Die nackten Zahlen sind unschön: Im internationalen Vergleich gehört die Schweiz zu den Ländern mit den höchsten Krebsraten. Im Ranking der Krebserkrankungen pro Kopf belegt das Land Platz 17 von 186 untersuchten Ländern. Dabei sind manche Diagnosen besonders häufig. Jede dritte Frau mit einer Krebsdiagnose hat Brustkrebs. Deshalb empfehlen die medizinischen Leitlinien allen Frauen ab 50, alle zwei Jahre zum Brustkrebs-Screening zu gehen.
Das klingt wie eine einfache Massnahme, um Todesfälle durch Brustkrebs zu verhindern. Doch sie ist umstritten. Denn in der Schweiz gibt es keine nationale Strategie, stattdessen zeigt sich ein kantonaler Flickenteppich. Manche Kantone wie St. Gallen oder Solothurn übernehmen für alle ihre Ü50-Bewohnerinnen die Kosten für eine zweijährliche Brustkrebs-Untersuchung und bieten sie sogar für Arzttermine auf. Urnerinnen dagegen müssen den Untersuch selbst organisieren und vor allem auch selbst bezahlen. Kostenpunkt: 182.80 Franken.
Ein ähnliches Bild zeigt sich bei der Darmkrebsvorsorge, die ebenfalls ab 50 Jahren empfohlen wird und in manchen Kantonen franchisebefreit von der Grundversicherung bezahlt wird. Darmkrebs betrifft etwas häufiger Männer, wird aber für eine regelmässige Screening-Kontrolle bei beiden Geschlechtern empfohlen. Auch hier gibt es kantonale Unterschiede.
«Wegen des Flickenteppichs bestehen in der Schweiz bis heute soziale Ungleichheiten», schreibt Swiss Cancer Screening, der Dachverband der Krebs-Früherkennungsprogramme. «Sinnvoll und nötig wäre ein nationales Programm und eine entsprechende Strategie.» Das sei auch aus finanzieller Sicht wünschenswert, weil die Früherkennung dazu beitragen würde, Gesundheitskosten zu sparen. Früh diagnostizierte kleine Tumore können mit weniger Aufwand behandelt werden als grosse im Spätstadium.
Das hat auch das Parlament erkannt. Es forderte Anfang 2024 – gegen den Willen des Bundesrates – die Erarbeitung eines nationalen Krebsplans, wie ihn auch die vier grossen Nachbarländer kennen. Revolutionär ist die Forderung nicht. Denn die Schweiz hatte bereits einmal eine nationale Strategie. Doch 2020 entschied der Bundesrat, sie sei nicht mehr nötig. Der private Verband Oncosuisse leiste derart gute Arbeit, dass «kein weiterer Koordinationsbedarf auf politischer Ebene besteht».
Eine Fehleinschätzung, wie sich heute zeigt. Die Schweiz fällt im internationalen Vergleich bei der Krebsvorsorge weiter zurück. Nur 60 Prozent der Bevölkerung haben Zugang zu Brustkrebs-Screening-Programmen. Frankreich und Deutschland sind dagegen bereits einen Schritt weiter und haben zusätzlich schon ein nationales Programm für Gebärmutterhalskrebs-Screening mit HPV-Tests etabliert. Die Schweiz kommt trotz zwei Jahre alten Empfehlungen des Swiss Cancer Screening Committee allerdings nicht voran. Auch weil das Bundesamt für Gesundheit seit mehreren Jahren über Kosten und Nutzen der Programme nachdenkt, ohne eine Entscheidung über die zukünftige Strategie zu treffen.
Darüber regen sich mittlerweile sogar die Parlamentarier im Bundeshaus auf. Ständerat Damian Müller (FDP/LU) fragte letzten September in einer Interpellation leicht genervt «Wann wird das Potenzial von Screening-Programmen endlich mehr genutzt?» Der Bundesrat antwortete darauf, er wolle den lange geforderten Nationalen Krebsplan erst 2026 präsentieren – also zwei Jahre nachdem dieser in Auftrag gegeben wurde.
Dabei hat der Verband Oncosuisse bereits in Eigenregie einen Masterplan 2025 ausgearbeitet, der die wichtigsten Themenschwerpunkte identifiziert und als Grundlage für eine Strategie dienen könnte. In dem Papier fordert Oncosuisse, dass kantonale Unterschiede ausgemerzt werden sollen und mehr Menschen Zugang zu Krebs-Screening-Programmen erhalten. Doch es mehren sich die Zweifel, ob vonseiten der Regierung der Wille da ist, tatsächlich eine einheitliche Krebs-Präventionsstrategie mit Screenings einzuführen.
Auf eine Anfrage dieser Zeitung zum kantonalen Flickenteppich bei den Vorsorgeprogrammen schreibt das Bundesamt für Gesundheit nämlich: «Ein nationales Krebs-Screening-Programm ist kein Entscheid des Bundesamts für Gesundheit, sondern erfordert einen politischen Entscheid.» Der Ball liegt damit beim Innendepartement von Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider. Dort sieht man die Forderung des Parlaments für einen nationalen Krebsplan aber offenbar nicht als genügend starkes Mandat. Dies wäre jedochnötig, um die kantonalen Ungerechtigkeiten zu beseitigen.
«Der Bund verfügt über keine gesetzliche Grundlage, die den Aufbau und die Durchführung eines Nationalen Krebs-Screening-Programms ermöglichen würde», rechtfertigt sich der Bundesrat in seiner Antwort an Ständerat Damian Müller. Dieser findet das «unbefriedigend» und sagt gegenüber dieser Zeitung: «Die Haltung des Bundesrats ist mutlos.» Aus Müllers Sicht haben die Behörden mit dem Parlamentsauftrag nämlich die Kompetenz, eine koordinierende Rolle einzunehmen. «Der Bund ist nun am Zug, die Kantone einzubinden und die nötigen Ressourcen einzusetzen.» Es müsse vorwärtsgemacht werden, damit Menschen nicht nur abhängig von ihrem Wohnkanton Zugang zu Krebs-Früherkennungsprogrammen hätten.
Ob Damian Müller mit seiner Argumentation auch die Behörden überzeugen kann, wird sich kommenden Donnerstag zeigen. Dann findet die Diskussion zu seiner Interpellation im Rat statt, und die Regierung wird dazu Red und Antwort stehen müssen.
Ausführliche Informationen zu den Kosten und Abläufen von Krebs-Screenings in deinem Kanton findest du hier.