meine Familie (inkl. Ü-90 Grosseltern) besucht, dachte ich. Ich informierte per Gruppenchat meine Freunde in Genf. Die Reaktionen waren erst Ungläubigkeit, dann Panik. Am Ende blieben die Fragen nach der eigenen Gesundheit. Vorläufig wurden alle Menschen, mit denen ich engeren Kontakt hatte, von der Basler Kantonsärztin informiert und unter Quarantäne gestellt. Eine Mitbewohnerin wurde sogar aus Dänemark zurückbeordert, wo sie in den Ferien war. Später meldete sich der Arzt des jeweiligen Heimatkantons bei allen. Dabei zeigte sich wieder der «Kantönligeist», die verordneten Massnahmen variierten je nach Kanton.
Um halb fünf Uhr fuhr die Ambulanz vor. Ich hörte das bedrohliche Rascheln eines Menschen, der in Schutzanzug das Treppenhaus hochstieg. Ich musste schlucken; das Ganze war kein Scherz. Ich bin nun tatsächlich einer der ersten Patienten in der Schweiz mit diesem neuartigen Virus. In diesem Moment kam die Nachbarin nach Hause. Ihr Blick war angsterfüllt und ihre Frage, ob «wir nun auch alle krank werden», zeigt, wie gross die Verunsicherung ist.
Das Ambulanzauto war völlig isoliert, genauso der Fahrer wie die Krankenschwester, die sich um mich kümmern sollte. Wir scherzten, sie habe sicher auch schon schlimmere Fälle wie mich mit der Ambulanz abholen müssen. Abgesehen vom Schock sah ich nämlich nicht wirklich krank aus. Im Spital angekommen wurden verschiedene Tests an mir durchgeführt; meine Lungen, mein Herz, mein Blut und so weiter. Alles musste gecheckt werden.
Dann wurde ich in mein Zimmer geführt, das in der eigens dafür eingerichteten «Corona-Etage» liegt. Auch hier trugen alle Schutzkleidung. Keine einladende Atmosphäre. Dann kam ein Arzt und erklärte mir, was mir schon vorher schwante; ich dürfe nämlich keinen Besuch empfangen, während ich im Isolationszimmer weile. Ich musste mich auf langweilige Tage vorbereiten!
Doch für den Moment noch keine Spur von Langeweile. Ich fühlte mich eher wie in einem Krimi oder einem Film. Mein Telefon lief heiss, am anderen Ende meistens Ärzte oder Personen vom BAG. Am Abend hat mich zum Beispiel ein Arzt von der Uni Genf angerufen, um mich zu fragen, mit wem ich in den Tagen vor dem Auftreten von Symptpomen alles Kontakt hatte. Keine einfache Aufgabe, da ich meistens nicht mal mehr weiss, was ich am Mittag gegessen habe. Ausserdem wollte er wissen, wann ich an der Uni war, in welchen Säälen ich Vorlesungen besucht habe und wer neben mir gesessen hatte. Zusätzlich musste ich noch angeben, wo und mit wem ich in Genf zusammen wohne. Eine Liste, die lange klein ist, da ich in einer WG mit zehn Zimmern wohnhaft bin. Auch sie werden alle in Quarantäne bleiben müssen, hiess es.
Inzwischen hatte sich das Gerücht an der Uni selber herumgesprochen. Ich war das Thema in sämtlichen Whatsapp Gruppenchats. Endlich berühmt! Aber eigentlich fühlte es sich sehr merkwürdig an, wie alle über mich geredet haben. Bald war mein Fall auch in den Zeitungen. Dort habe ich entnommen, dass ich es im Kanton Basel zumindest tatsächlich noch aufs Podest geschafft habe. Ich wurde nämlich Dritter im umkämpften Rennen um das Virus. Amüsant war, dass in den Westschweizer Medien völlig falsche Informationen über mich kursierten. Dort war plötzlich von einer kanadischen Studentin die Rede. Immerhin wussten sie, dass ich in Basel hospitalisiert bin.
Als sich der erste Sturm gelegt hatte, war ich plötzlich ganz alleine in meinem Isolationszimmer. Gespenstisch, alleine, eingesperrt und auch ein wenig angsteinflössend.
