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Schwächt die mRNA-Impfung das Immunsystem? Der Booster im Faktencheck.

Die beiden mRNA-Impfungen schützen besser als andere vor einer schweren Corona-Erkrankung. Aber was ist mit der Langzeitwirkung?
Die beiden mRNA-Impfungen schützen besser als andere vor einer schweren Corona-Erkrankung. Aber was ist mit der Langzeitwirkung?Bild: Shutterstock

mRNA-Impfung schwächt das Immunsystem – die Behauptung im Faktencheck

Drei heftig debattierte Studien sollen zeigen, dass eine mRNA-Impfung schädlich ist. Doch was zeigen sie wirklich? Ein Faktencheck, der den fünften Booster infrage stellt.
13.03.2023, 08:1713.03.2023, 10:25
Sabine Kuster / ch media
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Die Skeptiker von mRNA-Impfungen sind während der Pandemie nicht leiser geworden. Die Wirksamkeit gegen Sars-Cov-2 stellen zwar nicht mehr viele infrage. Denn der Unterschied zwischen Ländern mit hohen und tiefen Durchimpfungsraten war in der Todesursachenstatistik wie auch anhand der Übersterblichkeit klar ersichtlich – in der Schweiz sogar regional: Wo mehr geimpft wurde, starben in den letzten zwei Jahren weniger Menschen. Nicht umgekehrt.

Infizieren sich Geimpfte öfter?

Doch was ist mit der Langzeitwirkung? Noch immer kursiert die Behauptung oder Furcht, dass die Impfung das Immunsystem langfristig schwäche. Das streut inzwischen nicht nur US-Verschwörungsanhänger Tucker Carlson auf dem rechtskonservativen Sender FoxNews, sondern auch der pensionierte St. Galler Infektiologe Pietro Vernazza auf seinem Blog. Gegenüber der NZZ sagte Vernazza diese Woche, keine seiner Hypothesen sei bis jetzt verworfen worden.

Pietro Vernazza: Chefarzt Infektiologie Kantonsspital St.Gallen
Pietro Vernazza, pensionierter St.Galler Infektiologe.Bild: Ralph Ribi

Beweis für die Immunschwächungs-These soll unter anderen eine US-Studie vom Dezember 2022 um den Experten für Infektionskrankheiten Nabin K. Shrestha liefern. In der Arbeit befindet sich eine Grafik, die auf den ersten Blick zeigt: Je häufiger jemand geimpft wurde, desto häufiger infizierte sich die Person auch mit dem Coronavirus. Die Autoren schreiben aber keineswegs, dass die Impfungen die Ursache für die häufigen Reinfektionen waren. Sie erklären die Resultate damit, dass einerseits Leute, die sich mehrfach haben impfen lassen, sich auch öfter testen liessen, weil sie vorsichtiger seien – und bei diesen keine Ansteckung unbemerkt bleibe. Anders als bei den sorgloseren Ungeimpften.

Vor allem aber haben sich Ungeimpfte logischerweise meist früher mit dem Virus angesteckt. Das hat zu einer besseren Immunität geführt (auch wenn die Ungeimpften damit ein grösseres Risiko eingegangen sind). Molekularbiologe und Corona-Forscher Emanuel Wyler sagt dazu: «Wenn es so wäre, dass jene mit 0 Dosen schon 1 bis 2 Ansteckungen mehr hatten als jene mit 3 Impfdosen, ist auch klar, dass Erstere besser geschützt sind vor einer weiteren Ansteckung.» Das zeigt auch eine frühere Publikation derselben Autoren. «Mittlerweile gibt es schlicht zu viele Faktoren, welche die Impfwirkung verfälschen», sagt Wyler.

Studie über Interferone wurde überinterpretiert

Als weiteres Indiz, dass die Impfung das Immunsystem nachhaltig schwächen könnte, zieht Pietro Vernazza ausserdem eine Studie herbei, die zeigt, dass die Zahl der Interferone nach der mRNA-Impfung von Biontech reduziert ist. Interferone werden vom angeborenen Immunsystem nach Entzündungen produziert. Dies ist die erste Verteidigungslinie - das adaptive Immunsystem braucht länger, um bei einer Erstinfektion oder Erstimpfung mit den spezifisch angepassten B- und T-Zellen zu reagieren.

