Schweiz
Bundesrat

Videohetze gegen Bundesrat Berset: Wut-Wirt wegen Drohung verurteilt

Nach Videohetze gegen Bundesrat Berset: Wut-Wirt wegen Drohung verurteilt

Der rauere Ton in der Politik bleibe nicht ohne Folgen, sagt Simonetta Sommaruga. Besonders die Coronamassnahmen erhitzten viele Gemüter. Ein Wirt, der gegen Alain Berset hetzte, wurde jetzt verurteilt.
05.11.2022, 07:53
Kari Kälin / ch media
Mehr «Schweiz»
Bundesrat Alain Berset zieht seine Maske an, am Ende einer Medienkonferenz des Bundesrates ueber die Reform der beruflichen Vorsorge, am Mittwoch, 25. November 2020, in Bern. (KEYSTONE/Peter Klaunzer)
Bundesrat Alain Berset an einer Pressekonferenz während der Corona-Pandemie.Bild: keystone

Mittwoch, 8. September 2021: Der Bundesrat gibt bekannt, dass ab kommenden Montag in Restaurants die Zertifikatspflicht gilt. Die Nachricht aus Bern versetzt einen damals im Kanton Nidwalden tätigen Wirt in Rage. Noch am gleichen Tag erstellt er mit seinem Smartphone ein Selfievideo.

Darin verunglimpft er Gesundheitsminister Alain Berset als «Hure der Pharmaindustrie» und fährt fort: «Jetzt wird nicht mehr politisch geredet. Jetzt reicht es. Komme ja nie in die Innerschweiz. Wenn ich dich wäre, würde ich nicht mehr aus dem Haus gehen. Es ist sehr, sehr gefährlich für dich mittlerweile.» Der Wirt schwadronierte von Personen mit Scharfschützengewehren, die auf den Bundesrat lauern könnten.

Die Tirade, die dem Mann in den Medien den Titel «Wut-Wirt» bescherte, hat nun strafrechtliche Folgen. Die Bundesanwaltschaft hat ihn bei einer Probezeit von zwei Jahren per Strafbefehl zu einer Geldstrafe von 2000 Franken verurteilt - wegen Drohung und übler Nachrede. Die Kosten für Busse und Verfahren belaufen sich auf 800 Franken.

Der Mann schickte das Video per Whatsapp an mindestens zwei Personen weiter, die es auf diversen Social-Media-Plattformen teilten. Es ging viral. In der Drohbotschaft warnte der Wirt Berset auch: «Pass auf, wenn du Trämmli fährst.»

Personenschutz bei vielen Auftritten

Dabei ist die Schweiz stolz darauf, dass Bundesrätinnen und Bundesräte hierzulande noch in Tram und Bus unterwegs sind. So formulierte es Simonetta Sommaruga, als sie am Mittwoch ihren Rücktritt verkündete. Das sei - die Botschaft des Wut-Wirts lässt grüssen - aber nur die halbe Wahrheit. «Bei vielen Auftritten haben wir heute Personenschutz.» Der Umgang in der Politik sei in den letzten Jahren rauer geworden. Man müsse sich bewusst sein, dass sich das auch auswirke - auf das Klima in unserem Land.

Schon vor einem Jahr sagte Justizministerin Karin Keller-Sutter in einem Interview mit CH Media: «Man muss ein Stück weit lernen, damit umzugehen, dass sich Bundesrätinnen und Bundesräte heute nicht mehr so frei bewegen können wie vorher.» Sie hoffe, dass es nicht zum Dauerzustand werde. «Wir müssen unsere Kultur verteidigen.»

Bundesraetin Karin Keller Sutter spricht an der Gewerblichen Herbstmesse HESO, am Freitag, 23. September 2022, in Solothurn. (KEYSTONE/Peter Schneider)
Keller-Sutter: Bundesräte können sich nicht mehr so frei bewegen wie früher.Bild: keystone

Zerbröselt in der Schweiz gerade die Kultur, in der sich Parlamentarierinnen, Regierungsräte und Bundesräte frei bewegen können? Tatsache ist: Corona markiert eine Bruchlinie. Davon zeugen zum Beispiel unzählige gehässige verbalen Boxkämpfe in sozialen Medien. Eine Zeit lang reiste kein einziges Mitglied der Landesregierung ohne polizeiliche Begleitung im öffentlichen Verkehr.

Bei öffentlichen Auftritten, etwa Abstimmungspodien, ist Polizeischutz für Bundesräte Standard. Je nach Bedrohungslage definiert das Fedpol Präventionsmassnahmen auch für eidgenössische Parlamentarier oder exponierte Personen der Bundesverwaltung. Das kann eine allgemeine Sicherheitsberatung oder auch Personenschutz.