In diesem Moment habe ich mich klaustrophobisch gefühlt, denn ich wusste: Selbst wenn ich raus wollte, der Sicherheitsmitarbeiter vor der Türe würde mich nicht lassen. Ein sehr, sehr belastendes und neuartiges Gefühl. Und trotzdem wahrscheinlich nur ein kleiner Einblick, wie es sich in Isolationshaft anfühlen muss.
Am nächsten Morgen sah die Situation schon viel freundlicher aus. Das Zimmer war überraschend gross und hatte riesige Fenster. Der Tag fing früh an, ich wurde von der Pflege geweckt. Da ich während der Nacht nicht wirklich geschlafen habe, fühlte ich mich ziemlich müde. Schon bald wurde mir das Frühstück gebracht, Gipfeli mit Nutella. Dann die übliche Visite des Arztes, der meine Frage nach meinem Austrittsdatum nicht beantworten konnte. Am Mittag brachte mir meine Mutter Kleider, Früchte und eine Gymnastikmatte; schliesslich soll das Virus mich nicht davon abhalten, meine Form zu behalten.
Das Mittagessen, Älplermakkaroni mit Apfelmus, war gut. In Zeiten des Corona-Viruses scheint niemand mehr an Umweltschutz zu denken. Denn ich musste Einweg-Plastikgeschirr benutzen, das ich direkt nach dem Essen entsorgen soll. Am Nachmittag beschloss ich, für die Uni zu arbeiten. Ein schwieriges Unterfangen, denn immer wieder riefen mich Leute an. Freunde, die wissen wollten, wie es geht. Aber auch Ärzte und Personen vom Bund, die nachvollziehen versuchen, woher das Virus kam und an wen ich es weitergegeben haben könnte.
Am Nachmittag brachte mir mein Grossvater Äpfel, auf ihn ist auch mit 93 Jahren immer verlass. Er durfte natürlich nicht zu mir ins Zimmer, die Äpfel wurden mir von einem Pfleger weitergegeben.
Am späten Nachmittag habe ich von meiner Freundin und ihrer Mitbewohnerin erfahren, dass sie beide negativ getestet wurden. Eine riesige Überraschung, da ich das ganze Wochenende mit ihnen verbracht hatte und mit meiner Freundin im selben Bett geschlafen habe.
Als Medizinstudentinnen wussten sie aber, dass dies noch kein Grund zur definitiven Beruhigung war. Denn möglicherweise war das Virus zu diesem Zeitpunkt noch nicht nachweisbar. Seltsam war es trotzdem, da beide bereits Symptome hatten.
Am Abend habe ich mit den beiden telefoniert, um zu ihrem negativen Test-Ergebnis zu Gratulieren. Auch irgendwie ironisch! Gleichzeitig waren wir noch mit einem Freund verbunden, der in Island in Quarantäne sass, da er auch als Risikopatient galt.
Nun begann ich mir Gedanken zu machen, inwiefern ich mich für das Schicksal all jener Menschen verantwortlich fühlen musste, deren Leben nun derart eingeschränkt wurde. Auf der einen Seite wusste ich, dass ich keine Schuld an meiner Infektion hatte. Ich hatte mich an die Allgemeinen Ratschläge des Bundes gehalten, regelmässig die Hände gewaschen. Andererseits war es dennoch ein sehr komisches Gefühl, dass wegen mir jetzt so viele Menschen zu Hause bleiben müssen. Ich habe mich ja selber erwischt, wie ich sauer auf Menschen wurde, die mir das Virus möglicherweise übertragen hatten. Ich wusste nicht, ob andere Leute auch so über mich urteilten werden.
Später ass ich mit der WG in Basel über Skype das Nachtessen. Ich fühlte mich dabei einsam in meinem Isolationszimmer. Am Abend schaute ich noch ein Fussballspiel im Fernsehen, Bayern gewann Eins zu Null gegen Schalke. Dabei ist mir aufgefallen, dass unsere deutschen Nachbarn offenbar noch nicht im selben Masse vom Virus betroffen sind. Das Spiel konnte vor 50000 Zuschauern ganz normal stattfinden.
Früh wurde ich von der Pflege geweckt. Ich hatte das Gefühl, der Pfleger wollte so schnell wie möglich wieder aus dem Zimmer, so eilig wie er es mit dem Bettwäsche wechseln hatte. Wer kann es ihm verübeln? Am frühen Morgen kam der Chefarzt, um mir Mut zuzusprechen. Im Hintergrund seien sie daran, Lösungen für Fälle wie mich zu suchen, damit wir nicht länger im Isolationsraum bleiben müssten. Eine Möglichkeit wäre es, uns in ein Hotelzimmer zu transferieren. Ich habe mir gedacht, dass das Trois Rois ganz in der Nähe liegt. Wenn schon, denn schon!
