Der sonst eher versteckte Judenhass wird in unserer Gesellschaft immer sichtbarer. Das betrifft nicht nur Islamisten und Linksextreme, sondern auch Neonazis. Der von Schweizer Hitler-Fans verbreitete Antisemitismus ist seit dem 7. Oktober 2023 virulenter geworden. In den sozialen Medien verzeichnen Rechtsextreme Zulauf.
Während Instagram immer wieder Neonazi-Profile löscht, versprühen hasserfüllte Schweizer Fanatiker auf Telegram meist ungestört ihr Gift. Sie verhöhnen die Opfer des Holocaust und hetzen gegen Juden und Dunkelhäutige. Die Justiz scheint es nicht zu interessieren, obwohl es sich bei Verstössen gegen die Rassismusstrafnorm um Delikte handelt, die von Amtes wegen zu verfolgen wären.
Da ist zum Beispiel der dreissigjährige Kevin S., dessen Telegram-Kanal Ende September 2023 noch 2000 Abonnenten aufwies. Nach dem antijüdischen Pogrom der Hamas am 7. Oktober ging es erst richtig los. Innerhalb kürzester Zeit schoss die Abonnentenzahl auf mehr als 3200 - eine Steigerung um beachtliche 60 Prozent. Doch dann löschte Telegram den Kanal, und Kevin S. musste wieder bei null anfangen. Sein neues Propagandavehikel hat unterdessen aber schon wieder mehr als 1800 Abonnenten, Tendenz steigend.
Kevin S. ist sehr umtriebig, wenn es darum geht, seine Weltanschauung zu verbreiten, und zwar nicht nur auf Telegram. Auf einem inzwischen gelöschten Instagram-Konto mit dem Namen «Kinderzimmerterrorist» lud er ein Meme hoch, in dem ein stehender Mann mit einer Pistole einen knienden Juden von hinten mit einer Pistole bedroht. Die Aufschrift lautete: «Kill your local anti-white». Es war eine Aufforderung, Juden und andere Menschen zu ermorden, die Neonazis für Feinde der «weissen Rasse» halten. Dazu passen auch andere Beiträge: Da heisst es zum Beispiel «Juden raus» oder «Lösch Israel aus». Auf einem weiteren Bild ist ein Galgen zu sehen, der als «Asylanten-Entsorgungsgerät» bezeichnet wird.
In seine Telegram-Kanäle baut der Luzerner manchmal versteckte Referenzen an die amerikanische Terrorgruppe Atomwaffen Division oder den australischen Rechtsextremisten Brenton Tarrant ein. Tarrant hatte 2019 in Neuseeland bei einem Anschlag auf zwei Moscheen 51 Menschen ermordet.
Neben seinem politischen «Hobby» hat sich Kevin S. auch schon als Disk Jockey in der Innerschweiz versucht. Sein privates Archiv von Zigtausenden Songs rechtsextremer Bands teilt er in einem gesonderten Telegram-Kanal mit rund 6000 Abonnenten. Zwei Songtitel der riesigen Auswahl als Beispiele: «Jud, du hast das Land gestohlen» und «Zyklon B». Es ist immer wieder erstaunlich, welche intellektuellen Pirouetten Neonazis drehen, wenn sie einerseits den Holocaust leugnen und dann anderseits das berüchtigte Giftgas hochleben lassen, das in Auschwitz für den industriellen Massenmord verwendet wurde.
Auf sein linkes Schienbein hat sich Kevin S. das Wort «Hass» tätowieren lassen, wobei das Doppel-S aus den Sigrunen der SS besteht. Rassenmischung führt in seinem Weltbild zum Rassentod. Genau dies sei die Absicht der «zionistischen Besatzungsregierungen», die den weissen Menschen mittels Massenmigration den Garaus machen wollten, schreibt Kevin S. auf Telegram. Juden stellt er als Ratten dar, und der Holocaust ist für ihn ein «Holohoax», wobei man das englische Wort «hoax» als Täuschung, Trick oder Scherz übersetzen kann.
Ganz in diesem Sinn hat der tätowierte Luzerner ein fünfzehnseitiges Pamphlet über die angebliche «Auschwitz-Lüge» veröffentlicht und ebenso ein Video mit dem Titel «Ein Kind in Auschwitz». Darin werden Bilder von glücklichen Kindern in deutschen Konzentrationslagern gezeigt, Puppentheater und Tanzvorführungen inklusive. In unübertroffen zynischer Weise werden Fotos der Schwimmbecken von Auschwitz, Treblinka oder Mauthausen eingestreut, um zu zeigen, wie gut es die KZ-Häftlinge dort angeblich hatten. Das Video leugnet nicht nur den Holocaust, sondern verhöhnt die Millionen Opfer der Konzentrations- und Vernichtungslager.
Mit einem seiner Neonazi-Kollegen liess sich Kevin S. an einer SVP-Veranstaltung in der Zentralschweiz ablichten. Mitten im Bild lächelt eine Luzerner SVP-Politikerin und legt den beiden Neonazis die Hände mütterlich auf die Schultern. Auf Anfrage erklärt die Politikerin, dass es sich um ein Zufallsfoto an einer für alle offenen Veranstaltung der SVP gehandelt habe. Die beiden jungen Männer hätten etwas verloren gewirkt, darum habe sie sich mit ihnen fotografieren lassen. Sie kenne die beiden aber nicht, und diese seien auch seither nie mehr bei der SVP aufgetaucht. Dennoch hat die Politikerin das Foto auf ihrem Facebook-Profil geteilt, es wurde inzwischen aber wieder gelöscht.