Weil die Autoren nur den Stand nach drei Wochen und nicht längerfristig untersucht haben, wurde die Studie nie publiziert. Zudem wurde nur das Blut von 16 Personen untersucht. Die Beobachtung ist spannend, bloss wurden die Resultate der Studie mit keiner anderen Impfung oder Infektion verglichen.

Burkhard Becher, Immunologe, Universität Zürich.
Burkhard Becher, Immunologe, Universität Zürich.bild: zvg

Burkhard Becher, Immunologe und Professor an der Universität Zürich, kennt den Studien-Hauptautor Mihai G. Netea sehr gut und sagt, die Daten seien solide und Netea sei ein Experte auf seinem Gebiet. «Natürlich könnte man bemängeln, dass die Forscher die Covid-19-Impfung nicht mit anderen Impfstoffen oder sogar Infektionen verglichen haben, aber die Frage der Forscher war nun mal auf die mRNA-Impfstoffe beschränkt.» Inzwischen sei es so, dass keine Impfung besser erforscht sei als die beiden mRNA-Impfungen gegen Sars-Cov-2. Und so fehlen nicht selten Vergleichsdaten, um zu wissen, was die Befunde bedeuten.

Noch unbekannt, ob der Einfluss positiv oder negativ ist

«Die Studie wurde von Aussenstehenden total überinterpretiert», sagt Becher. «Es stimmt, dass drei Wochen nach der Impfung weniger Interferone messbar waren. Aber wir wissen nicht, ob das wirklich einen Einfluss auf die Immunfunktion hat, und wenn ja, ob er positiv oder negativ ist.»

Becher selbst stand ursprünglich der mRNA-Impfung gegen Sars-Cov-2 kritisch gegenüber: «Ich hatte nicht die geringste Hoffnung, dass diese Impfstoffe besonders effektiv sein könnten, und habe deshalb den Entscheid des Bundes, gerade Moderna und Biontech zu kaufen, nicht verstanden. Aber ich habe meine Meinung radikal ändern müssen: Die Datenlage war und ist nun einfach überzeugend.» Der Schutz-Effekt der mRNA-Impfung auf Sars-Cov-2 sei eindrücklich - und über einen allfälligen längerfristigen Einfluss der Impfung auf die Gesundheit könne man schlicht noch nichts sagen. «Bis jetzt jedenfalls deutet nichts auf eine Schwächung des Immunsystems hin.»

Nicht neu ist hingegen, dass man nach einer Infektion – nicht nur nach Sars-Cov-2 - während wenigen Wochen vorübergehend etwas anfälliger auf andere Infektionen sein kann. Es ist möglich, dass die Studienautoren diesen Effekt nun auch bei der mRNA-Impfung gesehen haben: Die Interferone waren nach drei Wochen zum Beispiel gegenüber Grippe und der Mundinfektion mit dem Soorpilz leicht reduziert. Dies kann, aber muss mit einer höheren Anfälligkeit auf Folgeerkrankungen nichts zu tun haben, sagt Becher. «Jahrelang wurden Patientinnen und Patienten mit multipler Sklerose zum Beispiel Interferone gespritzt. Hier hat man aber keinen besseren Schutz gegen Infektionen gesehen.»

Das sagen andere über die Interferon-Theorie
Das amerikanische Portal factcheck.org hat verschiedene Behauptungen prüfen lassen und keine der angefragten Experten sind besorgt. In einer anderen Studie über Interferone nach Impfung oder Infektion seien die Ergebnisse fehlinterpretiert worden: Die tieferen Interferon-Level seien in diesem Fall der Ausdruck von einer schwächeren Entzündungsreaktion nach Impfung. «Wir haben keine Daten, welche eine aktive Immununterdrückung zeigen», so Immunologe und Studienautor Sergei B. Koralov. «Im Gegenteil sahen wir sehr tiefe Entzündungswerte nach einer mRNA-Impfung und sehr hohe nach Covid-19.» Auch Elina Zúñiga, eine US-Molekularbiologin, welche Interferone erforscht, sagt: Das Ergebnis sei keineswegs überraschend.

IgG4 – oder warum ein weiterer mRNA-Booster wohl nichts mehr bringt

Eine dritte Studie allerdings hat mehr Forschende hellhörig gemacht: Denn ein Team um den deutschen Virologen Pascal Irrgang entdeckten die Entstehung von gewissen Antikörpern, die nur von der mRNA-Impfung hervorgerufen wird, nicht von anderen Corona-Impfungen – und nicht von einer Infektion.

