Das VBS räumt in seiner Mitteilung ein, dass Aussagen von Ueli Maurer im «Weltwoche»-Interview gegen das Kollegialitätsprinzip verstossen haben. Was halten Sie davon?
Oswald Sigg: Maurers Aussagen sind pointiert, aber ich sehe nichts, was er nicht hätte sagen dürfen. Ich bin keineswegs mit allem einverstanden. Aber seine Aussagen zur – konservativ verstandenen – Neutralität sind nachvollziehbar. Mir gefällt etwa seine Forderung, man müsse die Nerven haben, auch einmal nichts zu tun, wenn die Ereignisse sich überschlagen. Nichts tun – das kann gar nicht gegen das Kollegialprinzip verstossen.
Immerhin kritisiert er Bundespräsident Didier Burkhalter dafür, dass er Botschafter Tim Guldimann als OSZE-Vermittler eingesetzt hat, ohne die Kollegen zu informieren.
Maurer kritisiert weniger Burkhalter als die Art und Weise, das formelle Vorgehen. Er vermutet nur, dass Guldimann durch den Gesamtbundesrat vielleicht gar nicht gewählt worden wäre.
Man hat den Eindruck, Maurers Kritik sei beispiellos.
Auch früher gab es Bundesräte, die sich offen und kritisch über die Gesamtregierung geäussert haben.
Sie denken vielleicht an Christoph Blocher, den Sie während Ihrer Zeit als Vizekanzler erlebt haben.
Blocher ist vermutlich das Vorbild von Ueli Maurer. Aber ich stehe dem Kollegialitätsprinzip als Massstab für Interviews von Bundesräten ohnehin kritisch gegenüber. So können sie ja gar nichts Interessantes mehr sagen.
Was halten Sie von der Stellungnahme des VBS?
Ich finde es seltsam, dass sich das Departement nachträglich entschuldigt. Diese Entschuldigung ist für mich das eigentliche Problem, nicht das Interview. Ich frage mich, ob Ueli Maurer das Mea Culpa überhaupt selbst veranlasst hat.
Angeblich hat Maurer nachträglich ein schlechtes Gewissen bekommen und bereits am Mittwoch mit Didier Burkhalter telefoniert.
Das hat vielleicht mit den dummen Fragen der «Weltwoche» zu tun. Ich verstehe, dass ein Bundesrat bei solch angeblich dringlichen Interviews ein schlechtes Gefühl bekommt. Es fragt sich auch, ob Maurer die Antworten persönlich gegenlesen und korrigieren konnte. Vielleicht hat das nicht stattgefunden, darum ist von einem «sehr kurzfristig anberaumten Gespräch» die Rede. Eine hilflose Formulierung.
Sind die Reaktionen von Maurer und dem VBS eine Folge der heutigen Tendenz zur medialen Skandalisierung? Man getraut sich nicht mehr, negativ aufzufallen?
Das ist möglich, aber ich bleibe dabei: Wirklich komisch ist die Entschuldigung. Ich sehe nicht, wo Maurer im Interview das Kollegialprinzip verletzt hätte. Ein Bundesrat darf auch einmal seine persönliche politische Meinung äussern und muss nicht immer nur die einhellige Meinung des Kollegiums wiedergeben.