Immer mehr Menschen wohnen in Schweizer Städten. Eine Wohnung zu finden, wird zum stressigen Nebenjob. Doch unbemerkt davon hat eine Gruppe die Flucht ergriffen: die Schweizerinnen und Schweizer.
Die Zahl der Menschen mit Schweizer Staatsbürgerschaft nimmt dank Geburtenüberschuss und Einbürgerungen stets zu. In den letzten 10 Jahren stieg sie hierzulande von 6,2 auf über 6,5 Millionen. In vielen Städten ist sie hingegen rückläufig. Das belegen neue Daten des Bundesamts für Statistik. Während die beiden Zürcher Grossstädte und Lausanne von ihrer Zentrumsfunktion und den Hochschulen profitieren, hat im Rest der zehn grössten Städte eine Flucht der Schweizer eingesetzt oder könnte bevorstehen.
Besonders betroffen sind Genf, Basel, Luzern, St.Gallen und Lugano. Schon seit einigen Jahren stagniert dort die Bevölkerung mit Schweizer Pass. Zuletzt folgte die Trendwende. In Genf sinkt die Zahl der Schweizerinnen und Schweizer seit 2019 ohne Unterbruch, in Basel seit 2020, in St.Gallen und Lugano seit 2021. In Luzern wurde 2023 ebenfalls ein Rückgang registriert.
Ein Ende ist nicht in Sicht: Im Kanton Basel-Stadt wurden Ende August erneut weniger Schweizerinnen und Schweizer registriert als Ende 2023. Demnächst könnte Bern sich einreihen: Dort stieg die Zahl der Schweizerinnen und Schweizer in den ersten neun Monaten dieses Jahres nur noch um 0,038 Prozent. In Biel wiederum lebten vor zehn Jahren mehr Schweizerinnen und Schweizer als heute.
Was sind die Gründe dafür? Ein Erklärungsversuch anhand von fünf Beispielen.
An den Schweizer Kindern liegt es in Basel wie in den meisten Städten nicht. Ihre Zahl hat in den letzten 10 Jahren zugenommen. In Basel betrifft der Schweizer Exodus hingegen fast alle Erwachsenen. Selbst die Zahl der 20- bis 29-Jährigen mit rotem Pass ist zwischen 2013 und 2023 um fast 1200 auf 12'600 zurückgegangen. Das erstaunt, weil Städte attraktiv sind für Menschen in diesem Alter. Sie bieten Arbeits- und Studienplätze.
Tatsächlich ziehen aus der Gruppe der 20- bis 29-Jährigen mehr Schweizerinnen und Schweizer nach Basel als weg. Dass diese Altersklasse trotzdem kleiner wird, liegt daran, dass viele Kinder und Jugendliche schon vor ihrem 20. Geburtstag mit ihrer Familie aus der Stadt wegzogen. Zudem kamen zuletzt geburtenschwache Jahrgänge rund um die Jahrtausendwende in diese Altersgruppe. Von diesem Effekt sind alle Städte und die ganze Schweiz betroffen, die in den letzten 40 Jahren nie weniger Geburten von Schweizer Kindern verzeichnete als 2003.
Über alle Altersklassen hinweg gibt es in Basel-Stadt eine Flucht in die Umgebung: In die Agglomeration ziehen mehr Schweizerinnen und Schweizer als umgekehrt in die Stadt kommen. Mit dem Rest der Schweiz ist der Wanderungssaldo aber positiv, wie Melanie Imhof vom Präsidialdepartement sagt. Das unterstreiche die Attraktivität der Region, als deren Zentrum und «Magnet» Basel fungiere.
Dass die Stadt Schweizerinnen und Schweizer verliert, kann mehrere Gründe haben, etwa die steigenden Mietpreise bei gleichzeitig kleinem Wohnungsangebot. Der Kanton setzt nun auf zusätzlichen Wohnraum, damit das Wachstum auch innerhalb der Kantonsgrenzen möglich bleibt, wie Imhof sagt. Die städtischen Transformationsareale – grosse Flächen, die früher etwa für die Industrie genutzt wurden – böten eine Chance.