Es geht um die Art der IgG-Antikörper, von denen es vier Sorten gibt, die IgG1 bis IgG4. Jede Klasse hat unterschiedliche Eigenschaften. Gewöhnlich werden nach einer Infektion oder Impfung Antikörper der Klassen IgG1 und IgG3 gebildet. Sie schützen sehr effektiv vor schwerer Erkrankung. Das war auch nach der ersten Impfung mit einem mRNA-Impfstoff der Fall. Nach der zweiten Impfung wurden noch mehr Antikörper dieser beiden Klassen produziert - zusätzlich aber auch einige Antikörper der Klasse IgG4. Durch die dritte Impfung wurden dann aussergewöhnlich viele IgG4-Antikörper induziert. Der Anteil dieser Antikörper stieg im Durchschnitt danach auf 14 Prozent.

Warum nur die mRNA-Impfung (Biontech/Pfizer wie auch Moderna) die IgG4-Produktion anregt, ist nicht klar, die Studienautoren schreiben: «Eine verlängerte Präsenz des mRNA-Stoffes oder der Antigene in den Lymphknoten könnte eine möglich Erklärung sein.» Ihre zweite Vermutung ist, dass das Impfintervall zwischen der ersten und zweiten Impfung zu kurz war und deshalb danach Gedächtnis-B-Lymphozyten gebildet wurden, welche durch die dritte Impfung zu Antikörper-bildenden Plasmazellen wurden. «Ich halte diese Erklärung für plausibler», sagt der deutsche Immunologe Andreas Radbruch, «denn auch beim AstraZeneca-Impfstoff dauert die Immunreaktion ein halbes Jahr, das Antigen ist also auch da lange präsent.»

IgG4-Antikörper sind wenig erforscht, aber haben einen schlechten Ruf: Man findet sie häufig bei Patientinnen und Patienten mit Entzündungskrankheiten, wie Autoimmunerkrankungen. Nur ist nicht klar, ob die Antikörper die Folge oder die Ursache dieser Krankheiten sind. Der schlechte Ruf rührt auch daher, dass IgG4-Antikörper schützende Antikörper blockieren können. Es wird befürchtet, dass das Immunsystem deswegen länger braucht, um Covid-19 zu bekämpfen.

IGG4 könnte Überschiessen des Immunsystems verhindern

Entzündungskrankheiten? Schlechtere Virusbekämpfung? Die Studie öffnete Tür und Tor für all jene, die ohnehin dachten, dass die mRNA-Impfung schädlich sei. Doch einmal mehr fehlt der Beweis, im Gegenteil könnten die IgG4-Antikörper auch ein gutes Zeichen sein.

Denn während IgG1 und IgG3 Entzündungen fördern und die Erreger so bekämpfen, ist IgG4 entzündungshemmend. So sagt Immunologe Burkhard Becher: «Zumindest bis zur Delta-Variante war der Hauptgrund für die Todesfälle eine Überreaktion des Immunsystems. Die regulatorischen Eigenschaften der IgG4-Antikörper könnten eventuell sogar positiv sein.»

Zudem zeigen Studien (siehe hier und hier), dass zumindest das Risiko für Denguefieber (ebenfalls durch ein RNA-Virus verursacht) bei Kindern, die mehr IgG4-Antikörper dagegen haben, deutlich tiefer ist.

Dass die durch die Impfung erhöhten IgG4-Antikörper einen negativen Effekt auf Covid-Verläufe haben, ist jedenfalls bisher nicht belegt. Denn die anderen Antikörper bleiben meist in der Mehrzahl und machen das Virus schnell unschädlich.

Es gibt eine Sättigung des Immunsystems

Immunologe Andreas Radbruch.
Immunologe Andreas Radbruch.bild: zvg

Allerdings werden wir künftig regelmässig mit Corona in Kontakt kommen: Was ist also, wenn die IgG4-Antikörper bei einer Reinfektion weiter ansteigen, wie dies in der Studie beobachtet wurde? Bei jenen Probandinnen und Probanden, die nach der dritten Impfung eine Infektion gehabt hatten, betrug der Anteil des IgG4 hohe 40 bis 80 Prozent. Radbruch ist nicht besorgt, er sagt: «Auch bei Personen mit hohem IgG4-Spiegel verlief die Reinfektion laut den Studienautoren mild. Ich erwarte zudem keinen linearen Anstieg weder bei weiteren Impfungen noch bei Infektionen.»