Das Mittagessen war gut, doch ich hatte noch Hunger. Deswegen habe ich eine zweite Portion bestellt. Darauf fiel mir auf, wie nett sich das ganze Pflegepersonal, wie auch der zuständige Doktor sich um mich kümmerten. Auf eine Art und Weise war ich schon wie in einem Hotelzimmer. Ich konnte Essen bestellen, wie es mir gelüstete. Ich dachte an die Leute in ärmeren Ländern, wo sie es den Spitälern wahrscheinlich viel schlimmer haben und war für einen Moment mit meiner Situation nicht mehr so unzufrieden.
In meinem Zimmer hat es eine Tafel, auf der üblicherweise die wichtigsten Informationen für den Patienten angeschrieben sind. Unter anderem steht da auch eine Zeile, auf der das Austrittsdatum eingetragen werden sollte. Bei mir stand keines. Dies hat mich traurig gestimmt. Deswegen habe ich selber eines draufgeschrieben: den 10.3.2020, also eine Woche nach meinem Eintritt. Muss doch machbar sein!
Am Nachmittag hat ein Freund angerufen, wir haben lange telefoniert. Wieder wurde aus meinen Plänen, für die Uni ganz viel zu arbeiten, nicht wirklich viel. Da hat man den ganzen Tag Zeit, und trotzdem habe ich das Gefühl, sie vergeht im Fluge. Unglaublich eigentlich!
Später wurde es noch einmal spannend, denn der Arzt aus Genf hat angerufen. Meine Mitbewohnerin, die in Mailand war und von der ich dachte, sie habe mich angesteckt, war negativ getestet worden. Das hiess, dass die Behörden im Dunkeln tappen bezüglich meiner Ansteckung. Dies werde sich laut dem Arzt in den nächsten Wochen noch verschlimmern, bis irgendwann keine Chance auf eine Rückverfolgung bestehe.
Später am Abend musste ich die Trombosespritze über mich ergehen lassen. Sehr unangenehm! Dabei habe ich ja extra meine Gymnastikmatte!
Gegen 21.00 Uhr habe ich noch mit der Genfer WG telefoniert. Ihnen scheint es gut zu gehen. So wie es aussieht, ist die Quarantänesituation immerhin für die Liebe förderlich… Denn wer zwei Wochen in der gleichen Wohnung aufeinander sitzt, muss sich ja auch irgendwie beschäftigen.
Am Morgen habe ich erfahren, dass ich aufgrund der steigenden Anzahl an Erkrankten bald einen Zimmerpartner erhalten werde. Ich war nicht begeistert von dieser Information, da ich im Internet von Mehrfachansteckungen gelesen habe. Dies habe ich dem Arzt dann auch mitgeteilt, doch er konnte mich beruhigen. Der in den Medien kursierende Fall einer japanischen Frau, die sich angeblich mehrfach angesteckt hatte, wäre ein Einzelfall. Sehr wahrscheinlich habe sich beim Test ein Fehler eingeschlichen. Denn bei jeglichen uns bekannten Viren sei eine direkte Wiederansteckung nach kurzer Zeit nicht möglich, da sich der Körper voll im Kampfmodus gegen das Virus befinde. Und auch nach Recherche im Internet bestätigte sich die Aussage des Arztes. Ich konnte auch keine weiteren Fälle von einer Mehrfachansteckung finden.
Dann bleibt da aber noch die Sache mit dem Platz. Ein Grund, weshalb mir das Dach noch nicht auf den Kopf gefallen ist, war, dass ich ein grosses Zimmer habe. Dies würde sich mit einem Mitbewohner auf jeden Fall ändern. Dann würde es enger werden in meinem Isolationszimmer. Ich nahm mir vor, es zu geniessen, solange ich noch alleine war.
Am Nachmittag bekam ich eine zweite Lieferung aus der Aussenwelt. Mein Vater brachte mir Käse, Fruchtsaft und Brot. Auch er durfte mich natürlich nicht besuchen, wieder wurde mir das Paket von einem Pfleger gebracht.
Teil 2 erscheint morgen (11. März). (aargauerzeitung.ch)
Klasse geschrieben.