Es ist Ringiers wichtigster gesellschaftlicher Anlass: Einmal im Jahr lädt Frank A. Meyer, der frühere Chefpublizist des Medienhauses, zum «Dîner républicain» ins Fünfsternehotel Castello del Sole nach Ascona. Dort gibt es «eine Tafelrunde, die Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur versammelt», wie Ringier schreibt. Nach dem Abendessen und einer Preisverleihung wird die Gesellschaft zur Piazza Grande nach Locarno gefahren: Filmvorführung im Rahmen des Festivals.
Ringier publiziert die Gästeliste nicht. Frank A. Meyer lädt aber jeweils die wichtigsten Besucher zum Gruppenbild, das der «Sonntags-Blick» am folgenden Tag zeigt. Zu sehen sind Mario Draghi, Wolfgang Schäuble, Peter Sloterdijk und andere Persönlichkeiten, die den «Europapreis für politische Kultur» abholen, der mit 50'000 Euro dotiert ist. Seit Jahren mit auf dem Bild ist Altkanzler und Kreml-Lobbyist Gerhard Schröder, der bis vor kurzem als Berater für Ringier arbeitete. Und auch ein Schweizer Politiker fehlt fast nie: Alain Berset.
Der Bundesrat ist Stammgast an Ringiers «Dîner républicain». Berset kam oft in Begleitung seiner Ehefrau. Und auch sein vormaliger Kommunikationschef Peter Lauener wurde in Ascona an seiner Seite gesehen. Im Luxusresort trafen Berset und Lauener Verleger Michael Ringier und den Unternehmenschef Marc Walder. Gegen Lauener läuft derzeit ein Verfahren: Der ausserordentliche Staatsanwalt Peter Marti legt ihm zur Last, dass er den Ringier-CEO Walder während der Coronakrise mit vertraulichen Informationen aus dem Innendepartement versorgt haben soll.
Bundesrat Berset tritt an der Ringier-Feier auch als Redner in Erscheinung: Als der damalige deutsche Aussenminister Frank Walter-Steinmeier 2016 den Preis gewann, hielt er die Laudatio - und zwar ausführlich, wie das Medienhaus in einem Communiqué betonte. Berset würdigte Steinmeier als «Antipopulisten, als wahren Verantwortungsethiker, aber einen mit Gesinnung».
Bersets Reden werden von Simon Heusser geschrieben. Er war früher Journalist und für kurze Zeit Chefredaktor der «Weltwoche». Heusser ist belesen. Es kann vorkommen, dass Berset das Publikum mit Gedanken des italienischen Philosophen Antonio Gramsci beeindruckt.
Ein Besucher erzählt, dass Berset auch nach 2016 am Ringier-Dîner gesprochen habe, neben dem Preisträger, dem Laudator - und Frank A. Meyer. Dem Publizisten sei es ein Anliegen, den eigenen Anlass mit Bundesräten aufzuwerten. Moritz Leuenberger war da, Hans-Rudolf Merz, Eveline Widmer-Schlumpf. Von Bersets geschliffenem Auftreten sei Meyer aber besonders angetan.
Als Kulturminister lässt er sich das Filmfestival von Locarno nie entgehen; darum muss Berset nicht weit reisen, um den Ringier-Anlass zu besuchen. Im Gegenzug kann er darauf hoffen, dass die Medien des Boulevard-Verlages wohlwollend über ihn schreiben.
Als die französische Luftwaffe den Privatpiloten Berset im vergangenen Sommer zu Boden geleitete und in verschiedenen Zeitungen kritische Kommentare zu lesen waren, war Frank A. Meyer sofort mit einer Verteidigung zur Stelle: Er hielt den Journalisten Selbstgerechtigkeit vor. Alain Berset sei «ein ganzer Kerl», «ein Bundesrat zum Mögen» und eine «Persönlichkeit von Kultur und Intellekt.» Zudem sehe er gut aus und sei ein «bisweilen jungenhaft auftretender Regierer im ernsten Bern.» Er fliege «dem Kleingeist davon.»
Berset geniesst bei Ringier publizistische Protektion: Peter Rothenbühler war lange Chefredaktor der «Schweizer Illustrierten». 2020 wollte er in einer Kolumne der Zeitschrift Berset kritisieren. Der Text erschien aber nicht. Rothenbühler erklärte kürzlich, dass man ihm mitgeteilt habe: Es sei nicht opportun, Berset anzugreifen. Das ist ein schwerer Eingriff. Medien verpflichten Kolumnisten, damit diese frei ihre Meinung veröffentlichen können. Interventionen der Redaktion gibt es normalerweise nur, wenn sich ein Kolumnist im Ton vergreift.
Einem Ringier-Journalisten ist aufgefallen, dass Ignazio Cassis 2022 als Bundespräsident das «Dîner républicain» in Ascona mit seiner Anwesenheit beehrte. Zweieinhalb Monate später reiste Cassis nach Kiew, und Frank A. Meyer schrieb im «Sonntags-Blick»: «Sieh da, die Schweiz hat einen Helden.»
Die Bundesräte erhalten an der Ringier-Veranstaltung die Gelegenheit, hochrangige deutsche Politiker zu treffen. Finanzminister Christian Lindner (FDP) war mehrmals in Ascona. Diese Kontakte zu pflegen, nützt den Mitgliedern der Schweizer Regierung vielleicht.
Die Teilnahme am «Dîner républicain» kann aber vor allem dazu beitragen, dass man sich die Gunst eines grossen Verlagshauses erwirbt. Wenn Frank A. Meyer einen Bundesrat mag, lässt er ihn nicht so schnell fallen. Und Ringier-Chef Marc Walder wies in der Pandemie alle Redaktionen des Hauses dazu an, die Regierung zu unterstützen. Für Gesundheitsminister Alain Berset, den Stammgast der Ringier-Party, war das wie ein Geschenk.
Mit nur eingeschrieben Briefen und verschlüsselten EMails wohl kaum. Herr Berset ist auch da keine Ausnahme.
Alle auf den Bilder haben den Bezug zu "normalen" Menschen in der echten Welt schon lange verlorenen.