Mehr als 1000 Drohungen gemeldet

Ein rauer Ton und gehässige Debatten in der Politik sind kein exklusives Phänomen des 21. Jahrhunderts. Relativ neu ist aber, dass Beschimpfer, Droher und Hasser im digitalen Raum ein Massenpublikum erreichen können. Man dürfe den Effekt sozialer Medien nicht vernachlässigen, sagt Dirk Baier, Leiter des Instituts für Delinquenz und Kriminalprävention an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften.

Dabei würden eher die lauten und aggressiven Stimmen gehört. Und:

«Man schaukelt sich gegenseitig hoch und ist eher zu Statements bereit, die man von Angesicht zu Angesicht nie machen würde.»

Der Austausch unter Gleichgesinnten stimuliere die verbale Grenzüberschreitung.

Das vergiftete Klima schlägt sich auch in der Statistik nieder. Zählte das Bundesamt für Polizei (Fedpol) 2019, im letzten Jahr vor der Pandemie, noch 246 Drohungen gegen Mitglieder des Bundesrats, des eidgenössischen Parlaments und der Bundesverwaltung, so stieg diese Zahl bis im letzten Jahr auf 1215 an. In 120 Fällen erwies sich das Eskalationspotenzial so gross, dass das Fedpol an der Tür der Droher klingelte, um sie auf das möglicherweise strafbare Verhalten hinzuweisen, ihnen einen sogenannten «Grenzziehungsbrief» schickte oder gleich eine Strafanzeige erstattete. «So werden diese Personen aus der digitalen Anonymität in die Realität geholt», sagt eine Fedpol-Sprecherin.

Zwar werden dem Fedpol seit der Aufhebung der Coronamassnahmen weniger Drohungen gemeldet. «Deren Inhalt bleibt aber besorgniserregend», sagt eine Sprecherin. Bereits befeuern andere polarisierende Themen wie die Flüchtlingspolitik oder die Strommangellage das raue Klima. Und als ob es eines Beweises für Sommarugas beklagten «raueren Ton» bedurft hätte, warfen ihr zwei SVP-Exponenten auf Twitter vor, der Gesundheitszustand ihres Mannes sei bloss ein Vorwand für den Rücktritt.

Zurück zum Wut-Wirt: Die «Nidwaldner Zeitung» sprach im letzten September mit ihm. Er habe Berset nicht gedroht, dass er wegen ihm persönlich aufpassen müsse. Er verteidigte sich, das Video sei ohne sein Einverständnis verbreitet worden. Diese Argumente bewahrten ihn nicht vor juristischen Konsequenzen. Im Strafbefehl heisst es, er habe Berset sinngemäss die Tötung in Aussicht gestellt. Und: «Diese Drohung ist geeignet, auch einen besonnenen Menschen in Angst und Schrecken zu versetzen.» (bzbasel.ch)

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
58 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Weltbürger
05.11.2022 08:04registriert März 2019
Ich war mal stolz darauf, dass unsere Bundesräte im selben Tramwagon unterwegs waren wie wir, das man sie in der stadt bei Besorgungen gesehen hat. Dies scheint je länger je unmöglicher zu werden. Darum ist es richtig und wichtig solchen "Bürgern" zu zeigen wo der alain den most holt.
2539
Melden
Zum Kommentar
avatar
chrimark
05.11.2022 08:48registriert November 2016
Solche Urteile sind wichtig, wobei die Bussen durchaus im 4-5 stelligen Bereich sein dürften. Noch viel wichtiger ist, dass die Presse darüber zahlreich berichtet. Nur so merken die Socialmedia Wütbürger, dass das Internet kein anonymer und rechtsfreier Raum ist.
19513
Melden
Zum Kommentar
avatar
Tokyo
05.11.2022 08:48registriert Juni 2021
Viel zu wenig wer mit Ermordung droht der gehört eingesperrt
15225
Melden
Zum Kommentar
58
Ukraine-Gipfel: Es ist richtig, Russland nicht in die Schweiz einzuladen
Die Einladung von Bundespräsidentin Amherd geht an 160 Staaten – sie sollen am Ukraine-Gipfel auf dem Bürgenstock teilnehmen. Nicht darunter: Russland. Müsste aber nicht gerade jetzt Wladimir Putin mit am Tisch sitzen, wenn man Frieden will?

Ohne Russland wird es keinen Frieden geben. Trotzdem ist Wladimir Putin an der Friedenskonferenz in der Schweiz unerwünscht, Bundespräsidentin Amherd hat ihm keine Einladung geschickt. Der ukrainische Präsident Selenski hingegen steht auf der Gästeliste. Ist diese Ungleichbehandlung richtig? Hätte Amherd Präsident Putin nicht die Gelegenheit geben sollen, teilzunehmen? Die Fragen sind berechtigt – doch die Antwort ist klar: Putin jetzt einzuladen, wäre falsch.

Zur Story