BYD wagt sich ins dichteste Getümmel: Nachdem die Chinesen mit ihren Elektroautos bislang vor allem in der Oberklasse oder bei den Kleinwagen ihr Glück versucht haben, treten sie jetzt mit einem kompakten SUV im wichtigsten Segment des Markes an.
Atto 2 heisst der Hoffnungsträger, der Mitte März für Preise ganz knapp unter 30'000 Euro gegen Modelle wie den Skoda Elroq, den Hyundai Kona oder gar den VW ID.3 antreten will. Demnächst wird BYD auch in der Schweiz aktiv. Der weltweit zweitgrösste E-Auto-Hersteller nach Tesla richtet zurzeit in der Nähe der Zürcher Bahnhofstrasse einen luxuriösen Showroom ein.
Auf den ersten Blick ist der Atto 2 ein verlockendes Angebot. Denn abgesehen von seinem eigenwilligen Namen ist der Atto 2 ein gefälliges Auto in einem gängigen Format: Er sieht nicht verspielt aus, sondern seriös, hat einen schnittigen Bug und ein aufrechtes Heck und gibt sich mit markanten Schwellerleisten an der Flanke einen rustikalen Anstrich.
Vor allem passt er mit 4,31 Metern perfekt in die Kompaktklasse und hat annähernd die gleiche Länge wie ein VW Golf (4,28 Meter).
Nur, dass er natürlich mehr Platz bietet: Bei 2,62 Metern Radstand und einer topfebenen Skateboard-Plattform sitzen Erwachsene auch im Fond noch bequem, und der Kofferraum ist mit 400 bis 1'340 Litern absolut familientauglich. Fehlt eigentlich nur der Frunk unter der Bughaube, den die Entwickler womöglich irgendwo auf dem Weg zur Serie vergessen haben, aber möglichst bald nachreichen wollen.
Dazu haben sich die Chinesen auch im Interieur stark am europäischen Geschmack orientiert: Das gilt für die nüchterne, aber im gegebenen Kostenrahmen erfreulich vornehme Materialauswahl.
Vor allem bei der Bedienung: Es gibt wieder echte Tasten im Lenkrad, die Spiegel verstellt man mit einem Knopf. Und auch auf dem Mitteltunnel findet man tatsächlich ein paar Taster – selbst einen Schaltknauf haben sie dort aufgepflanzt. Auch wenn man mit dem nur zwischen vorwärts und rückwärts wählt.
So ganz können die Macher ihre digitalen Ambitionen freilich trotzdem nicht verhehlen. Zum animierten Cockpit gibt es deshalb wie immer bei BYD auch den drehbaren XXL-Bildschirm vor der Mittelkonsole. Irgendwo in den Tiefen des Menüs findet sich eine Karaoke-App.
Und wie fast alle Chinesen hat auch BYD die – grundsätzlich erfreulich vielen – Assistenz- und Sicherheitssysteme vergleichsweise sensibel und nervös ausgelegt. Von den Parksensoren mit 360-Grad-Kamera-Übertragung beim Rangieren ganz zu schweigen. Deshalb bimmelt es bisweilen im Atto 2 wie in einem Spielsalon bei Hochbetrieb.
Der Atto 2 verliert allerdings viel von seinem Glanz, wenn man auf die technischen Daten schaut (siehe Tabelle am Ende des Artikels). 133 kW/177 PS, ein Sprintwert von 7,9 Sekunden von null auf 100 km/h und maximales Tempo 160 sind zwar völlig in Ordnung für diese Klasse. Da sind selbst viele Verbrenner nicht besser. Und das Fahrverhalten ist mit einem komfortbetonten Fahrwerk und einer relativ leichtgängigen Lenkung tadellos familienfreundlich.
Doch der Akku fasst gerade mal 45 kWh und ist nach 312 Normkilometern leer. Im Alltag dürften daraus eher 250 werden. Und als wäre das nicht schon Einschränkung genug, bummelt der Atto 2 an der Ladesäule gewaltig: Bei maximal 65 kW Leistung an der DC-Buchse benötigt man ganz schön viel Sitzfleisch – oder fährt gleich an die hoffentlich heimische Wallbox, wo BYD mit 11 kW AC-Ladeleistung wieder im Mittelfeld liegt.
Durchschnittlicher Preis, aber unterdurchschnittlicher Akku: So katapultieren sich die Chinesen aus dem Konkurrenzumfeld und fahren eher gegen elektrische Einstiegsmodelle wie den Citroën eC3 Aircross, den Opel Frontera oder bald den Renault 4. Nur, dass die alle teilweise sogar deutlich weniger kosten und trotzdem ohne Ausnahme schneller laden.
Deshalb geht BYD in die Relegation und hat für den Herbst bereits eine zweite Batterie für das Top-Modell angekündigt, die für etwa 400 Kilometer sorgen und schneller laden soll, dann aber auch noch einmal mehr kosten wird.
Zwar hat BYD weltweit einen beeindruckenden Aufstieg hingelegt und mittlerweile auch viele spannende Stromer nach Europa gebracht. Doch just bei ihrem bislang vielleicht wichtigsten Modell patzen die Chinesen ausgerechnet bei ihren Kernkompetenzen. Denn sie bestücken ein rundherum überdurchschnittliches Auto mit einem nicht mal mittelmässigen Akku.
Ja, sie wollen bald eine bessere Batterie einbauen, und wenn sie ab 2026 in Europa produzieren, fallen die Zölle und mit ihnen vermutlich die Preise. Doch bis dahin ist der Atto 2 der beste Beweis dafür, dass nicht jeder vielversprechende Neuling aus China sofort überzeugt.
(dpa/t-online/oli)
Ein Akkupack besteht aus vielen einzelnen Akkuzellen (100 bis mehrere Tausend). Jede Zelle kann eine gewisse Leistung aufnehmen oder abgeben (grössere Zellen mehr, kleinere weniger). Wird eine gewisse Leistung abegeben (fahren) oder aufgenommen (laden), teilen sich die Zellen diese Leistung auf. Bei einem kleineren Akku (kleinere oder weniger Zellen) muss jede Zelle dem entsprechend mehr leisten für die gleiche Gesamtleistung. Aus diesem Grund wird man nie ein Auto mit einem kleinen Akku und grosser Ladeleistung sehen.