Kommentar
Das Parlament hatte die Chance, ein ausgewogenes Duo in den Bundesrat zu wählen. Nun sind Städte und finanzstarke Kantone nicht mehr vertreten. Das hat die Schweiz nicht verdient.
07.12.2022, 13:3407.12.2022, 14:20
Lange gingen die Emotionen nach einer Bundesratswahl nicht mehr so hoch wie heute. Während vor allem die Bauern strahlten, waren die Vertreter urbaner und finanzstarker Kantone frustriert bis stocksauer. Das betraf Basler und Zürcher gleichermassen. Sie hatten auch allen Grund dazu.
Dabei ging es weniger um die Wahl von Albert Rösti zum Nachfolger von Ueli Maurer. Sie war absehbar. Zu schwach war sein Kontrahent Hans-Ueli Vogt, zu sehr hatte der ehrgeizige Berner Oberländer jahrelang auf das Amt hingearbeitet. Beim SP-Sitz aber hat die Bundesversammlung einen Totalschaden produziert.

Frisch gewählt: die neuen Bundesräte Elisabeth Baume-Schneider und Albert Rösti nach der Vereidigung am Mittwoch.Bild: keystone
Nichts gegen die neue Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider als Person. Vielleicht wird sie eine tüchtige Landesmutter (mit Betonung auf vielleicht). Und klar, mit ihrer Wahl ist der einst so rebellische Jura endgültig im Zentrum des Landes angekommen. Aber die Umstände sind verheerend.
Einseitige Zusammensetzung
Man muss nur das aktuelle Bundesratsfoto anschauen, um die Tragweite zu erkennen. Der Bundesrat hat neu nicht nur eine Mehrheit aus Westschweizern und Tessinern, er ist geografisch extrem einseitig zusammengesetzt. Die Deutschschweiz östlich von Bern ist nur noch durch Karin Keller-Sutter vertreten.

Wenn Ueli Maurer weg ist, steht Karin Keller-Sutter ziemlich alleine da. Bild: keystone
Sie stammt aus der Kleinstadt Wil (SG) und ist damit auch das «urbanste» Mitglied der Landesregierung. Die finanzstarken Geberkantone sind gar nicht mehr vertreten, dafür ist die Landwirtschaft krass überrepräsentiert.
Die Gründe für die Misere
In der Wandelhalle fragten sich viele, wie so etwas passieren konnte. Denn die Bundesversammlung hatte die Chance, mit Rösti und Eva Herzog ein ausgewogenes Duo zu wählen. Objektiv sprach rein gar nichts gegen die Baslerin. Sie hat einen starken Leistungsausweis und ist sehr beliebt in ihrer Heimatregion. Dennoch hat sie es nicht geschafft.

Eva Herzog wurde bereits nach dem zweiten Wahlgang klar: Das wird schwierig.Bild: screenshot srf
Einige Gründe dürften dazu beigetragen haben, etwa Vorbehalte gegen ihre eher distanzierte Art oder eine Abneigung gegen das rotgrüne Basel. Auch die SP hat miserabel taktiert, indem sie sich von Anfang an auf ein reines Frauenticket festgelegt hatte. Das führte zu vielen Stimmen für Daniel Jositsch.
Dazu beigetragen hat eine «Intrige» von linken und rechten Parlamentariern, die Roger Nordmann und Pierre-Yves Maillard als Berset-Nachfolger verhindern wollten. Der Sitz dürfte an die Deutschschweiz gehen, aber kaum an Jositsch. Das Verhalten des Zürcher Ständerats war oberpeinlich.
Lieber nett als stark
Ähnliches gilt bei der SVP für die Parmelin-Nachfolge. Und schliesslich kam jener Faktor hinzu, den eine wütende Herzog-Unterstützerin nannte: «Viele Männer haben immer noch Mühe mit starken Frauen.» Eva Herzog hat Ecken und Kanten, Elisabeth Baume-Schneider ist vor allem nett.

Nie war der Einfluss von Schwarznasenschafen auf eine Bundesratswahl in der Schweiz grösser.Bild: Imgur
Zu viele Details trugen zu Eva Herzogs Scheitern bei. Aus dem Blickwinkel geriet das grosse Ganze, mit unabsehbaren Folgen. Diese Bundesratswahl ist ein Armutszeugnis für die Schweiz. Offensichtlich geht es diesem Land immer noch zu gut. Dabei basiert sein Erfolg nicht auf dem Schwarznasenschaf.
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