Am Dienstag verkündete der Bundesrat, welche Massnahmen er per Samstag ins Auge fasst. Bei zahlreichen Kantonen kamen die Pläne der Landesregierung gar nicht gut an. Besonders gross ist der Ärger in der Romandie. Nachdem die Westschweizer Kantone durch strenge Massnahmen die Fallzahlen senken konnten, wollten sie am Mittwoch die Restaurants wieder aufmachen. Doch jetzt macht ihnen der Bundesrat einen Strich durch die Rechnung.
Der Unmut über die Ankündigungen des Bundesrates sei ein Gefühl, das von allen Westschweizer Kantonsregierungen geteilt werde, sagte der jurassische Gesundheit- und Wirtschaftsminister Jacques Gerber (FDP). Die Ankündigungen hätten alle Kantonsregierungen der Westschweiz «irritiert», sagte Gerber am Mittwoch während mündlicher Anfragen im Parlament.
Der Walliser Staatsrat Staatsrat Christophe Darbellay (CVP) bezeichnete derweil die Ankündigung des Bundesrates als inkohärent. Der Walliser Nationalrat Philippe Nantermod (FDP) betitelte die Ankündigung des Bundesrates als eine verspätete, ungeordnete und skandalöse Reaktion.
Der Bundesrat habe sich geweigert zu handeln, als die Fallzahlen in die Höhe schossen. Und nun, kurz vor Lockerungen in Teilen der Romandie, verhänge die Regierung eine Kollektivstrafe gegen die gesamte Schweiz, so Nantermod.
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Auch der Kanton Neuenburg bedauerte die Intervention des Bundesrates in einem Moment, als er die Restaurants, Bars und Kinos wieder öffnen wollte. Dieses Vorgehen schade der Glaubwürdigkeit der Institutionen, sagte Staatsrat Laurent Kurth (SP). «Wir fühlen uns als die Gelackmeierten», sagte Sicherheits- und Kulturdirektor Alain Ribaux (FDP). Er betonte, dass sich die Westschweizer Kantone einer erneuten Schliessung widersetzen würden.
Kritik kam aber auch aus der Deutschschweiz – allen voran aus dem Kanton Baselland. In einem Schreiben kritisiert die Baselbieter Regierung, dass das Vorgehen des Bundesrats die föderalistische Zusammenarbeit «in höchstem Masse» gefährde. Dass der Bundesrat die Kantone einerseits auffordere, selber kantonale Verschärfungen zu beschliessen und dann überraschend selber schweizweite Massnahmen ankündige, sei «äusserst befremdend», schreibt sie.
Jedoch sind nicht alle Kantone gegen die Pläne des Bundesrates. So schreibt etwa der Kanton Aargau auf Twitter, dass man die Vorschläge des Bundesrates unterstütze. Sprich: «Die Massnahmen zu verschärfen und national zu vereinheitlichen.»
Coronavirus - Der Kanton Aargau unterstützt die Vorschläge des Bundesrats, Massnahmen zu verschärfen und national zu vereinheitlichen. Der Regierungsrat fordert rasche und wirksame Unterstützung für die hauptbetroffenen Branchen und Bereiche.https://t.co/PGxFGf4JNW#CoronaInfoCH pic.twitter.com/C0SIqfpXOK
— Kanton Aargau (@kantonaargau) December 9, 2020
Auch die Berner Regierung begrüsste, dass der Bundesrat bei den Massnahmen gegen die Ausweitung der Corona-Pandemie eine landesweit einheitliche Regelung anstrebt. Sie hält aber einzelne Massnahmen für zu scharf.
So plädiert die Berner Regierung dafür, die Restaurants ab Samstag nicht schon um 19 Uhr zu schliessen, wie das der Bundesrat am Dienstag vorgeschlagen hat. Die Berner Regierung hält 21 Uhr für angemessen. An privaten Veranstaltungen sollten nach Ansicht des Berner Regierungsrates bis Anfang Januar 2021 nicht nur fünf, sondern weiterhin zehn Personen teilnehmen können.
Derweil gab die St.Galler Regierung auch am Mittwoch – trotz der mittlerweile höchsten 14-Tage-Inzidenz im Land – keine zusätzlichen Massnahmen bekannt. Sie wären teilweise von den Vorschlägen des Bundesrats übersteuert worden, hiess es. Regierungspräsident und Gesundheitschef Bruno Damann (CVP) erklärte an der Medienorientierung jedoch, die Lage sei ernst. Man wolle aber abwarten, ob aus den Vorschlägen des Bundesrates Bundesregelungen würden. Am Samstag werde dann die Regierung allfällige zusätzliche kantonale Massnahmen bekanntgeben. Damann empfahl dem Bundesrat, die ausserordentliche Lage auszurufen.
Zwar traten Alain Berset und Simonetta Sommaruga gestern im Namen des Gesamtbundesrates vor die Medien. Doch der frisch gewählte Bundespräsident, Guy Parmelin, stehe nicht hinter den geplanten Massnahmen, schreibt SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi am Mittwoch in einem Mail an mehrere Politikerinnen und Politiker im Kanton Zug. Dies berichtet der Tages Anzeiger.
«Unsere beiden Bundesräte, Ueli Maurer und Guy Parmelin, lehnen die gestern von den Bundesräten Berset und Sommaruga vorgeschlagenen neuen Corona-Massnahmen entschieden ab», schreibt Aesch.
Die Medienstelle der SVP wollte das Mail von Aeschi nicht kommentieren, hielt aber fest: «Kollegialität ist ein Grundsatz unseres Regierungssystems.» Aeschi ist sich jedoch sicher. Er sagt dem Tages Anzeiger, Maurer und Parmelin würden die neuen Massnahmen am Freitag ablehnen.