Dies, weil die Studie etwas anderes, Wichtiges zeigt: Nach drei mRNA-Impfungen hat das Immunsystem weitgehend genug von dem Impfstoff. Davon ist Andreas Radbruch überzeugt: «Nach der vierten Impfung passiert nur noch bei jenen etwas, die zuvor nicht viele Antikörper gebildet haben.» Das Immunsystem werde kaum noch getriggert, weil der Impfstoff beziehungsweise das codierte Protein durch die Antikörper abgefangen und unschädlich gemacht werde, bevor es eine neue Immunreaktion auslösen kann. «Wenn genug Antikörper da sind, schützen sie uns vor weiteren Immunreaktionen. Wir merken ausser einem Schnupfen meist nichts.»

Impfkommission schränkt Booster-Empfehlung ein

Wenn eine neue Impfung das Immunsystem aber kaum noch aus der Reserve lockt, machen dann weitere Booster-Impfungen Sinn? Bei der 4. Impfung mit bivalentem Impfstoff sah man in Studien nur noch eine leichte Zunahme der Antikörper. Auch der Schutz vor schwerer Krankheit erhöhte sich (Link zur Studie hier), dieser betrug aber schon davor durchschnittlich 85 Prozent und mehr.

Andreas Radbruch sagt: «Ob eine 4. oder 5. Impfung mit angepassten Impfstoffen etwas bringt und wenn ja, wieviel, bleibt abzuwarten. Zur Zeit sehe ich keine überzeugenden Daten dazu.» Er prognostiziert einen immer kleineren zusätzlichen Schutz. Selbst für Risikopersonen: «Diese müssten passiv mit Masken oder therapeutischen Antikörpern geschützt werden. Denn noch gibt es keinen Impfstoff, der langfristig vor Ansteckung schützt.» Eine solche Impfung müsste eine Immunität auf den Schleimhäuten der Atemwege hervorrufen.

Christoph Berger, Praesident, Eidgenoessische Kommission fuer Impffragen EKIF, spricht an einem Point de Presse zur Covid 19 Situation, am Dienstag, 26. Oktober 2021, in Bern. (KEYSTONE/Peter Schneide ...
Christoph Berger, Präsident der Eidgenössischen Impfkommission.Bild: keystone

Noch haben die meisten Länder nicht entschieden, wie weiter geimpft werden soll gegen Corona. Auch die Schweiz nicht. Der Chef der Eidgenössischen Impfkommission, Christoph Berger, sagt zur Studie: «Ich sehe keinen Grund zur Sorge, wir werden aber sehr aufmerksam beobachten, welche Daten weiter dazu erscheinen.» Da der Schutz gegen schwere Erkrankung bei Risikopersonen nachlasse, sei es das Ziel, sie mit den aktuellen Impfstoffen am ehesten auf den Winter hin, wenn das Virus stark kursiere, vorübergehend wieder gut zu schützen.

Am Donnerstag letzte Woche wurde die Ekif plötzlich konkret und teilte mit: Ab April bis im Sommer ist die Impfung nur noch Personen mit schwerem Immundefizit empfohlen. Man gehe davon aus, dass das Coronavirus nun saisonalbedingt weniger kursieren werde. (aargauerzeitung.ch)

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28 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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I am not you
13.03.2023 09:36registriert Februar 2022
mRNA-Impfung schwächt das Immunsystem? mit mRNA-Impfung wäre mein Freund, und Vater von zwei Kindern, wohl noch am leben
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Hansruedimeier7
13.03.2023 12:34registriert September 2021
Hmmm wo sind die Quellen zu diesen Aussagen? Woher die Todesursachenstatistik? Liebe Journalisten, bitte haltet auch an die Grundsätze. Der Artikel ist für die Katz.
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skandalf
13.03.2023 09:33registriert November 2021
Ich finde die Impfungen eine gute Sache. Muss wohl schon mindestens drei mal daran gestorben sein und habe es nichtmal gemerkt.
Super schmidi
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