St. Gallen hat vor allem in zwei Altersgruppen ein Problem: den 20- bis 29-Jährigen und den 40- bis 64-Jährigen. Bei letzterer ist sie nicht alleine. Dass Menschen in diesem Alter aus Städten wegziehen, etwa, weil sie sich ein Haus in der Agglomeration oder auf dem Land kaufen, ist kein neues Phänomen. Bei den älteren Menschen ist St.Gallen sogar eine von wenigen Ausnahmen. Die Zahl der über 64-jährigen Schweizerinnen und Schweizer legt vergleichsweise stark zu.
Samuel Zuberbühler, der Leiter der Standortförderung der Stadt, sagt, den grössten Block von wegziehenden Personen verliere St.Gallen an den Kanton Zürich. Die wichtigsten Gründe für einen Umzug seien Veränderungen der privaten oder beruflichen Situation. Das impliziere, dass die wegziehenden Personen den nächsten Karriereschritt dort sehen.
Die Stadt St.Gallen habe eine geringere Wirtschaftskraft. Es sei naheliegend, dass grosse Wirtschaftsräume einen Sog entwickelten. In der aktuellen Situation sieht Zuberbühler eine Chance. Attraktiver Wohnraum sei in vielen Städten knapp geworden, womit Schweizerinnen und Schweizer ausserhalb nach Alternativen suchten. «Hier sehen wir Potenzial für St.Gallen», sagt er. Die Leerwohnungsziffer liege in der Stadt über dem Schweizer Durchschnitt.
Die Frage werde sein, wie St.Gallen der Bevölkerung attraktiven Wohnraum anbieten könne. In St.Gallen gut und günstig zu wohnen und in Zürich zu arbeiten, könnte ein Rezept für die Stadt sein. Das Mittelland als Wohn- und Arbeitsort werde immer stärker zusammenwachsen, glaubt Züberbühler.
Auch in Luzern war das Phänomen zuletzt zu beobachten. In den Jahren 2021 und 2023 nahm die Zahl der Schweizerinnen und Schweizer ab. Stadtpräsident Beat Züsli (SP) sagt, der Zeitraum sei zu kurz, um fundierte Aussagen zu treffen. Der Rückgang sei «marginal». Ein Trend sei nicht erkennbar.
Es bestehe kein Handlungsbedarf, findet Züsli. Die politischen Aktivitäten und Angebote der Stadt richteten sich sowieso nicht an einen ausgewählten Teil der Bevölkerung, sondern unabhängig von der Staatsangehörigkeit an alle. Die Stadt sei als Lebensraum «generell sehr attraktiv, auch für Menschen mit Schweizer Staatsangehörigkeit».
Sie schreibe monatlich alle Personen an, die in Sachen Wohnsitz die Voraussetzungen für eine Einbürgerung erfüllten, verbunden mit der Aufforderung, ein Gesuch einzureichen.
Ein Blick auf die Daten zeigt: Luzern hat wie St.Gallen in der Altersklasse der 20- bis 29-Jährigen ein Problem. In dieser gab es zuletzt immer weniger Schweizer. Ähnlich wie in St.Gallen dürften auch wirtschaftliche Gründe eine Rolle spielen.
Wieso aber sind nicht alle Städte betroffen? Auffällig sind in der Deutschschweiz die Gegenbeispiele Zürich und Winterthur.
Die Zahl der Schweizerinnen und Schweizer hat in Zürich zwischen 2013 und 2023 in fast allen Altersklassen zugenommen. Besonders stark war das Wachstum mit 22,3 Prozent bei den unter 20-Jährigen. Es wohnen aber auch mehr 20- bis 29-Jährige (+1,0%), 30- bis 39-Jährige (+8,1%) sowie 40- bis 64-Jährige (+12,0%) mit Schweizer Staatsangehörigkeit in der grössten Schweizer Stadt.
Die Gründe sind vielfältig: Einerseits profitiert Zürich davon, dass sowohl die ETH Zürich als auch die grösste Universität des Landes hier zuhause sind. Fast 80'000 Menschen sind an Zürcher Hochschulen eingeschrieben, von denen viele nach dem Studium bleiben. Die Zahl der Arbeitsstellen und Karrieremöglichkeiten ist so hoch wie nirgends. Diese wirtschaftliche Attraktivität überstrahlt negative Effekte, etwa die Verdrängung wegen höherer Mietpreise. Unter diesen leiden in Zürich vor allem ältere: Die Altersgruppe der über 64-Jährigen ist die Einzige, die eine Abnahme der Schweizerinnen und Schweizer verzeichnet.
