Fallzahlen, Impfstatus, Zustimmung zu Schutzmassnahmen: In keiner anderen Pandemie sammelten Behörden und Wissenschaft derart umfangreiches Datenmaterial wie während der Coronakrise. Doch fünf Jahre nach der Ausnahmesituation ist dieser Informationsstrom versiegt.
Es gibt nur noch wenig verlässliche Anhaltspunkte dazu, wie viele Menschen hierzulande gegen das Virus geimpft sind, wie Risikopersonen die Covid-Gefahr beurteilen – und wie viele noch bereit sind, sich erneut ein Vakzin verabreichen zu lassen, sei es gegen Covid-19, Grippe oder eine andere Krankheit.
Um diese Wissenslücke zu füllen, hat der Schweizer Ableger des US-Pharmakonzerns Pfizer eine Umfrage bei 1000 Risikopersonen durchgeführt. Das heisst: Die Befragten sind entweder über 65 Jahre alt oder gehören einer Risikogruppe an. Sie leiden an Vorerkrankungen wie Bluthochdruck, Herzproblemen, Übergewicht, Lungenproblemen oder an einem geschwächten Immunsystem.
Die Resultate zeigen, dass 88 Prozent der Befragten sich gegen das Coronavirus impfen liessen. Bei den allermeisten liegt diese Immunisierung aber eins bis fünf Jahre zurück. Nur gerade vier Prozent liessen sich im vergangenen Jahr gegen das Virus impfen.
Diese Zahl dürfte sich in der anstehenden Erkältungssaison nicht nach oben bewegen. Denn 39 Prozent der Befragten finden es «definitiv nicht nötig», sich erneut gegen Covid-19 impfen zu lassen – und das, obwohl sie einer Risikogruppe angehören und ihnen eine Impfung seitens Bundesamt für Gesundheit (BAG) und der Eidgenössischen Impfkommission empfohlen wird. 37 Prozent finden eine Immunisierung nötig, ein Viertel zeigt sich unsicher.
Als Argumente führen die ablehnende Fraktion ins Feld, dass sie durch die frühere Covid-Impfung weiterhin ausreichend geschützt sei, die Gefahr sei vernachlässigbar oder sie hätten genügend Schutz durch eine natürliche Infektion erworben.
Die Zurückhaltung unter Risikopersonen kontrastiert mit einer anderen Zahl aus der Pfizer-Umfrage. Gefragt nach den wichtigsten Impfungen schaffte es Covid bei mehr als der Hälfte in die Top 3, nach Tetanus und Zeckenenzephalitis (FSME). Auch im Vergleich zu anderen Atemwegsinfektionen wie Influenza, RSV oder Lungenentzündungen erachtete eine Mehrheit der Befragten Covid-19 als schwerwiegendste Krankheit.
«Einerseits wird Covid als eine ernste Erkrankung wahrgenommen. Andererseits sieht man dann, dass die Bereitschaft, sich impfen zu lassen, gering ist», stellt auch Sabine Bruckner, Chefin von Pfizer Schweiz, fest. Diesen «Widerspruch» interpretiert sie im Gespräch mit der «Schweiz am Wochenende» so, dass Patienten zu wenig über die Risiken aufgeklärt werden.
In der Saison 2023/24 kam es in Schweizer Spitälern zu über 4000 Spitaleinlieferungen wegen Covid-19. Das Medianalter lag bei 71 Jahren, 7,9 Prozent der Fälle mussten auf die Intensivstation. 282 Menschen starben an Covid-19, 70 an der Influenza. Neuere Daten sind nicht verfügbar.
«Die Zahlen aus unserer Umfrage zeigen, dass es in der Bevölkerung eine Informationslücke gibt», sagt Sabine Bruckner.
Für sie ist klar, dass die Impfquote durch bessere Information angehoben werden könnte.
Denn die Umfrage zeige auch, dass die aktuelle Zurückhaltung nicht mit anderen Faktoren wie der Zugänglichkeit oder finanziellen Aspekten zu erklären sei. 75 Prozent der Befragten geben an, leicht an eine Grippe-Impfung zu kommen, bei Covid waren es 60 Prozent. Auch die Kosten sind meist kein Hindernis. Da die Behörden die Covid-Impfung für Risikogruppen empfehlen, übernehmen die Krankenkassen die Rechnung.
Für die geforderte Informationskampagne sieht Bruckner klar das zuständige Bundesamt in der Pflicht. Denn das BAG, auch das zeigt die Umfrage, geniesst in der Bevölkerung grossen Rückhalt. Zwei Drittel vertrauen der Behörde und folgen deren Empfehlungen. Zwar wird den Hausärzten an der Front stark vertraut. Doch diesen möchte Bruckner die zusätzliche Aufklärung nicht auch noch aufbürden: «Sie müssen im Praxisalltag bereits sehr viel leisten.»
Dass es in der Schweiz noch grosses Potenzial gebe in der Prävention durch Impfungen, illustriert Bruckner mit einem Vergleich:
Dies hänge direkt mit den Ausgaben für Präventionsmassnahmen und eben Aufklärungskampagnen zusammen. Deutschland wendet dafür 8 Prozent der jährlichen Gesundheitsausgaben auf, in der Schweiz sind es nur 2 Prozent. «Es nützt nichts, nur eine nationale Impf-Strategie zu haben – es braucht auch die finanziellen Mittel dazu, die Bevölkerung darüber zu informieren», sagt Bruckner.
Dieses Geld sei gut investiert, findet die Pfizer-Managerin – nicht nur mit Blick auf Covid. Die Umfrage zeigt, dass nur wenige Menschen überhaupt wissen, dass es auch Impfungen gegen RS- oder HP-Viren oder Pneumokokken- und Meningokokken-Bakterien gibt.
Bruckner zitiert eine Studie aus Kanada. Diese zeigte, dass eine Anhebung der Impfquote um 20 Prozentpunkte bei der Gruppe der über 65-Jährigen Einsparungen von rund vier Milliarden Dollar jährlich bringen könnte. «Natürlich wäre ein grosser Effort nötig, um die Impfquote in der Schweiz um einen Fünftel anzuheben. Aber auch ein kleinerer Wert könnte einen erheblichen Betrag an Gesundheitskosten einsparen», zeigt sich Bruckner überzeugt – etwa durch verhinderte Spitalaufenthalte.
Dass ein Hersteller wie Pfizer eine Impfoffensive fordert, kommt so überraschend wie die saisonale Grippe im Winter. Schliesslich verdient die Firma direkt an höheren Impfquoten.
Beim BAG sieht man allerdings keinen zusätzlichen Handlungsbedarf. Man setze bereits auf Massnahmen, «die nachweislich Wirkung zeigen». «Am wichtigsten ist: Personen aus Risikogruppen sollen sich durch ihre betreuenden Ärztinnen und Ärzte sowie andere Fachpersonen individuell beraten lassen», sagt ein Sprecher. Dieser Weg sei erfahrungsgemäss nachhaltiger und wirkungsvoller als breit angelegte Kampagnen.
Gänzlich auf eine Kampagne will das BAG aber nicht verzichten. Für den November plane man mit verschiedenen Partnern eine nationale Impfwoche, die niederschwellige Angebote für die Impfungen gegen Covid-19, die Grippe und RSV beinhalte. (aargauerzeitung.ch)