Am Nachmittag fand ein Point de Presse mit Expertinnen und Experten des Bundes statt. «Wir müssen uns noch einmal am Riemen reissen», ist die Aufforderung von Patrick Mathys vom Bundesamt für Gesundheit (BAG). Weil die Corona-Fallzahlen nicht schnell genug gesunken seien, bestehe die Gefahr, dass im Januar zu noch drastischeren Massnahmen gegriffen werden müsse, sagte Mathys am Mittwoch vor den Bundeshausmedien in Bern.
Die Ansteckungszahlen stagnierten «auf viel zu hohem Niveau». 600 Fälle pro 100'000 Einwohner seien viel zu viele, sagte Mathys, stellvertretende Leiter Übertragbare Krankheiten im BAG. Allerdings habe sich die Spannbreite zwischen den Kantonen verkleinert von gut 400 bis knapp 900 Fällen pro 100'000 Einwohner.
In keiner Region der Schweiz zeige die Tendenz nach unten, warnte Mathys. Es gehe weiterhin darum, eine Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern. Derzeit seien gut drei Viertel der Intensivbetten in der Schweiz belegt, die Hälfte von Covid-19-Patienten.
Trotz «Corona-Müdigkeit» sei dringend geraten, Disziplin aufzubringen, Kontakte möglichst zu vermeiden und sie – wenn unbedingt nötig – so sicher wie möglich zu gestalten.
Auch der Präsident der wissenschaftlichen Taskforce des Bundes, Martin Ackermann, plädierte am Mittwoch im Bundesmedienhaus für einheitliche und strenge Massnahmen zur Senkung der hohen Corona-Fallzahlen. Das dies sinnvoll sei, habe der Kanton Genf bewiesen.
Die Reproduktionszahl liege in allen sieben Schweizer Grossregionen deutlich über dem festgelegten Zielwert von 0,78. Die Schweiz befinde sich wieder in einer heiklen Situation. Die Gefahr für ein exponentielles Wachstum der Fälle sei gross, so Ackermann. «Eine Verdoppelung hätte verheerende Folgen.»
Die Vereinigte Bundesversammlung hat vor der Wahl des Bundespräsidiums am Mittwochmittag der über 5000 Covid-Opfer gedacht. Die Schweigeminute sollte laut Nationalratspräsident Andreas Aebi (SVP/BE) auch das Mitgefühl des Parlaments gegenüber den trauernden Hinterbliebenen ausdrücken.
Das Treffen der Vereinigten Bundesversammlung hat mit einer #Schweigeminute für die an Covid-19 verstorbenen Menschen im Land begonnen. Nationalratspräsident Andreas Aebi zeigte sich betroffen – insbesondere von der Kerzen-Aktion auf dem Bundesplatz am vergangenen Sonntag. pic.twitter.com/PHoPmr4j1J
— SRF News (@srfnews) December 9, 2020
Die Schweiz habe eine der höchsten Todesraten weltweit, sagte Aebi. «Wir wollen oft nicht wahrhaben, dass wir gegen den mikroskopisch kleinen Feind machtlos sind.» In den vergangenen Monaten seien oft diejenigen Menschen vergessen worden, die einen geliebten Menschen verloren hätten.
Der Nationalratspräsident hielt fest, dass das Parlament seine Arbeit in der Krise mache. Es habe es aber bisher versäumt, der Todesopfer und der trauernden Hinterbliebenen zu gedenken. «Wir trauern nun mit ihnen in dieser schweren Zeit und wünschen ihnen viel Kraft und Hoffnung.»
Gestern wurde bekannt, dass die Schweiz den Bahnbetrieb nach Italien einstellt, weil sie den Sicherheitsvorkehrungen der Italiener nicht nachkommen will. Dies hat zu Kritik aus Italien geführt. Die italienische Gewerkschaft Cgil kritisiert das «lasche» Krisenmanagement der Schweiz sowie die mangelnde Bereitschaft, Fiebermessungen in den Zügen durchzuführen.
In einer am Mittwoch verschickten Stellungnahme spricht die Gewerkschaft, welche die Grenzgänger vertritt, von einer «weiteren Absurdität» in der Bewältigung der Corona-Krise durch die Schweiz.
Es passe nicht zusammen, dass das Land zwar eine der höchsten Ansteckungsquoten mit dem Coronavirus weltweit aufweise, sich aber weigere, «minimale Vorkehrungen» wie Abstandhalten und Fiebermessen in den Zügen zu garantieren.
Am Abend wurde dann die Teillösung präsentiert: Eurocity-Züge verkehren weiterhin zwischen der Schweiz und Italien - wenn auch in reduzierter Anzahl: Auf diese Lösung haben sich die beiden Länder und ihre entsprechenden Bahnbetriebe geeinigt. Dies teilten die SBB am Mittwochabend auf Anfrage von Keystone-SDA mit.
Komplizierter gestaltet sich der Verkehr der Tilo-Regionalzüge: Hier müssen die Grenzgänger, welche zum Arbeiten ins Tessin reisen, in Chiasso umsteigen. Sobald als möglich sollen jedoch auch die Tilo-Züge wieder grenzüberschreitend verkehren, wie die SBB in ihrem Communiqué festhalten.(cma/sda)
Wobei: Es könnte alles noch viel schlimmer sein. Der Typ hätte vor 5 Jahren in den Bundesrat gewählt werden können. Und dann wäre er heute zu unserem neuen Bundespräsidenten gewählt worden. DAS ist doch mal eine Horrorvorstellung.