Der zweite Neonazi auf besagtem Foto heisst Yanik L., ist 26 Jahre alt und wohnt im Kanton Basel-Landschaft. Auch er ist in den sozialen Medien aktiv, aber im Gegensatz zu Kevin S. führt er auf Telegram eine Chatgruppe mit nur etwas mehr als zwanzig ausgesuchten Mitgliedern. Die Beiträge in der winzigen Gruppe haben es in sich. Gruppenmitglieder leugnen den Holocaust und verunglimpfen Juden als «Lausebärte» oder «Knollen».
Yanik L. liess auch einen Beitrag mit einem Link auf das Mordvideo des australischen Terroristen Brenton Tarrant stehen. Darin ist zu sehen, wie Tarrant eine Moschee im neuseeländischen Christchurch stürmt und zahlreiche Muslime kaltblütig erschiesst. Soll das Video etwa als Vorlage für einen Terroranschlag bei uns dienen, oder warum verbreitet jemand so eine Gewaltorgie? Yanik L. scheint jedenfalls selber gewalttätig zu sein. In einem Video ist er zu sehen, wie er einen am Boden liegenden jungen Mann in Liestal brutal zusammenschlägt.
Der 26-Jährige arbeitet als Handwerker. Bei ihm zu Hause hängt eine Fahne der inzwischen aufgelösten Partei national orientierter Schweizer (Pnos). Der dritte Neonazi im Bund, Sandro R., war sogar Mitglied in der rechtsradikalen Pnos, entwickelte sich dann aber zunehmend zu einem esoterisch verklärten Nationalsozialisten.
Es scheint so, als ob das Ende der Pnos vor zwei Jahren in der Neonazi-Szene der Deutschschweiz ein Vakuum hinterlassen hat, das die drei Einzelkämpfer Kevin S., Yanik L. und Sandro R. durch einen losen Bund der einsamen Neonazis zu schliessen versuchen. Tatsächlich beschrieb Sandro R. sein Propagandavehikel als «Kanal vom Orden der einsamen Gerechten». Dort wimmelt es von Hakenkreuzen und SS-Totenköpfen. Juden stellt Sandro R. als hakennasige Geschäftemacher und Strippenzieher dar: Es gehe um die Wahl zwischen der jüdischen Weltherrschaft und dem «schöpferischen Leben der arischen Rasse in Gegenwart und Zukunft». In seiner besten Zeit hatte der Kanal mehr als 3000 Abonnenten.
Ob er sich bewusst sei, dass er strafbare Inhalte verbreite? Sandro R. antwortet: Ja, aber jemand müsse schliesslich die Wahrheit sagen. Ob er ein Antisemit sei? Er sei nicht grundsätzlich gegen Juden, sagt der Nationalsozialist. Er habe zwei Jahre lang als Handwerker im Zürcher Quartier Wiedikon gearbeitet und da bei vielen Juden am Tisch gesessen. «Es ist mir doch egal, wenn jemand Jude ist. Mir ist aber nicht egal, wenn jemand mit seinen Machenschaften auf den Volkstod meiner Landsleute hinarbeitet. Meistens erfüllen die Wiedikoner Juden aber tatsächlich sämtliche Klischees.»
Sandro R. ist selber nicht gewalttätig. Als er noch bei der Pnos war, erhielt er aber Wind von einem Reparaturauftrag an der Wohnadresse von SP-Nationalrat Fabian Molina in Zürich, inklusive Handy-Nummer. Prompt unterrichtete er seine Neonazi-Kumpane, und man machte sich dann gemeinsam Gedanken, ob man die Adresse nun veröffentlichen solle. Ein Aufruf zur Gewalt gegen den Nationalrat gab es damals aber nicht. Fedpol, das für den Schutz von Bundesparlamentariern zuständig ist, schaltete sich ein, allerdings ist nicht bekannt, ob das für Sandro R. Folgen hatte.
Während die einsamen Neonazis ihre Aktivitäten auf die sozialen Medien konzentrieren, haben andere, nicht weniger radikale Fanatiker einen anderen Weg gewählt: Sie gründeten inzwischen die Nachfolgepartei der Pnos. Diese nennt sich Nationalpartei und zieht es vor, im Untergrund zu bleiben. Allerdings schrieb sie ehemalige Pnos-Anhänger an, um neue Mitglieder zu rekrutieren. Interessenten konnten sich bei einem Postfach im Kanton Thurgau melden.
Die graue Eminenz hinter der Formation ist ein 59-jähriger Innerschweizer, der zum internationalen Neonazi-Netzwerk Blood & Honour (Blut und Ehre) gehört. In den 1980er-Jahren fiel der Mann unter anderem bei Anschlägen auf Asylheime auf.
Zwischen der Nationalpartei und den drei einsamen Neonazis gibt es nicht nur ideologische Differenzen, sondern auch einen erheblichen Altersunterschied. Mitglieder der Nationalpartei sind in der Regel um einiges älter als die jungen Internet-Aktivisten. Rechtsextreme haben genauso wie politisch anders Gepolte das Recht, Parteien zu gründen. Dort, wo wie im Fall der einsamen Neonazis Mordaufrufe und rassistischer Hass verbreitet werden, sollte aber die Justiz endlich ihre Arbeit machen.
Konfrontiert ihr diese mit diesen Informationen und fragt sie, warum in diesem sowas möglich ist?
Diese Gruppen waren schon immer da. Aber werden vor allem durch die heutige Kommunikation sichtbarer. Und natürlich spüren die immer Frühling, wenn ein wenig Krisenstimmung herrscht.
Was da nur schon während der Pandemie alles hochgespült worden ist, schwankte zwischen lächerlichen Witzfiguren und beängstigenden Anarchisten.
Trump 2017 war aber gefühlt die Initialzündung in eine neue Ära unverblümter Dummheiten!