Frau Kronig, hätten Sie gedacht, dass wir nach zwei Jahren immer noch in der Pandemie stecken würden?
Nora Kronig: Im Januar 2020, als die Pandemie anfing, war ich in den USA und Mexiko. Wir besprachen also mit anderen Staaten und wussten, dass wir mit Szenarien arbeiten mussten. Es gab schon damals bessere und schlechtere Szenarien, doch wir wussten nicht, wie sich alles entwickeln würde. Wir hofften, dass die Pandemie nicht so lange andauern würde.
Kann es sein, dass wir bald in eine Endemie übergehen?
Man weiss nicht, wie die Zukunft aussieht, auch in einer Pandemie nicht. Wir arbeiten mit verschiedenen Ländern zusammen und erarbeiten Szenarien, aber wie es weitergeht, kann niemand genau vorhersagen. Die Unsicherheit ist ein Merkmal der Pandemie und begleitet mich täglich. Es geht darum, offenzubleiben, die Situation hier und andernorts genau zu beobachten und neue Erkenntnisse in die Szenarien einzubauen.
Sie vertreten die Schweiz bei der Weltgesundheitsorganisation WHO. Was ist Ihre Aufgabe?
Bei der WHO kommen die Staaten zusammen, um Gesundheitsfragen zu besprechen. Das heisst, wir definieren gemeinsam Normen, tauschen Wissen aus der Praxis aus. Bestes Beispiel sind die internationalen Gesundheitsvorschriften. Es geht unter anderem darum, sich beim Auftreten von übertragbaren Krankheiten gegenseitig zu informieren. Die WHO ist für uns eine sehr wichtige Organisation, auch in normalen Zeiten.
Wie verläuft die Zusammenarbeit in diesem Gremium?
Einmal jährlich findet eine Weltgesundheitsversammlung in Genf statt, an der alle Staaten teilnehmen. Zudem tagt zweimal jährlich der Exekutivrat, wobei die Schweiz hier im Moment nicht Mitglied ist. Dann gibt es verschiedene regionale Gremien der WHO. Die Schweiz präsidiert dieses Jahr das Exekutivorgan der WHO Europa, das viermal jährlich tagt, in Kopenhagen und in Genf. Aber momentan finden die Treffen virtuell statt.
Was besprechen Sie an diesen Treffen?
Die Schweiz engagiert sich auf internationaler Ebene in sechs Bereichen, in denen sie Ziele definiert hat, wie zum Beispiel in der Suchtpolitik, beim Gesundheitsschutz und humanitäre Krisen, beim Zugang zu Heilmitteln, bei der Gouvernanz in der globalen Gesundheitsordnung oder den Gesundheitsdeterminanten.
Diese Woche wurde bekannt, dass in Frankreich wieder eine neue Corona-Variante aufgetaucht ist. Wie gehen Sie bei einer solchen Nachricht vor?
In so einem Fall schauen wir, wo wir möglichst gute Informationen über die Variante erhalten können. Diese Informationen fliessen in unsere Einschätzungen und unser Vorgehen ein. Diese neue Variante hat über 46 Mutationen, die WHO beobachtet sie nun.
Sie haben einen internationalen Fokus: Wie stark hat sich die Schweiz in der Pandemie von anderen Ländern abgehoben?
Die Schweiz hat seit dem Beginn der Pandemie auf allen Stufen sehr eng mit verschiedenen Staaten und Nachbarländern zusammengearbeitet. Mit gewissen Nachbarstaaten stehen wir täglich im Kontakt, gleichen uns ab, besprechen die Massnahmen und evaluieren, was funktioniert und was nicht. Wir haben uns auch stark engagiert, um gemeinsame Plattformen aufzubauen, wie zum Beispiel das globale Impfprogramm Covax, um weltweit eine gerechte Verteilung der Impfstoffe zu garantieren. Das gab es vorher nicht.
Die Schweiz hat grosse Mengen an Impfdosen gekauft. Nun soll dieses Jahr ein neuer Impfstoff auf den Markt kommen. Was geschieht mit dem Impfstoff, der hierzulande nicht mehr gebraucht wird?
Bis jetzt war es so, dass wir den Impfstoff via Covax weitergegeben haben. Das haben wir zum Beispiel mit dem Impfstoff von Astrazeneca gemacht, der in der Schweiz keine Zulassung erhalten hat. Grundsätzlich bestellen wir so viel, wie wir zur Versorgung der Bevölkerung benötigen. Im Rahmen von Covax dafür, dass auch Staaten mit tieferen Einkommen Impfstoff erhalten.
Können Sie Zahlen nennen?
Für Covax hat die Schweiz zuerst 20 Millionen Franken gesprochen, in einem zweiten Schritt waren es nochmals 125 Millionen Franken. Für die WHO bezahlt die Schweiz ihre Pflichtbeiträge, das sind 6 Millionen Franken im Jahr, sowie spezifische zusätzliche Beiträge unter anderem für Entwicklungszwecke. Während der Krise haben wir allerdings mehr Gelder gesprochen, auch für andere Organisationen.
Das BAG wurde viel kritisiert in den letzten zwei Jahren. Wie gehen Sie damit um?
Man lernt viel dazu in so einer Pandemie, manchmal liegt man falsch und manchmal richtig. Vieles ist auch eine Frage des Ermessens. Allgemeine Aussagen kann ich nicht machen, aber was ich sagen kann, ist: Zwei Jahre Krisenmanagement sind sehr lange. Ich habe dazwischen vier Monate Mutterschaftsurlaub gemacht. Sicher ist, dass eine Pandemie von diesem Ausmass den Mitarbeitenden des BAG viel Ausdauer abverlangt.
Wie geht es weiter. Wird das Virus verschwinden?
Das ist schwer zu sagen. Ein Vergleich könnte man höchstens mit Polio machen, dieses Virus gibt es immer noch in gewissen Regionen wie Afghanistan und Pakistan. Ein Virus, das breit zirkuliert hat, verschwindet wohl nicht einfach so und auf natürliche Weise. (aargauerzeitung.ch)