Paulo Coduri ist der Chef der südlichsten Apotheke der Schweiz. Nur einen Steinwurf entfernt vom Grenzübergang in Chiasso bedient er seine Kunden. Er hat viel zu tun: Die Coronavirus-Hysterie in Italien mache sich je länger, je mehr auch in der Schweiz bemerkbar.
Die Leute seien am Vormittag bis auf die Strasse angestanden. «Aber wir haben keine Masken mehr», sagt der Apotheker seelenruhig. Im Gespräch merkt man sofort, dass er das Coronavirus eher gelassen nimmt. «Echte Tessiner haben keine Angst. Das ist bloss Theater!» Aus seiner Sicht mache es keinen Sinn, die Grenzen zu schliessen. «Ich vertraue den Behörden voll und ganz.»
Die aufkommende Panik in Italien beobachtet er dennoch mit Sorge. «Es sind zwar nur ein paar Kilometer bis nach Como, aber das ist schon eine andere Welt.»
Das Virus sei zwar nicht viel gefährlicher als eine normale Grippe. «Das Ding steckt aber bereits in den Köpfen der Leute fest. Das macht es so kraftvoll», sagt Coduri und kümmert sich um den nächsten Kunden.
Elise (28) arbeitet in einer Pasticceria auf der italienischen Seite beim Grenzübergang Como. «Langsam habe ich schon Angst vor dem Coronavirus. Ich wollte mir eine Maske kaufen, aber die sind überall ausverkauft.»
Viele der Grenzgänger seien inzwischen wirklich beunruhigt. «Einige Geschäfte haben bereits geschlossen. Ich weiss nicht, wie lange wir unsere Confiserie noch offen halten», sagt die Frau.
Am Tresen blättert ein Kunde derweil im Corriere della Sera. Auf der Titelseite prangen die Bilder von den abgeriegelten Städten in der Po-Ebene. «Was, wenn die uns bald hier in diesem Kaff einsperren?», so der rüstige Rentner. Kippt seinen Espresso runter und läuft davon.
Der Chemie-Student steht mit einem grossen Koffer am Bahnhof Chiasso. Er hat sich entschlossen, drei Tage früher als geplant von Como nach Zürich zu reisen. In der Limmatstadt startet er sein Studium an der ETH. «Ich fürchte, dass sie wegen des Virus bald die Grenzen schliessen. Darum bin ich schon jetzt los.»
In seiner Heimatstadt werde die Situation von den Leuten und auch der Regierung aufgebauscht. «Viele Italiener reagieren total panisch auf das Virus.» Seine Freundin habe kaum noch Essen im Supermarkt gefunden, weil alles leergekauft sei. «Zum Glück kann ich nun in die Schweiz. Hier läuft alles normal weiter.»
Diese Frau weiss, warum unsere südlichen Nachbarn derart ausser sich sind wegen des Coronavirus. Sonja lebt in Lugano und Sizilien. «Die Italiener sind generell sehr abergläubisch, die haben Angst vor fast allem», so die gebürtige Baslerin. Trotz der räumlichen Nähe sei dies halt eine ganz andere Mentalität als im Tessin. Dennoch habe sie auch in Lugano Leute gesehen, die mit Gesichtsmaske herumliefen – und zwar nicht wegen der Fasnacht.
Macht es aus ihrer Sicht Sinn, nun die Grenzen zu schliessen? «Das wäre natürlich das Beste für die Schweiz. Aber das können wir nicht machen. Hier gibt es so viele Grenzgänger, die sind auf ihre Arbeit angewiesen.»
Interessant ist die Aussage, er vertraue den Behörden. Das ist ein zentraler Unterschied zu Italien, wo ein geringeres Vertrauen in Institutionen herrscht. Vertrauen ist häufig eine Familienangelegenheit.