Die Entwicklung könnte von der Regierung als Beleg dafür genommen werden, dass ihre Politik der Familienförderung funktioniert. Die Kehrseite der Medaille ist aber, dass die Durchmischung leidet. Zürich wird zur Stadt der gut verdienenden Akademiker. Zuletzt hatten fast zwei Drittel der 25- bis 64-Jährigen einen Abschluss auf Tertiärstufe, der höchste Wert aller untersuchten Städte.
Der Medianlohn lag im Jahr 2022 bei 8127 Franken gegenüber 6800 Franken im ganzen Land. Nicht halten lässt sich das Vorurteil der besser verdienenden Ausländer. Schweizerinnen und Schweizer verdienen in Zürich im Durchschnitt fast 1000 Franken pro Monat mehr als Personen ohne roten Pass. Diese erzielen allerdings in Branchen wie der IT oder der Finanzbranche etwas höhere Löhne.
Zürich verfügt über einen weiteren Vorteil: Mit 25 Prozent ist der Anteil an Wohnungen, die Genossenschaften oder der öffentlichen Hand gehören, fast doppelt so hoch wie in Bern oder Basel. Sie stehen frisch aus dem Ausland Zugezogenen oft nicht zur Verfügung und sind für Schweizer Familien nicht selten eine Möglichkeit, in der Stadt wohnen bleiben zu können.
Eng damit zusammen hängt die Entwicklung in der Stadt Winterthur. Sie ist das Kinderparadies der Schweiz und die einzige Stadt, in der der Anteil der unter 15-Jährigen höher ist als im Landesdurchschnitt.
Winterthur wächst zu einem grossen Teil wegen dem Zuzug aus der Stadt Zürich. Vor allem Familien finden hier günstigere Wohnungen vor. Gleichzeitig verbindet die S-Bahn die Stadt alle paar Minuten und innert einer Viertelstunde mit Zürich. Weil Winterthur aus seiner Industrie-Ära über grosse freie Flächen verfügt, werden viele Wohnungen gebaut. Auch ältere Schweizerinnen und Schweizer können sich die Stadt leisten, weshalb auch diese Altersgruppe stetig wächst.
Nachteilig für Winterthur ist, dass es immer weniger 20- bis 29-jährige Schweizer gibt. Aus finanzieller Sicht ist die Entwicklung nicht nur positiv: Kinder und ältere Menschen sind stärker von staatlicher Infrastruktur und Leistungen abhängig, während sie keine oder weniger Steuern abliefern.
Ausgedrückt wird das im Abhängigkeitsquotienten, der zeigt, wie viele unter 20-Jährige und über 64-Jährige auf 100 Menschen im Erwerbsalter kommen. In der Schweiz lag dieser Wert zuletzt bei 64,5, Tendenz stark steigend. In Winterthur legte er auf 57,8 zu und ist höher als in den meisten Städten. Für die Stadtkasse zahlt sich die Attraktivität für Schweizerinnen und Schweizer also nicht aus. Noch nicht: Wenn die vielen Kinder auch im Erwerbsleben in Winterthur bleiben, hat die Stadt fiskalische eine rosige Zukunft vor sich.
Die übrigen Städte sollte die Entwicklung aufschrecken. Ihr politischer Einfluss schwindet, wenn ein immer kleinerer Teil der Stimmberechtigten in ihnen wohnt. Aber auch für die Durchmischung und die Lebensqualität kann die Entwicklung negative Folgen haben. Ein Patentrezept gibt es nicht, aber immerhin eine Sicherheit: Ohne bezahlbaren Wohnraum und eine rege Bautätigkeit wird sich der Trend fortsetzen.
Und dann sind es 2 der 5 beispiel-Städte, die Schwankung ist im Promillebereich und alle anderen beispiele sprechen dagegen.
Text-Daten-Schere ist mal wieder gross, was genau will uns dieser Titel sagen?
Also in der Realität steigt das steuerbare Einkommen in allen Städten, das heisst, wir haben die klassische Gentrifizierung, okay und dass diese bei einem Land mit hocheinkommens-Migration ein überproportional stärkeres Wachstum der Ausländischen Stadtbevölkerung ist, wundert jetzt niemand.
So als Ansatz einer sachlichen Analyse...