Es ist Mittagszeit im zürcherischen Stadel. Ein Dutzend Jugendliche haben sich vor dem Dorfladen versammelt, zeigen sich gegenseitig Videos auf ihren Smartphones und lachen dabei bestens gelaunt.
Dass die Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra) ihren Heimatort als Atommüll-Tiefenlager ausgewählt hat, interessiert die Teenies eher weniger: «In der Schule haben es die Lehrer erwähnt und gemeint, dass es halt scheisse ist», erklärt eine Schülerin, zuckt mit den Schultern und schaut wieder auf ihr Handy.
In der 2000-Seelen-Gemeinde, die nur wenige Kilometer nördlich der Stadt Zürich liegt, regt sich kaum Widerstand.
Die Anwohnerin M. B. (46), die schon seit ihrer Jugend in Stadel heimisch ist, meint dazu: «Natürlich ist dieser Entscheid ein grosses Thema und beschäftigt uns. Aber irgendwo muss dieses Material doch gelagert werden.» Ausserdem sei der Entscheid für die Anwohnerinnen wenig fassbar, da die Umsetzung des Atommülllagers zeitlich so weit weg liege.
Die Stadlerin fügt hinzu: «Deswegen von Stadel wegzuziehen kommt nicht infrage!» Einzig, dass die Immobilienpreise nun sinken könnten, empfindet sie als ärgerlich. «Aber», fügt die 46-Jährige überzeugt hinzu, «definitiv ist noch gar nichts. Ob es am Ende wirklich hier gebaut wird, bezweifle ich.»
Frau S. (35), die mit ihrer Mutter (70) und ihren Kleinkindern durch das Dorf spaziert, findet den Entscheid auch nicht toll, aber immerhin hätten sich die Behörden wirklich darum bemüht, die Bevölkerung stets auf dem Laufenden zu halten: «Das empfinde ich als sehr positiv. Die Entscheidung ist nicht erfreulich, aber wir müssen diesen Müll ja irgendwo lagern.»
Eine grosse Qatar-Maschine setzt zum Landeanflug im nahegelegenen Flughafen Zürich an und düst an unseren Köpfen vorbei. Frau S. ergänzt: «Es ist dasselbe wie mit dem Flugverkehr: Alle wollen fliegen, aber keiner will den Fluglärm.» Zudem findet die zweifache Mutter, dass es auch eine Chance sein kann, die nächsten Generationen für ein umweltbewusstes und nachhaltiges Leben zu sensibilisieren: «Die Kinder müssen lernen, dass unser Handeln immer Konsequenzen mit sich zieht, wie beispielsweise die Lagerung dieses Atommülls.»
Und die Mutter von S. fügt hinzu: «Meiner Ansicht nach hat man dieses Thema der Atommüll-Entsorgung die letzten 50 Jahre verplempert. Man hätte sich schon am Anfang genau überlegen müssen, was man mit diesem Abfall macht, oder es dann eben ganz sein lassen.» Ein Wegzug aus der Gemeinde ist auch für die Familie S. kein Thema.
Es ist früher Nachmittag im zürcherischen Stadel. Ein Dutzend Erwachsene höheren Alters hat sich versammelt, um gegen den Entscheid der Nagra zu demonstrieren. Es ist ruhig, die Stimmung wirkt gedrückt.
Werner Ebnöther, der aus der Nachbargemeinde Weiach stammt, ist im Vorstand des Vereins «Loti – Nördlich Lägern ohne Tiefenlager» und hat für den Entscheid der Nagra kein Verständnis: «Stadel verkommt zur Abfallregion des Zürcher Unterlandes, respektive der ganzen Schweiz. Wir haben schon einen recht grossen Lärm, den wir schlucken müssen: 70–80 Prozent vom gesamten Anflugverkehr kommt über die Gemeinden Weiach und Stadel. Und jetzt soll hier auch das Atomendlager gebaut werden, das unsere nächsten Generationen schlucken müssen.»
Im Gebäude nebenan hält der Nagra-CEO, Mathias Braun, vor versammelten Medienschaffenden eine Medienkonferenz und erklärt: «Die Geologie hat gesprochen.» Davon ist Herr Ebnöther nicht überzeugt: «Die Testbohrungen haben in Bülach, also rund um das eigentliche Gebiet, stattgefunden. Was die Geologie spricht, weiss auch Herr Braun nicht.»
Sicherheit habe man erst, wenn man tatsächlich am eigentlichen Ort gräbt. Viel besser sei es, fährt Ebnöther fort, den Atommüll so sicher wie möglich zu vergraben, jedoch zugänglich zu lassen und der Wissenschaft Zeit zu lassen: «Wer weiss, welche Möglichkeiten uns in 50 Jahren zur Verfügung stehen.»
Für den Aktivisten ist klar: «Dies ist ein schwarzer Tag für das Zürcher Unterland.»
Das gehört auf ein T-Shirt gedruckt. :)