Vor dem geistigen Auge haben viele schon Wellen aus Salzwasser – und keine Corona-Wellen mehr. Doch jetzt zeigt die Omikron-Untervariante auch in der Schweiz, wie gut sie die bestehenden Immunitäten erneut umgehen kann: Die Fallzahlen sind zum ersten Mal seit Mitte März wieder gestiegen statt gesunken.
Dieser Trend ist jetzt in ganz Europa zu sehen. Portugal schert dabei aus: In diesem Land verbreitete sich BA.5 schon seit Anfang April und hat mittlerweile laut der ETH-Plattform CoV-Spektrum einen Anteil hochgerechnet 85 Prozent an allen kursierenden Varianten erreicht.
In Portugal sind die Fallzahlen in der Folge massiv gestiegen, auf beinahe die Hälfte des ersten Omikron-Peaks. Und die Zahl der wöchentlichen Corona-Todesfälle hat sogar fast den Stand des ersten Peaks erreicht.
Es ist denn auch noch nicht klar, ob BA.5 nicht stärker krank macht als die vorangehenden Varianten. Im Labor zeigte sich jedenfalls eine solche höhere Pathogenität. Doch in der Realität trifft die Untervariante auf eine hohe Immunität in der Bevölkerung, die auch bei BA.5 ein Stück weit vor schwerer Krankheit schützt.
Anders als in Portugal stiegen die Corona-Todesfälle in Südafrika, wo BA.5 bereits Anfang März auftauchte, nur wenig, auf einen Zehntel des ersten Omikron-Peaks.
Bislang bleibt der Fall Portugal ein Rätsel und hoffentlich ein Einzelfall. Doch eigentlich war die Immunität durch Booster-Impfungen und vorangehende Infektionswellen hoch. Eine - ungenügende - Erklärung ist, dass Portugal mit Boostern früher begonnen hat und der Schutz somit schon stärker gesunken ist.
Ebenfalls einen Effekt hat, dass die frühere Omikronwelle in Portugal bereits Anfang Februar verebbte, während BA.2 in den meisten anderen europäischen Ländern zu einer abgetrennten und späteren Welle führte, und erst im März die Fälle deutlich zurück gingen.
Was BA.5 in der Schweiz anrichten wird, ist deshalb schwierig vorherzusagen, die Verbreitung passiert hier mit sechs Wochen Verzögerung. In den Gensequenzdaten, welche von den Fällen von vor zwei Wochen stammen, liegt der Anteil von BA.5 bei rund 20-40 Prozent aller Varianten. Inzwischen ist laut den Modellierungen aber bereits mehr als die Hälfte der Infektionen auf BA.5 zurückzuführen. Und die Fallzahlen zeigen die Tendenz sich alle zwei Wochen zu verdoppeln, wie Tanja Stadler, ehemalige Taskforce-Leiterin und Leiterin von CoV-Spektrum sagt.
Zwar haben sich in der Schweiz sehr viele Leute bereits mit Omikron infiziert (auch unbemerkt), laut Schätzungen rund 80 Prozent. Doch das hilft nicht genug. Tanja Stadler sagt:
«Die Fallzahlen werden erst wieder gebremst, wenn die Immunität auch gegen diese Untervariante in der Bevölkerung genug hoch ist – oder wir unser Verhalten anpassen. Momentan hilft der Sommer um die Ausbreitung etwas zu bremsen.»
Doch mit dem Verhalten und den Massnahmen ist es so eine Sache: Wir geniessen das soziale Leben und gerade wurde auch noch in den meisten Spitälern die Maskenpflicht abgeschafft. Auch der Omikron-spezifische Impfstoff kommt für die BA.5-Welle zu spät: Moderna hat am Dienstag vermeldet, dass es gelungen ist, einen Impfstoff zu entwickeln, der gegen Omikron besser wirkt (siehe Artikel hier). Die Zulassung dürfte aber erst auf den Herbst hin erfolgen. Das ist besonders für Risikopersonen ein Problem – allerdings boostet der bisherige Impfstoff das Antikörperniveau bezüglich Omikron ebenfalls: Der neutralisierende Antikörper-Titer beim bisherigen Impfstoff von Moderna ist immerhin halb so hoch wie jener des Omikron-spezifischen Impfstoffs (1473 vs. 2372).
Ob uns also BA.5 den Sommer vermiest, lässt sich nicht abschätzen. Gesichert scheint einzig, dass die Spitäler durch den Immunitäts-Schutz vor schwerer Erkrankung nicht mehr an den Anschlag kommen werden. Offen ist hingegen, ob Feriendestinationen die Massnahmen wieder verschärfen oder erneut viel Personal nach einer Infektion ausfällt.
(aargauerzeitung.ch)
Warum wir daher wieder über Fallzahlen diskutieren ist mir unbegreiflich. :-/