Die Herbstferien sind bald in allen Kantonen vorbei. Somit treffen sich die Kinder nach den Ferien wieder in den geschlossenen Klassenräumen. Und wie während der Pandemie gelten die Schulkinder als Treiber der Corona-Infektionen. Es gebe keine Hinweise darauf, dass das heute anders sein sollte, sagt der Infektiologe Philipp Kohler vom Kantonsspital St.Gallen.
Nicht nur wegen des Schulbeginns ist in den kommenden kälteren Tagen und Monaten vermehrt wieder mit Sars-CoV-2-Infektionen zu rechnen. Auch sonst sitzen wir wieder näher aufeinander. Ein leichter Trend nach oben ist im Schweizer Abwasser bereits zu sehen. Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) hat dementsprechend dazu aufgerufen, dass sich Risikopersonen ab heute gegen Grippe und gegen Corona impfen lassen sollten.
In Deutschland steigen die Corona-Zahlen schon an. Dabei steht eine neue Variante im Fokus: XEC. Diese Untervariante der Omikron-Variante JN.1 scheint die derzeit dominierende Variante KP.3 zu verdrängen. «Diese XEC-Variante zirkuliert auch in der Schweiz und ist im Abwasser bereits zu finden», sagt Richard Neher, Virenanalyst am Biozentrum der Universität Basel.
«Wir gehen davon aus, dass XEC in vielen Teilen Europas ungefähr die Hälfte der Zirkulation ausmacht», sagt Neher. XEC sei auch in Nordamerika und Ozeanien auf dem Vormarsch. In Asien sei die Variant noch vergleichsweise selten. In der Schweiz deuten Abwasserdaten darauf hin, dass XEC bereits vor einem Monat einen Anteil von rund 20 Prozent der Virenlast ausmachte. Im Winter wird XEC dominieren.
Britischen Medien zufolge wurde in Grossbritannien beobachtet, dass Corona-Patienten sich bei XEC-Ansteckung stärker krank fühlten. Die Covid-Erkrankung fühlt sich demnach grippeähnlicher an. Zu den Symptomen gehörten gemäss einer britischen Ärztin Fieber, Husten sowie Kopf- und Gliederschmerzen, während bei den Vorgängervarianten vor allem Erkältungssymptome beklagt wurden. Allerdings gibt die Medizinerin zu bedenken, dass diese Daten des britischen Gesundheitswesens vor allem von Patienten mit schwereren Corona-Verläufen stammten. Das könne das Krankheitsbild von XEC etwas verzerren.
Dass sich Patienten mit einer XEC-Infektion kränker fühlten, sei aufgrund des ständig mutierenden Erbguts des Virus möglich. Das sei aber nicht unbedingt entscheidend, sagt der Infektiologe Kohler. «Entscheidend ist, ob sich dies auf die Hospitalisationen und Todesfälle auswirkt. Diesbezüglich gibt es bis jetzt keine beunruhigenden Hinweise.»
Grundsätzlich könne davon ausgegangen werden, dass aufgrund der breiten Immunität in der Bevölkerung ein guter Schutz vor schweren Infektionen besteht, auch gegen neue Sars-CoV-2-Varianten. «Risikopersonen sollten sich aber regelmässig impfen, um auch gegen neuere Varianten besser geschützt zu sein», sagt Kohler.
Richard Neher erklärt, dass XEC eine Kombination zweier JN.1-Untervarianten sei, die sich von anderen häufigen Varianten wie KP.3 an zwei Positionen im Spike-Protein unterscheide. «Diese Mutationen scheinen der Variante einen leichten Übertragungsvorteil zu bringen», sagt Neher. Das heisst, dass diese Variante etwas ansteckender sein wird. Allerdings sei das im Lichte der Evolution des Virus im vergangenen Jahr nicht aussergewöhnlich.
Das BAG empfiehlt Risikopersonen die beiden Impfstoffe von Moderna und Pfizer, die auf die Variante JN.1 ausgerichtet wurden. «Der neue Impfstoff wird sicher auch eine Teilwirkung gegen XEC haben. Deshalb ist es klar, dass sich Risikopersonen mit dem neuen Impfstoff impfen sollten», sagt Kohler dazu. Die Experten sind generell der Meinung, dass die neuen Impfstoffe gut gegen XEC wirken.
Weiterhin besteht nach einer Infektion aber die Möglichkeit einer Long-Covid-Erkrankung. Gemäss der Pharmafirma Moderna leiden in der Schweiz rund 200'000 Menschen daran.
«Es gibt nach wie vor keine spezifische etablierte Therapie gegen Long Covid», sagt Kohler, der selbst an bedeutenden internationalen Long-Covid-Studien beteiligt ist. Ein Grund dafür sei, dass die Entstehung von Long Covid nicht auf einen einzelnen Krankheitsmechanismus zurückgeführt werden könne, sondern dass verschiedene Systeme betroffen seien.
Zum Teil findet sich eine Störung des vegetativen Nervensystems, zum Teil eine Fehlbesiedelung des Darmes, also eine Veränderung des Mikrobioms, und in gewissen Fällen auch eine Entzündung der Gefässinnenhaut bei Long Covid. Je nach betroffenem System zeigen sich entsprechend auch unterschiedliche Symptome bei den Betroffenen. 200 verschiedene Symptome werden zu Long-Covid-Symptomen gezählt.
Trotz dieser unspezifischen Symptomatik glaubt Kohler, dass es in Zukunft Medikamente gegen Long Covid geben wird. «Welche Gruppe von Betroffenen davon am meisten profitieren wird, kann man aber definitiv noch nicht sagen. Viele momentan durchgeführte Studien haben aber das Ziel, die ausgeprägte Tagesmüdigkeit der Betroffenen zu reduzieren», sagt Kohler. Das ist ein Hauptsymptom der Erkrankung.
Eine Impfung beuge auch gegen Long Covid vor, sagte Daphne McCarthy, Medical Director von Moderna Schweiz, gestern an einer Medienkonferenz. «Ein Booster reduziert das Risiko von Long-Covid um 70 Prozent.»
Bekannt ist, dass das Corona-Virus das Gehirn direkt schädigen kann und auch, dass durch die Infektion ausgelöste Entzündungsprozesse im Körper neurologische Symptome wie Konzentrationsschwäche und Gedächtnisprobleme verursachen können. Aufsehen erregen in diesem Zusammenhang britische Studien. Eine Studie davon hat ein britisches Forscherteam im Fachjournal «Nature Medicine» publiziert.
Das Team um Benedict Michael von der Universität Liverpool schreibt, dass eine Corona-Infektion Defizite im Hirn bewirken kann, die einer vorzeitigen Hirnalterung von 20 Jahren entsprächen. Der Zusammenhang sei plausibel, sagt Kohler. Es gebe solche Signale auch nach anderen schweren Infektionen.
«Da die schweren Verläufe bei Covid heutzutage nicht mehr so häufig vorkommen, würde ich die Bedeutung dieser Studie aus Public Health Sicht aber nicht überbewerten», sagt der Infektiologe Kohler. Auch die britischen Studienautoren weisen darauf hin, dass es sich bei den Studienteilnehmern um schwer an Covid-19 erkrankte, hospitalisierte Menschen handle.
(aargauerzeitung.ch)