Der Fall scheint einigermassen klar: Das Bundesamt für Informatik und Telekommunikation hat dem Sonderermittler Peter Marti viel zu viele Mails zur Verfügung gestellt. Mails, die Marti gar nie hätte sehen dürfen. Auf dieser Grundlage weitete Marti die Ermittlungen gegen Peter Lauener, den früheren Kommunikationschef von Bundesrat Berset, aus. Alles klar also? Nicht ganz. Denn die Sachlage präsentiert sich nicht so, wie sie bisher in den Medien dargestellt worden ist.
Marti verdächtigte Lauener, an Indiskretionen im Zusammenhang mit einem Bericht über die sogenannte Crypto-Affäre beteiligt gewesen zu sein. Darum ersuchte er beim Bundesamt für Informatik um die Herausgabe von Laueners Mailverkehr; relevant war dabei eine Zeitspanne von sechs Wochen im Herbst 2020.
Das Bundesamt hielt sich nicht an diese Einschränkung und gab Mails heraus, die Lauener über mehrere Jahre versandt hatte. Die Frage ist nun: Gelangte Sonderermittler Marti nur wegen dieses unrechtmässigen Schritts an heikle Nachrichten? Die Mails liessen ihn dann vermuten, dass Lauener das Amtsgeheimnis verletzt haben könnte - indem er den Ringier-Chef Marc Walder mit vertraulichen Informationen über die Corona-Politik des Bundesrats versorgte.
Die Antwort lautet: nein. Personen, die mit dem Verfahren vertraut sind, berichten: In den Mails aus jenen sechs Wochen, die Marti ursprünglich interessierten, fanden sich mehrere Hinweise auf einen Informationsfluss zu Massnahmen des Bundes während der Pandemie.
Es gab also einen Zufallsfund in den Ermittlungen, einen sogenannten Beifang. Er kam nicht zustande, weil ein Bundesamt die Vorschriften missachtete und dem ausserordentlichen Staatsanwalt Marti eine Flut an Mails weit über den definierten Zeitrahmen hinaus zukommen liess. Hätte die Behörde ordnungsmäss nur relativ wenige Mails weitergeleitet, wäre es trotzdem zum Zufallsfund gekommen.
Was sagt Sonderermittler Marti zu diesem Umstand? Nichts. Auf Anfrage lehnt er jegliche Stellungnahme ab. Die Aufsichtsbehörde über die Bundesanwaltschaft hatte ihm im März 2022 bewilligt, die Ermittlungen von den Crypto Leaks auf die Corona Leaks auszuweiten.
Der Fehler des Bundesamts für Informatik und Telekommunikation in der Weitergabe von Daten war nicht entscheidend. Es ist aber unklar, ob Marti weiter gegen Lauener ermitteln darf. Man wartet auf einen Entscheid des Zwangsmassnahmengerichts Bern. Dieses wird darüber befinden, ob die Mails und die technischen Geräte, die Marti sicherstellen liess, entsiegelt werden oder nicht. Der Entscheid kann ans Bundesgericht weitergezogen werden.
Mehrere Juristen sind der Ansicht, dass Marti dem Beschuldigten die Siegelung seiner Zuschriften sofort hätte zugestehen sollen. Inhaber der Daten ist zwar das Bundesamt für Informatik, aber Lauener kann als unmittelbar Beteiligter eingestuft werden. Er erfuhr von der Sicherstellung der Mails erst, als die Ermittlungen vorangeschritten waren und ihn Marti zur Angelegenheit einvernahm.
Lauener reichte im Herbst 2022 Strafanzeige gegen Marti ein; der Vorwurf lautet auf Amtsgeheimnisverletzung und mögliche Freiheitsberaubung. Die Aufsichtsbehörde über die Bundesanwaltschaft setzte in der Folge einen zweiten Sonderermittler ein: Stephan Zimmerli untersucht, ob Peter Marti in seinen Ermittlungen zu weit gegangen ist. Über den Stand dieser Abklärungen ist nichts bekannt.
Die Bundesanwaltschaft versucht ausserdem abzuklären, wie die Protokolle der Einvernahmen Peter Laueners und Alain Bersets zu CH Media gelangt sind; Bundesrat Berset wurde als Auskunftsperson befragt. Peter Marti stellte das Verfahren zu den Indiskretionen über den Crypto-Bericht vor zwei Monaten ein. Unklar ist nun, ob er den Corona Leaks auf den Grund gehen darf. Für Peter Lauener gilt die Unschuldsvermutung. (aargauerzeitung.ch)