Es war ein grosser Sieg für den Solothurner SVP-Kantonsrat Rémy Wyssmann: Der Jurist überzeugte den Datenschützer des Bundes, dass die Corona-Impfstoffverträge veröffentlicht werden müssen. Für die Rechtsabteilung des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) war es eine Niederlage: Sie wehrte sich bis zuletzt gegen die Offenlegung, zu welchen Konditionen die Schweiz Covid-Impfstoffe im Wert von mehreren hundert Millionen Franken eingekauft hatte.
Wyssmanns Sieg hätte diese Woche eigentlich gefeiert werden können. Hätte. Das BAG veröffentlichte am Mittwoch zwar 27 Vertragsdokumente, wirklich «öffentlich» waren diese aber nicht. Wichtige Details, etwa zur Frage der genauen Kosten oder den Haftungsbedingungen, wurden geschwärzt. Die Veröffentlichung wurde zur Farce: Die ausgedruckten Dokumente lieferten keine Einsicht in die Arbeit der Behörden, sondern verbrauchten in erster Linie hauptsächlich sehr viel schwarze Tintenpatrone.
Die Kritik war gross, der Rechtfertigungsbedarf des BAG noch grösser. Vom Bundesamt hiess es schon im August 2021, als Wyssmann zum ersten Mal ans BAG trat, dass eine vollständige Transparenz nicht möglich sei. «Dies nicht wie von Ihnen vermutet aufgrund von Geheimhaltungsvereinbarungen», sondern weil «wirtschaftspolitische Interessen der Schweiz» und privatwirtschaftliche Geschäftsinteressen auf dem Spiel stünden.
Diese Argumentation verfolgte das BAG auch diese Woche, als die geschwärzten Dokumente online gestellt wurden: Man hätte aufgrund «Berufs-, Geschäfts- oder Fabrikationsgeheimnisse der Hersteller» einige Informationen schwärzen müssen. Nach dem Motto: Das Gesetz verlangt es so, die Behörde musste sich dem fügen. Das ist aber nicht die ganze Wahrheit, wie watson-Recherchen zeigen.
Eines der veröffentlichten Dokumente zeigt unmissverständlich auf, dass es sehr wohl «Geheimhaltungsvereinbarungen» bei der Impfstoff-Beschaffung gab. Konkret und am auffälligsten war es bei jenem Vertrag, den die Schweiz am 5. August 2020 mit der Firma Moderna unterzeichnet hatte. Die Deals mit anderen Impfstoffherstellern wie Pfizer gingen nicht so weit.
Was war so besonders am Moderna-Vertrag? Er sah konkrete Regeln vor, welche «vertrauliche Information» aus dem Vertrag preisgeben werden dürfen – und vor allem: wie die Schweizer Behörden im Fall eines Transparenz-Gesuchs von Bürgerinnen und Bürgern vorgehen sollen. Anders als pikante Details zu den Beschaffungskosten waren diese im Moderna-Vertrag auf Seite 23 nicht (komplett) geschwärzt.
Dort vereinbarten Moderna, das BAG und die Armeeapotheke ein bestimmtes Prozedere, welches (sinngemäss und zusammenfassend übersetzt) folgenden Ablauf bei Transparenz-Gesuchen vorsah:
Welche Methoden genau die Schweiz «nutzen» muss, um Transparenz über vertrauliche Informationen zu verhindern, war zwar geschwärzt. So viel ist aber klar: Der Absatz verpflichtete das BAG und die Armeeapotheke unmissverständlich, proaktiv und von sich aus bestimmte Vertragsdetails geheim zu halten. Der Passus war also eine «Geheimhaltungsvereinbarung», deren Existenz die Behörden jedoch dementierten.
Skandalös ist dieser Punkt an sich nicht: Die Schweiz hat sich zwar mit dem Öffentlichkeitsgesetz zur Behördentransparenz verpflichtet, dieses sieht jedoch Ausnahmen vor, wenn «Berufs-, Geschäfts- oder Fabrikationsgeheimnisse» auf dem Spiel stehen. Diese Regel darf jedoch nicht absolut verstanden werden. Solche Geheimnisse wurden in der Praxis jeweils geschwärzt, weil sich Firmen – so sieht es die Rechtsprechung – einer gewissen Transparenzpflicht beugen müssen, wenn sie mit dem Staat Geschäfte machen.
In Gesprächen mit einem Experten des Lobbyvereins «Öffentlichkeitsgesetz.ch» wird der Deal kritisch begutachtet: Schweizer Behörden hätten eigentlich nicht das Recht, Zusicherungen für eine weitergehende Einschränkung der Transparenz zu machen. Sie seien lediglich ans Öffentlichkeitsgesetz des Bundes gebunden. Sprich: Die Behörden hätten sich zu dieser Geheimniskrämerei nicht verpflichten dürfen – oder dies zumindest nicht einhalten müssen.
