Peter Roschi hält seinen Arm in den Regen und zeigt in Richtung Kreuzung. «Dort, unter der Brücke fliesst die Emme. Sie trennt Rüegsau von Hasle. Ich bin von drüben, ich habe hier nichts zu sagen.» Der 75-jährige Roschi war nicht dabei, als die Hasler vergangenen Sonntag Ja sagten zum kantonalen Asylzentrum im Gemeindeteil Schafhausen i.E. und der Name des Dorfes ein zweites Mal weit über die Molassehügel des Berner Mittellandes getragen wurde. «Das hat niemand von dieser SVP-Gemeinde erwartet», sagt Roschi, und reisst seine kleinen Augen auf.
Beim ersten Mal war es Oktober 2014 und die Schafhauser waren wütend. Man hatte das 300-Seelen-Dorf vor eine vollendete Tatsache gestellt: Bald würden 130 Asylsuchende ins leerstehende Schulhaus ziehen. 15 Nationen. Der Vertrag mit dem Kanton war unterschrieben, die neue Küche schon geplant. Das sei nicht tragbar, sagten die Schafhauser, hoben ein Komitee aus der Taufe, gründeten eine Facebook-Gruppe und stellten Transparente auf.
Doch zu machen war nichts mehr, die Asylsuchenden zogen ein. Und um Schafhausen wurde es still. Keine Proteste, keine Hasstiraden. Das Komitee hatte zwar nichts verhindern können, aber eine Änderung im Gemeindereglement erwirkt: Entscheide, die das Asylzentrum betreffen, werden künftig von den Bürgern und Bürgerinnen gefällt. 3300 Stimmen. SVP-Wähleranteil 41 Prozent. Der Gemeinderat sollte nicht noch einmal über den Kopf der Schafhauser entscheiden.
Und dann war es soweit, nach eineinhalb Jahren, vergangenen Sonntag, gingen die Hasler an die Urnen, um über die Vertragsverlängerung für das Durchgangszentrum zu entscheiden. 1100 sagten Ja, nur 329 waren dagegen. «Diese SVP-Gemeinde liebt Flüchtlinge!» jubelte der «Blick» am Dienstag darauf. Der politische Umbruch zeige sich vielleicht gar nicht in den Städten, sondern zum Beispiel hier, im tiefen Emmental.
Im gelben Giebelhaus der Bäckerei Meier, gleich an der grossen Kreuzung, wird schon den ganzen Morgen Kaffee getrunken. «Die Abstimmung? Man hat's schon auch als Auswärtige mitbekommen, ja. Aber gross Thema ist das hier gar nicht», sagt die Bedienung. Zwei ältere Frauen zucken die Schultern. So recht was dazu sagen mag hier eigentlich gar niemand. «S'isch wie's isch», sagen sie und beissen in ihre Osterkuchen. Von politischem Umbruch will niemand etwas wissen.
«Es ist ruhig im Dorf», sagt Walter Scheidegger*, Gemeindepräsident, SVP-Mann, und gerade nicht in seinem Büro über dem Hasler Bahnhof. «Es waren viele Ängste da, aber jetzt wo diese Menschen seit eineinhalb Jahren hier leben, finden's die meisten in Ordnung», erzählt er. Offenbar habe der Gemeinderat nicht so falsch gelegen mit dem Entscheid damals. Und dieses Mal hätten sie auch deutlich machen können, dass die Gemeinde finanziell profitiert. «Man muss erwähnen, dass es nicht immer einfach ist», sagt Scheidegger. «Aber es geht schon.»
Ist die Angst weg, kaum ist das Fremde nah? Ein älterer Hasler, der sich eigentlich gar nicht äussern will, bleibt dann doch an der grossen Kreuzung stehen. «Wissen Sie, was die dort oben machen? Die halten die Zugtüre auf bis alle eingestiegen sind! Und wenn der dann endlich abfahren kann, hat er schon Verspätung in Hasle! Und abends können die Kinder nicht mehr allein raus!» Ein Schwarzer läuft über den Fussgängerstreifen. Er fällt dem alten Hasler nicht auf.
