Als Favoritin ging eine andere ins Rennen. Die meisten Beobachter rechneten Bundesrats-Kandidatin Eva Herzog aus Basel die besten Chancen auf die Nachfolge von Simmonetta Sommaruga (SP) aus. Doch es kam anders. Die jurassische Ständerätin Elisabeth Baume-Schneider setzte sich am Mittwoch mit 123 Stimmen überraschend durch. Sie selbst schien ebenfalls nicht damit gerechnet zu haben und sprang vor Freude aus ihrem Sitz, als sie das finale Resultat hörte. Damit erhält der Jura seine erste Bundesrätin.
Baume-Schneider ist als Bauerntochter auf dem Land aufgewachsen. Das ist nicht unbedingt eine Herkunft, die auf eine Laufbahn als SP-Politikerin hindeuten würde. Doch die bald 59-Jährige hat eine beachtliche Karriere hingelegt. In der Kurzversion: Kantonsrätin, Regierungsrätin, Ständerätin, SP-Vizepräsidentin. Nun wird sie Bundesrätin.
Trotz einer langen politischen Karriere ist die Jurassierin in der Deutschschweiz kaum bekannt. Dabei spricht sie fliessend Schweizerdeutsch: Ihre Grosseltern, die auf dem Hof ihrer Eltern lebten, stammen aus dem Berner Seeland und sprachen zu Hause nur Berndeutsch. Die Deutschkenntnisse sollten Baume-Schneider später zum Vorteil gereichen, doch als Jugendliche in einer Zeit, als sich der Kanton Jura von Bern abspaltete, versteckte sie diese.
«In der Zeit der Gründung des Kantons wollte ich vor allem so sein wie meine jurassischen Freundinnen», erzählte sie in einem Interview. «Damals hasste ich die Berner Mundart und tat bei Einkäufen im Dorfladen so, als würde ich kein Wort Deutsch verstehen. Heute bin ich dagegen froh, dass ich Schweizerdeutsch spreche.»
Baume-Schneider studiert an der Universität Neuenburg und arbeitet danach als Sozialarbeiterin. In jungen Jahren engagiert sie sich bei der Sozialistischen Arbeiterpartei, später tritt sie der SP bei. Es folgt der politische Aufstieg: Erst zieht sie ins jurassische Kantonsparlament ein, dann wird sie zur Regierungsrätin gewählt.
Ihre beiden Söhne sind damals noch klein, der jüngere noch nicht im Kindergarten. Die junge Mutter in der Exekutive: ein Prototyp, welchen die SP heute gern im Bundesrat hätte, die Schweizer Sanna Marin – das war Elisabeth Baume-Schneider damals auf Kantonsebene. Zwölf Jahre ist sie Bildungsdirektorin, zuständig auch für die Jura-Frage.
In der Regierung ist sie gleich doppelt in der Minderheit: mit ihrem Parteibuch und als einzige Frau im Fünfergremium. Darunter gelitten habe sie nicht, sagte sie einmal, sah mehr einen Vorteil: Sie sei sich gewohnt, aus der Minderheit hinaus Lösungen zu finden.
Nach ihrer Zeit als Regierungsrätin leitet sie vier Jahren die Fachhochschule für Soziale Arbeit und Gesundheit in Lausanne, bevor sie 2019 den Sprung in den Ständerat schafft. Dort etabliert sie sich rasch. Zuletzt präsidiert sie die einflussreiche Umwelt- und Energiekommission, die gerade wichtige Pflöcke eingeschlagen hat. Es sei unter anderem auch ihr zu verdanken, dass das Parlament die Solaroffensive im Eiltempo unter Dach und Fach brachte, ist etwa zu hören.
Ratskolleginnen und -kollegen sowie Weggefährten zeichnen das Bild einer verlässlichen, seriösen und umgänglichen Schafferin, die eine klare Haltung habe, ohne aber dogmatisch zu sein. Eine, die sich aktiv einbringe, aber nicht ins Rampenlicht dränge, sachlich und unaufdringlich sei, vor allem aber auch fähig zu Kompromissen.
«Sie ist sehr konziliant und kennt keine Scheuklappen», so Mitte-Ständerätin Andrea Gmür. Ein bürgerlicher Ständerat sagt, die Jurassierin arbeite lösungsorientiert, ohne den grossen Auftritt zu suchen. Und die Grüne Ständerätin Maya Graf sagt, Baume-Schneider sei «sehr verlässlich und kollegial. Sie setzt sich dafür ein, gemeinsam eine Lösung zu finden. Das ist ihre Stärke.»
Was nicht heissen soll, dass ihr alles gelingt: Von ihren drei bisher eingereichten Motionen etwa scheiterten alle.
Trotz ihres Images als seriöse Schafferin: Als verbissen gilt sie nicht. Sie habe eine «positive Leichtigkeit», sagt Christoph Eymann, ehemaliger LDP-Nationalrat und Präsident der Erziehungsdirektorenkonferenz. Er präsidiert heute die Schweizerische Konferenz für Sozialhilfe, Baume-Schneider ist deren Vizepräsidentin.
Vor der Wahl wurde viel über das Frauenverhältnis im Bundesrat diskutiert. Mit dem Sieg Baume-Schneider verschiebt sich nun aber etwas anderes: Es sitzen neu vier Lateiner in der Regierung.
Teile dieses Artikels wurden bereits in einem früheren Porträt publiziert.