Diese Ereignisse listet die Rechercheplattform «stopfemizid.ch» für das Jahr 2022 bisher. Laut den Aktivistinnen kommt es in der Schweiz alle zwei Wochen zu einem Femizid und jede Woche zu einem versuchten Femizid.
Ein Femi-was? Das aus dem 19. Jahrhundert stammende Wort erlangte 1976 durch die südafrikanische Feministin Diana Russell grössere Bekanntheit. Sie verwendete den Begriff, um damit extreme Gewalt gegen Frauen zu definieren und den Frauenhass dahinter sichtbar zu machen. Sie schrieb: «Femizid bezeichnet nicht nur die Tötung von Frauen oder die Tötung von Frauen durch Männer. Es ist ein begriffliches Instrument, ein Begriff, der speziell auf die sexistische, patriarchale, frauenfeindliche Tötung von Frauen und Mädchen durch Männer hinweist und sie politisiert.»
Anfang der Nullerjahre gelangte der Begriff nach Lateinamerika. Protestbewegungen wie Ni Una Menos (übersetzt mit: Keine weniger) machten auf die grosse Verbreitung von Femiziden in Ländern wie Mexiko, Brasilien oder Argentinien aufmerksam. Das führte unter anderem dazu, dass inzwischen in vielen lateinamerikanischen Ländern Gesetze gegen Femizide beschlossen und offizielle, staatliche Statistiken erhoben wurden.
Die Etablierung des Begriffs führte dazu, dass er vor einigen Jahren auch nach Europa und in die Schweiz kam. Die Ni Una Menos Gruppe in Zürich knüpft an den Protest der Organisationen in Lateinamerika an. Mit dem Begriff Femizid wollen die Aktivistinnen darauf aufmerksam machen, dass hinter einem Tötungsdelikt von einem Mann an einer Frau oft ein patriarchales Machtgefüge im Zentrum steht. Von «häuslicher Gewalt», «Beziehungsdelikt» oder «Familiendrama» zu sprechen, würde die Tat verharmlosen und das systemische Kernproblem verschweigen.
Während immer mehr Politikerinnen und Medienschaffende das Wort Femizid in ihren Sprachgebrauch aufnehmen, verzichten die Schweizer Strafverfolgung und behördliche Statistiken auf die Verwendung des Begriffs.
Das Europäische Institut für Gleichstellungsfragen der EU definiert Femizid so: «Der Begriff deckt unter anderem den Mord an einer Frau infolge Gewalt in der Partnerschaft, die Folter und frauenfeindliches Umbringen von Frauen, das Töten von Frauen und Mädchen im Namen der ‹Ehre› und anderes in Zusammenhang mit schädlichen Praktiken stehendes Töten, das gezielte Töten von Frauen und Mädchen in bewaffneten Konflikten und Fälle von Femizid in Verbindung mit Banden- oder organisierter Kriminalität, Drogen- sowie Frauen- und Mädchenhandel ab.»
Da es keine offiziellen Femizid-Statistiken gibt, kursieren verschiedene Zahlen zu Fällen in der Schweiz. Das Rechercheprojekt «stopfemizid.ch» listet für das vergangene Jahr insgesamt 26 Femizide. Im Jahr 2020 zählte die Plattform 16 Fälle.
Andere Zahlen liefert das Bundesamt für Statistik. Es listet die Tötungsdelikte, die im Kontext von häuslicher Gewalt begangen werden. Dazu gezählt werden Tötungsdelikte innerhalb einer Partnerschaft, einer ehemaligen Partnerschaft, einer Eltern-Kind-Beziehung oder innerhalb einer anderen Verwandtschaftsbeziehung. In der aktuellen Statistik für das Jahr 2020 werden 28 vollendete Tötungsdelikte im häuslichen Kontext gezählt. Davon waren zwanzig Opfer Frauen und acht Männer.
Einblick in die Tragweite des Problems in der Schweiz gibt auch die Polizeiliche Kriminalstatistik. Von 2011 bis 2020 wurden in der Schweiz insgesamt 479 Personen getötet. Bei 53 Prozent dieser Fälle handelte es sich um ein Tötungsdelikt innerhalb einer familiären oder partnerschaftlichen Beziehung. Von diesen 255 Personen waren 191 weiblich.
Zu einem ähnlichen Schluss kommt eine Studie des Eidgenössischen Büros für Gleichstellung: Während Tötungsdelikte in der Schweiz insgesamt zwar stark gesunken sind, gilt derselbe Trend nicht für Tötungsdelikte innerhalb der Partnerschaft. Diese sind in den letzten 20 Jahren stabil geblieben. Aktuell handelt es sich bei 40 Prozent aller Tötungsdelikte in der Schweiz um ein Tötungsdelikt innerhalb der Partnerschaft. Die Schweiz ist das einzige Land in Europa, in dem in den letzten Jahren insgesamt mehr Frauen als Männer Opfer eines Tötungsdelikts geworden sind, so die Studienautoren.
Nebst Aktivistinnen fordern auch immer mehr Politikerinnen und Politiker Massnahmen, um Gewalt gegen Frauen und insbesondere Femizide zu verhindern. Auch der Bundesrat schrieb in einem Postulatbericht, dass er Handlungsbedarf sehe und auf verschiedene Massnahmen setzen wolle. Dazu gehören Aktionspläne für Bund und Kantone, Sensibilisierungskampagnen, Erstellung von Studien und Statistiken, der Ausbau des Bedrohungsmanagements, eine bessere Betreuung von Opfern, Lernprogramme für Täter et cetera.
Eine konkrete Massnahme ist der Ausbau des elektronischen Monitorings. Bald soll es möglich sein, Überwachungsgeräte im Kontext der häuslichen Gewalt anzuwenden. Bisher waren beispielsweise Fussfesseln, die den Aufenthaltsort einer Person aufzeichnen, nur als Ersatzmassnahme einer Gefängnisstrafe möglich. Neu kann auch eine Person überwacht werden, die beispielsweise wegen häuslicher Gewalt ein Kontakt- und Rayonverbot erhielt. In welcher Form dieses elektronische Monitoring stattfinden soll, ist allerdings noch unklar.
Das setzt sonst ein Ermittlungsverfahren voraus und ein rechtskräftiges Urteil (sonst weiss man noch weniger, worin die Motivation des Täters lag).
Wenn man also Femizide statistisch ordentlich erfassen will, braucht man Studien über lange Zeiträume. Nicht eine Auflistung von Newsmeldungen.
Was die Polizei schnell machen kann und tut: Eventuelle Tötungsdelikte nach Geschlecht zuordnen und gegebenenfalls einer HG-Problematik zuordnen. Das bildet dann die Polizeistatistik ab.
Interessant wäre es mal auf dem Grund zu gehen, warum die Schweiz mehr Frauen ermordet werden als in anderen Ländern Europas. Haben wir eine tiefere "Bandenrivalität" und daher weniger Morde in diesem Bereich oder woher kommen diese Zahlen?