In den Gängen des Bundeshaus weiss man es schon lange: Wird ein geheimes Papier vom Bund an die Kantone verschickt, so dauert es keine Viertelstunde, bis es auf irgendeinem Newsportal landet. Gegen das ist in erster Linie nichts einzuwenden: Zur Aufgabe von Journalistinnen und Journalisten gehört es, Vorgänge innerhalb der Behörden öffentlich zu machen.
Dieses «Leaking» wurde aber während der Corona-Pandemie besonders offensichtlich. Jedes Mal, wenn der Bundesrat den Kantonen neue Massnahmen vorschlug, berichteten Medien landauf, landab über den Inhalt des Papiers. Unabhängig davon, ob sie nach der Anhörung der Kantone auch beschlossen wurden oder nicht.
Diese Indiskretionen ärgern die Bundesbehörden zunehmend, wie watson erfahren hat. Besonders davon betroffen ist das Innendepartement von Bundesrat Alain Berset. «Leaks betreffen den ganzen Bundesrat, stören seine Entscheidungsfindung und das Vertrauensverhältnis im Gremium massiv und sind zu verurteilen», sagt Bersets Sprecher Peter Lauener.
Noch weiter mit der Kritik geht Bundesratssprecher André Simonazzi in seinem Statement: «Indiskretionen sind inakzeptabel und verstossen gegen das Gesetz.» In ihren Aussagen kritisieren sie niemand Bestimmten. Im Visier dürften jedoch die kantonalen Regierungsrätinnen und Regierungsräte stehen. Sie sind diejenigen, die vom Bundesrat jeweils mit internen Papieren beliefert werden, wenn es um die Ausarbeitung neuer Corona-Massnahmen geht.
So will es das Epidemiengesetz: Es gibt der Landesregierung während der «besonderen Lage» die Möglichkeit, neue Regeln zu bestimmen. Zuvor müssen aber immer die Kantone angehört werden. Das Epidemiengesetz wurde von der Bevölkerung 2013 in einer Referendumsabstimmung angenommen – ein Mitspracherecht des Volkes bei der Erarbeitung neuer Massnahmen ist jedoch nicht vorgesehen.
Obwohl die internen Massnahmen-Papiere des Bundesrates nun praktisch immer den Weg an die Öffentlichkeit fanden, ist seitens Landesregierung kein Strategiewechsel bei der Kommunikation geplant. «Indiskretionen sind kein Grund, um Entscheidgrundlagen des Bundesrates öffentlich zu machen», schreibt Simonazzi auf Anfrage.
Daran ändert auch nicht Bersets auffällig transparenter Auftritt vor einigen Tagen, als er öffentlich bekannt gab, was die Pläne des Bundesrates sind. Simonazzi sagt dazu: «Es gibt keinen Paradigmenwechsel. Wenn der Bundesrat Entscheide trifft, kommuniziert er diese, wenn es angebracht ist.» Mit der ungewohnt offenen Kommunikation habe man «Spekulationen vermeiden» wollen.
Unklar ist, ob den Transparenzmachern juristisch etwas droht. Die Bundesanwaltschaft sagte zur Thematik, dass der Straftatbestand der «Veröffentlichung amtlicher geheimer Verhandlungen» auch davon abhänge, ob ein Dokument tatsächlich als «geheim» klassifiziert ist. Weiter teilt sie mit, dass im Zusammenhang mit den Corona-Anhörungen bislang kein Strafverfahren eröffnet wurde.*
* Dieser Absatz wurde nach der Veröffentlichung umformuliert, da das Statement des Bundesratssprechers in einen falschen Zusammenhang gestellt wurde. Er kritisiert zudem, dass im Artikel nicht genügend zum Ausdruck komme, dass der Bundesrat «Indiskretionen verurteilt, egal woher sie kommen». Die entsprechenden Formulierungen wurden korrigiert.
Watson war auch aktiv "Das könnte der Bundesrat heute beschliessen" etc.
"Sags aber keinem weiter!"
Vor meinem geistigen Auge sehe ich schon wie die Räte tratschgeil zum nächsten Journalisten rennen um "das Neuste" weiterzugeben.