Schafhausen liegt fünf Autominuten von der belebten Kreuzung in Hasle entfernt, emmeaufwärts, an Migros und Denner und brachen Äckern vorbei. Das Dorf wirkt ausgestorben, der Zug aus Burgdorf rattert durch. Halt nur auf Verlangen. Manchmal steigen Asylbewerber ein oder aus, laufen schnurstracks zum alten Schulhaus, das nur 100 Meter vom Bahnhof entfernt ein bisschen ausserhalb des Dorfes steht.
Wer Schafhauser sucht, muss im Gasthof Rössli nachfragen. Das mächtige Riegelhaus ist nicht zu verfehlen; ein schwarzes Pferd thront über der Tür.
Drinnen sind die Decken tief und die Meinungen gemacht. «Die Hasler haben Ja zum Asylzentrum gesagt, aber wir hier in Schafhausen müssen damit leben», sagt die Wirtin, wirft ein Handtuch über die Schulter und stemmt eine Faust in die Hüfte. Sie ist unzufrieden. Sie war es damals und sie ist es heute auch. «Die Schafhauser haben sicher nicht zugestimmt, das waren die anderen, die weit weg wohnen», sagt sie. «Wir wollen das nicht!»
Zwei Asylbewerberinnen laufen am Rössli vorbei. Sie halten inne und strahlen. Von der Abstimmung wissen sie nichts. Aber sie sind froh, können sie bleiben. «Es ist schön hier. Nur leider treffen wir nie jemanden im Dorf», sagen sie, überqueren die Gleise und joggen los.
Es gibt sie, die Menschen aus Hasle, die es gut finden und die das Ja zum Asylzentrum als Zeichen der Menschlichkeit sehen. Es gibt aber auch Menschen wie die im Rössli, die damals schon dagegen waren und es auch jetzt noch sind. Und es gibt die Hasler, die einfach froh sind, bleiben die Steuern tief dank den 250'000 Franken vom Kanton, und die nichts dagegen haben, weil ja auch eineinhalb Jahre nichts passiert ist.
«Es ist nichts Schlimmes vorgefallen, dann kann man das akzeptieren», sagt Rolf Kohler, der in Schafhausen in der Nähe der Gleise wohnt. Kohler sammelte damals Unterschriften, damit die Hasler künftig mitentscheiden können. «Seit den Protesten hat sich die humanitäre Lage stark verändert, die Flüchtlingsproblematik ist dringender und präsenter», meint Kohler. Es könne schon gut sein, dass das mitgespielt habe beim Entscheid.
Vor allem aber habe sich die finanzielle Lage der Gemeinde verändert. Sie ist auf das Geld angewiesen, will sie nicht die Steuern erhöhen. «S'isch gäng wie's isch», sagt Kohler. «Das Portemonnaie ist dem Schweizer halt immer am nächsten.»
Update:
In einer früheren Fassung dieser Reportage hiess der Gemeindepräsident von Hasle fälschlicherweise Christian. Wir bitten um Entschuldigung für die Unachtsamkeit.
Typisch schweizerisch..... Hauptsache im Portemonnaie stimmt's .....
Schöner Text, leider strotzt er vor Fehlern.
Hasle ist mitnichten hinterstes Emmental, dafür hätten Sie noch eine Stunde emmeaufwärts fahren müssen. Eggiwil, Schangnau...
Schafhausen liegt auch "emmeaufwärts", sondern an einem Seitenbach, dem Biglenbach.
Und der Gemeindepräsident heisst Walter Scheidegger, nicht Christian.
Zeigt halt, dass Sie nicht sorgfältig waren.
Und ja, die Landeier sind pragmatisch, wie alle Schweizer. Sie schätzen es einfach nicht, wenn über ihre Köpfe entschieden wird. That's it.