Doch genau das taten sie im Fall des Moderna-Vertrags. Als Wyssmann sein Einsichtsgesuch im August 2021 einreichte, kam prompt eine Ablehnung des BAG. Das vertraglich vorgesehene Vorgehen, wonach Moderna informiert und zur Stellungnahme eingeladen werden muss, wurde übergangen. Stattdessen entschied das BAG selbstständig, dass Modernas «Berufs-, Geschäfts- oder Fabrikationsgeheimnisse» auf dem Spiel stehen. Wyssmanns Einsichtsgesuch wurde daraufhin abgelehnt.
Dieses Vorgehen wirft Fragen auf, da in der Schweiz grundsätzlich das Öffentlichkeitsprinzip gilt und alle Behörden zur Transparenz verpflichtet sind. Einschränkungen dieses Gebots sind möglich, wenn etwa wirtschaftliche Geheimnisse eines Unternehmens gefährdet werden. Allfällige Schwärzungen müssen aber gemäss Rechtsprechung nachvollziehbar und im Einzelfall begründet werden.
Dazu kam es aber nicht, worauf Wyssmann sein Gesuch an den Eidgenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten (EDÖB) weiterleitete. Dieser ordnete eine Schlichtungsverhandlung an, wo das BAG eigentlich die Geheimnistuerei im Detail hätte begründen können. Doch auch dazu kam es nicht: Der Datenschützer entschied, dass das BAG keine nachvollziehbaren, sachlichen und konkrete Gründe lieferte, um die Impfstoffverträge komplett geheim zu halten.
Es scheint also, als hätte das BAG sich genau am Vertragsinhalt orientiert: Wenn jemand ein Transparenz-Gesuch einreicht, so soll die Behörde von sich aus aktiv werden.
Einzig die Pflicht, wonach Moderna umgehend zur Stellungnahme eingeladen werden muss, scheint das BAG ignoriert zu haben: Moderna wurde – offiziellen Angaben zufolge – in den ersten drei Monaten nach Wyssmanns Transparenz-Gesuch vom BAG nicht angehört (laut Vertrag hätte das «so rasch wie möglich» passieren sollen), da noch einige Vertragsverhandlungen liefen. Als diese im März dieses Jahres abgeschlossen wurden, dauerte es weitere fünf Monate, bis diese Woche die geschwärzten Dokumente veröffentlicht wurden.
watson wollte vom Eidgenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten Adrian Lobsiger wissen, ob solche Geheimhaltungsvereinbarungen erlaubt sind. Seine Medienstelle verweigerte eine Stellungnahme, da die Behörde als Schlichtungsstelle «eine neutrale Rolle» haben müsse: «Er kann sich zurzeit in der Angelegenheit nicht äussern, ohne seine Unbefangenheit zu gefährden. Erst im Rahmen eines neuen Schlichtungsverfahrens würde der EDÖB seine Einschätzung in einer allfälligen Empfehlung abgeben.»
Von seiner Kommunikationsabteilung heisst es lediglich: Man habe dem BAG im Januar 2022 empfohlen, die Impfstoffverträge «nach Anhörung der betroffenen Unternehmen und unter Berücksichtigung des Verhältnismässigkeitsprinzips» zu veröffentlichen. In einem versteckten Seitenhieb gegen das BAG erinnert der Datenschützer daran, dass «namentlich die Wirksamkeit der angerufenen Ausnahmebestimmungen mit der von der Rechtsprechung geforderten Begründungsdichte» aufgezeigt werden könne. Das heisst auf Behördendeutsch: Wenn das BAG immer noch davon überzeugt ist, dass die Interessen von Moderna und Co. die Geheimnistuerei rechtfertigt, so müssten die Argumente auch vor Gericht standhalten.
Das Bundesamt für Gesundheit wollte sich in einer allgemeinen Stellungnahme nicht zum Widerspruch äussern, wonach es angeblich keine «Geheimhaltungsvereinbarungen» gab. Die Behörde teilt lediglich mit, dass die «inhaltlichen und prozessualen Vorgaben» des Öffentlichkeitsgesetzes befolgt wurden.
Die Impfstoff-Hersteller hätten die Möglichkeit erhalten, stichhaltige Gründe für das Vorliegen von Geschäftsgeheimnissen in den Verträgen bzw. einzelnen Vertragsbestandteilen zu liefern. Die vorgebrachten Begründungen seien zudem vom BAG mit Bezug auf die jeweiligen Textpassagen auf ihre Plausibilität hin überprüft worden. In einigen Fällen hätten diese Gründe überzeugt, in anderen widersprach das BAG die Schwärzungswünsche und verlangte konkretere Gründe. Abschliessend teilt das BAG mit: «Es steht jedem Gesuchsteller frei, im Rahmen eines Schlichtungsverfahrens die Schwärzungen einzeln vom EDÖB überprüfen zu lassen.»
Alles zum Wohle einiger, weniger, und zum Schaden der grossen Mehrheit.
Und der nächste Goldesel steht schon in der Pipeline...