Am kommenden Sonntag steht fest, wie sich die Klimapolitik der Schweiz entwickeln wird. Die Stimmbevölkerung entscheidet in einem Referendum über das CO2-Gesetz, dessen Chancen derzeit alles andere als gut stehen. Dies zeigen die repräsentativen Umfragen von gfs.bern und SRF, die vor der Abstimmung veröffentlicht wurden.
Gründe für die schlechten Chancen dürften in der urbanen, städtischen Bevölkerung zu finden sein: Diese befürwortet zwar gemäss jüngsten Umfragen mehrheitlich das CO2-Gesetz. Die Stimmberechtigten in den links-grünen Städten drängen aber derzeit nicht an die Urnen, wie die Stimmbeteiligungsdaten einzelner Städte zeigen.
Besonders auffällig sind die Werte aus der Stadt Zürich, wo die bisherige Stimmbeteiligung vier Tage vor der Abstimmung fast 13 Prozentpunkte tiefer ist als im September 2020. Vor rund einem Jahr standen mit dem Kampfjet, der Begrenzungsinititative und dem Vaterschaftsurlaub mehrere Vorlagen auf dem Stimmzettel, die zu einer grossen Stimmbeteiligung geführt hatten.
Ähnliche Tendenzen sind auch in Winterthur, Genf, Lausanne, St. Gallen und Neuchâtel zu sehen, wo die derzeitige Stimmbeteiligung tiefer oder im Rahmen früherer Abstimmungs- bzw. Wahltermine ist. Für das CO2-Gesetz sind das keine guten Vorzeichen angesichts des knapp erwarteten Abstimmungsresultats: Die Schlussmobilisierung hapert dort, wo «Ja»-Stimmen zu holen wären.
Jede Gemeinde kann derzeit selbst entscheiden, ob sie Zahlen zur Stimmbeteiligung vor dem Abstimmungssonntag veröffentlicht. In den Städten wird dies schon länger praktiziert und erlaubt damit erste Thesen über einen möglichen Abstimmungsausgang. In ländlichen Gemeinden fehlen diese Daten jedoch mehrheitlich.
Eine Rundfahrt und Gespräche mit Personen in ländlichen Regionen zeigt jedoch, dass dort stärker mobilisiert wird. Eine watson-Userin berichtete etwa, dass sie in einer solothurnischen Landgemeinde eine noch nie beobachtete Politisierung der jungen Erwachsenen erlebt hat.
Andernorts liest man von heruntergerissenen Abstimmungsplakaten und einem gehässigen Politklima. Dies dürfte zwar hauptsächlich den beiden Agrarinitiativen geschuldet sein. Klar ist jedoch: Werden mehr Stimmberechtigte in eher konservativen Landgemeinden mobilisiert, dürfte dies auch eher mehr «Nein»-Stimmen zum CO2-Gesetz geben.
Eine Gemeinde, die Stimmbeteiligungs-Zahlen vorab veröffentlicht, ist Signau im Emmental BE. Diese verzeichnet fünf Tage vor der Abstimmung mit 38,9 Prozent einen besonders hohen Rücklauf an Stimmzetteln. Das liege sicher auch an den eidgenössischen Abstimmungsvorlagen, sagt der dortige Gemeindeschreiber Rudolf Wolf auf Anfrage. «Diese beschäftigen auch die Bevölkerung in unserer Gemeinde», sagt er und erwähnt als möglichen Grund auch eine kommunale Abstimmung. Die Einwohnenden von Signau entscheiden am Sonntag auch über den Neubau einer Turnhalle, wo erfahrungsgemäss Sportvereine mit mobilisieren.
Die unterschiedliche Mobilisierung in den Städten und auf dem Land wird auch von der Politikwissenschaft aufmerksam beobachtet. Cloé Jans, Studienleiterin beim Forschungsinstitut gfs.bern, erklärt sich das mit den unterschiedlichen Lebensrealitäten beim Mittelstand. «Vergangene Abstimmungsvorlagen wie die Konzernverantwortungs-Initiative, der Vaterschaftsurlaub oder der Schutz vor Diskriminierung, haben stark in den Städten emotionalisiert und mobilisiert. Das CO2-Gesetz tut dies weniger: Urbane Personen dürften diese Klimavorlage eher befürworten, es fehlt jedoch die emotionale bzw. persönliche Betroffenheit, unbedingt dafür stimmen zu müssen.»
In ländlichen Gemeinden, wo das Auto oder eine Cheminée-Heizung im Eigenheim eher zum Alltag gehört, sei das anders. «Die Argumente der ‹Nein›-Kampagne, wonach das CO2-Gesetz angeblich zu einer Verteuerung führen soll, werden von diesen Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern eher angehört und dürfte am Ende der Meinungsbildung zum ‹Nein› führen», analysiert Jans. Ihr Fazit angesichts der knappen Abstimmungstendenz ist deshalb: Das Resultat zum CO2-Gesetz entscheidet sich durch die Schlussmobilisierung.
Auf diese hofft auch das «Ja»-Lager. Auf Instagram und Co. häufen sich in diesen Tagen Beiträge, die auf die tiefe Stimmbeteiligung in den Städten hinweisen. Die tiefe, urbane Stimmbereitschaft wurde auch vom zuständigen «Ja»-Komitee bemerkt. «Die Stimmbeteiligung in den Städten muss steigen. Daran arbeiten wir», sagt Marie Seidel vom WWF, der sich für das CO2-Gesetz engagiert.
Sie hofft nun, dass die umstrittene Kampagnen-Strategie des «Nein»-Lagers nun zusätzlich mobilisiert: «Die abstrusen Inserate des Hauseigentümerverbandes und der SVP motivieren viele klimabewusste Stimmbürger, nun doch zur Urne zu gehen.» Unterstützung erhalten Befürworter:innen nun auch von der Promi-Welt. So sprachen sich in den letzten Tagen Lo & Leduc oder die Olympiasieger Michelle Gisin und Daniel Yule, aber auch Unternehmen wie Ikea oder der Schuhhersteller On für das CO2-Gesetz aus.