Vergessen Sie die Bundesratswahlen, freuen Sie sich auf die Kanzlerwahl! Diese verspricht mindestens so viel Spannung wie die Wahl des Nachfolgers von SP-Bundesrat Alain Berset. Vor acht Jahren landete Walter Thurnherr einen Start-Ziel-Sieg. Der Mitte-Mann war derart unbestritten, dass er konkurrenzlos zur Wahl antrat.
Dieses Jahr präsentiert sich die Ausgangslage anders. Das hat auch mit dem volatileren Parteiengefüge und den Bundesratswahlen zu tun. Die Zauberformel ist umstritten – was auf die Kanzlerwahl abfärbt.
Thurnherr bezeichnet sich als obersten Beamten, andere sehen im Amt einen heimlichen Bundesrat – die Wahrheit liegt dazwischen: Der Bundeskanzler ist Verwaltungsbeamter und Politiker in einem. Er plant mit dem Bundespräsidenten die Bundesratssitzungen, er ist Herausgeber des Abstimmungsbüchleins – und er gilt als Hüter der Institutionen, der darauf achtet, dass die Bundesräte sich im Eifer des Gefechts stets an die geltenden Abläufe halten. In der Bundesratssitzung darf er Anträge formulieren, er darf Mitberichte verfassen – nur abstimmen darf er nicht.
Vier Kandidierende bewerben sich für den Posten. Die SVP, grösste Partei des Landes, konnte noch nie einen Bundeskanzler stellen. Ihren Anspruch unterstreicht sie mit zwei Kandidierenden. Hinzu kommen ein Mann der GLP sowie ein Parteiloser. Noch ist kein Kronfavorit ersichtlich.
Gabriel Lüchinger: Der 46-Jährige ist derzeit Chefbeamter im Aussendepartement von FDP-Bundesrat Ignazio Cassis. Der Diplomat war zuvor persönlicher Mitarbeiter von SVP-Wirtschaftsminister Guy Parmelin. Sein grösstes Handicap ist, dass Lüchinger als Parteisoldat gilt. Denn zwischen 2016 und 2018 war er Generalsekretär der SVP Schweiz. Bei SP und Grünen gilt Lüchinger deshalb als unwählbar.
Nathalie Goumaz: Auch die zweite Kandidatin der SVP hat einen starken Bezug zu Guy Parmelin. Die Freiburgerin ist seine Generalsekretärin. Sie hat eine lange Karriere in der Bundesverwaltung hinter sich und arbeitete schon für mehrere Bundesräte aus allen bürgerlichen Parteien. Goumaz gilt als weniger parteipolitisch als Lüchinger. Doch hat sie in den Hearings weniger überzeugt. Ein einflussreicher Politiker sagt, ihr fehle das «Feu sacré». Er zweifle, dass Goumaz den Job wirklich wolle.
Viktor Rossi: Die Grünliberalen sind weit von einem Bundesratssitz entfernt. Insofern ist der Job des Bundeskanzlers ein gutes Einfallstor, um näher an der Landesregierung zu sein. Sie treten mit Viktor Rossi zur Wahl an. Der 55-Jährige arbeitet sei 13 Jahren in der Bundesverwaltung, die letzten vier davon als Vizebundeskanzler. Politisch heiss diskutiert wird die Frage, ob der Bundeskanzler aus einer Bundesratspartei kommen muss. Diese Stimmen dominieren im bürgerlichen Lager: Man will nicht, dass mehr Parteien am Bundesratstisch Platz nehmen. Dieses Argument wird allerdings dadurch etwas abgeschwächt, dass Rossi als Vizebundeskanzler ohnehin bereits an jeder Bundesratssitzung teilnimmt.
Lukas Gresch: Der Generalsekretär im Innendepartement von Alain Berset hat seinen Hut zuletzt und sehr kurzfristig in den Ring geworfen. Gresch ist parteilos – das kommt vor allem bei Mitte-Rechts schlecht an. Die Mitte-Partei hat Gresch nicht einmal zum Hearing eingeladen. Fraktionschef Philipp Bregy sagt, es sei Aufgabe der Fraktionen, die Personen für die höchsten politischen Ämter vorzuschlagen. Denn wer vorschlage, trage auch eine Verantwortung. Auch sein Parteikollege, Bauernpräsident Markus Ritter, sagt, ein Bundeskanzler müsse in der Bundesversammlung breit abgestützt sein. Das spricht gegen Gresch.
Die SP hat Gresch für morgen Dienstag noch zum Hearing eingeladen. Die Mitte hört sich GLP-Kandidat Rossi ebenfalls erst am Dienstag an. Es bleibt also noch Zeit für Meinungsbildung und Absprachen.
Stand jetzt wollen die Linken um jeden Preis SVP-Mann Lüchinger verhindern und tendieren zu Rossi und Gresch. Rossi kann auf die Unterstützung der GLP zählen und wird auch aus der Mitte Stimmen machen. Vorerst sieht es danach aus, dass Rossi im linken Parteispektrum einen leichten Vorteil hat.
Rechts wiederum ist Lüchinger vorne. Er ist der Mann der SVP-Fraktion. Und auch die FDP könnte sich wohl für Lüchinger erwärmen, falls die SVPler bei den Bundesratswahlen brav für die freisinnigen Bundesräte Ignazio Cassis und Karin Keller-Sutter stimmen. Ein Gegengeschäft.
Bleibt die Frage, wohin die Mitte tendiert. Dazu gibt es verschiedene Antworten. Der Pol um Bauernchef Ritter hat Präferenzen für Lüchinger. Parteipräsident Gerhard Pfister wiederum tendiere zu Rossi. Mit dessen Wahl könnte die Mitte-Partei die GLP stärker an sich binden.
Immerhin: Bundeskanzlerin Goumaz hätte auch für die SVP zwei Vorteile. Sie ist eine Romande und eine Frau. Das würde der Partei beim Rücktritt von Guy Parmelin Spielräume eröffnen. Der Druck würde erheblich sinken, Parmelin durch eine Frau aus der Westschweiz zu ersetzen. (aargauerzeitung.ch)
Gibt echt keine unschweizerischere Partei als die.