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So weit sind andere Länder bei der Suche nach einem Atommüll-Endlager

The Cattenom Nuclear Power Plant in Cattenom, eastern France, Thursday, Sept. 8, 2022. French President Emmanuel Macron called this week for a sharp 10% reduction in the country's energy use in c ...
Wohin mit dem stark strahlenden AKW-Abfall? Diese Frage stellt sich die ganze Welt.Bild: keystone

Diese Länder haben schon ein Atommüll-«Endlager» – aber nicht für hochradioaktiven Abfall

Die Nagra hat sich festgelegt: Das Schweizer Atommüll-Tiefenlager soll in den Kanton Zürich. Obwohl der Entscheid umstritten ist – die Schweiz macht damit einen grossen Schritt. Einige Länder sind etwas weiter bei der Suche nach einem Endlager-Standort. Andere nicht.
12.09.2022, 18:3213.09.2022, 16:09
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Niemand will es – aber irgendwo muss es hin: So simpel lässt sich die Lage in der Schweiz bezüglich der Standortwahl des Atommüll-Tiefenlagers zusammenfassen.

Am Wochenende kam heraus, dass dieses laut Vorschlag der Nagra in der Region Nördlich Lägern auf dem Gebiet der Zürcher Gemeinde Stadel errichtet werden soll.

Die Verantwortlichen der Nagra erläuterten den unpopulären Entscheid am Montagmorgen:

Denn unpopulär ist dieser definitiv. So äusserten sich bereits zahlreiche Vertreter der direkt betroffenen Gemeinden in der Region kritisch. Und nicht nur: Auch jenseits der Landesgrenze, auf deutscher Seite, hört man skeptische Voten. Die Sorgen sind vergleichbar mit jenen in der Schweiz: Die Belastung durch Bau und Betrieb des Lagers, aber beispielsweise auch Bedenken bezüglich Schutz der Trinkwasserquellen in der Region.

Deutschland

Das deutsche Bundesland Baden-Württemberg sieht sich damit mit den Konsequenzen eines Entscheides konfrontiert, der in Deutschland überhaupt erst noch ansteht. Bei unserem nördlichen Nachbarn läuft die Debatte über einen geeigneten Standort für ein Atommüll-Tiefenlager nämlich noch – und das noch eine ganze Weile: Frühestens im Jahr 2031 wird ein Entscheid erwartet, vorläufiger Zieltermin, um mit der Lagerung zu beginnen, ist das Jahr 2050.

Das Suchverfahren wurde in Deutschland 2013 nochmals neu gestartet, laut einem Zwischenbericht aus dem Jahr 2020 sind 90 Regionen im Land potenziell geeignet, um hoch radioaktiven Abfall zu lagern. Eine Tendenz zu einer bevorzugten Region gibt es aber noch nicht. Weiter sind die Deutschen bei der Wahl eines Lagerstandorts für weniger stark radioaktiven Abfall. Nach Verzögerungen soll ab 2027 der «Schacht Konrad», ein stillgelegtes Eisenerz-Bergwerk in der Nähe von Braunschweig, betriebsbereit sein, um AKW-Abfall aufzunehmen.

Die Suche nach einem «Endlager» beschäftigt aber nicht nur die Schweiz und Deutschland. Jedes Land mit Atomkraftwerken steht vor derselben Herausforderung.

Hier ist ein Überblick zur Situation bezüglich der «Endlager»-Frage in anderen Ländern:

Frankreich

In Frankreich spielt Atomstrom eine wichtige Rolle. Kein anderes Land hat derart viele Atomkraftwerke pro Kopf wie unsere Nachbarn. Dementsprechend sind die Franzosen auch auf ein Tiefenlager angewiesen – und dies möglichst zügig.

Bezüglich des Standorts scheint das Land fündig geworden zu sein: Das kleine Dorf Bure in Lothringen im Osten Frankreichs hat sogar bereits selbst zugestimmt, die Bürde eines solchen Lagers zu tragen. Geeignet ist Bure aufgrund des dortigen Tonsediments in der Erde. Seit einigen Jahren wird mittels eines Testlabors untersucht, ob die langfristige Lagerung der Abfälle tatsächlich möglich ist. Sollten die Tests erfolgreich sein, ist der Plan, ab 2035 mit der Lagerung beginnen zu können.

epa10161779 France's President Emmanuel Macron addresses the media following a conference with Germany's Chancellor Olaf Scholz (not pictured) on the energy crisis via video link, at the Ely ...
Emmanuel Macron weiss bereits, wo Frankreich seinen Atommüll deponieren will – es gibt allerdings nach wie vor Proteste gegen den Entscheid.Bild: keystone

Anders als beispielsweise in Schweden (siehe weiter unten) ist der Standort in Bure umstritten. Die Proteste in der lokalen Bevölkerung hielten sich zwar in Grenzen – wohl auch aufgrund der massiven finanziellen Entschädigung durch den Staat –, doch Umweltschützer protestieren seit Jahren lautstark gegen den Bau, weshalb es immer wieder zu Auseinandersetzungen mit der Polizei kommt.

Finnland

Die Skandinavier sind Pioniere, was die Suche nach einem Atommüll-Tiefenlager angeht. Sie sind sich nicht nur einig ob des Standorts des Lagers – dieses befindet sich sogar bereits seit 2004 im Bau. Die Finnen haben 1983 mit der Suche nach einem Endlager begonnen – elf Jahre nach der Schweiz – und bald einmal die Halbinsel Olkiluoto im Südwesten des Landes als optimalen Standort ausgemacht. Dort sollen die Abfälle umgeben von Granitgestein in 420 Meter Tiefe eingelagert werden. Bereits 2025 werden die ersten Container «versenkt», so der Plan.

Dass Finnland derart schnell bei der Suche nach einem Standort war, hat einen Grund: Das Land will weiterhin auf Kernkraft setzen, zumindest bis der Energiebedarf für die rund 5,5 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner vollständig durch erneuerbare Energien sichergestellt werden kann.

Schweden

Schneller als die Schweiz war auch der finnische Nachbar Schweden. Beim Kernkraftwerk Forsmark im Osten des Landes existiert bereits heute ein «Endlager» für schwach und mittel radioaktive Abfälle. Dieses soll «hochgerüstet» werden, um künftig auch hoch radioaktive Bestände aufnehmen zu können. Anfang 2022 wurde die Baugenehmigung erteilt, der Ausbau soll zehn Jahre dauern.

Wie Finnland setzt auch Schweden auf Granit als Umlagerungsmasse. Die rund 22'000 Bewohner der Gemeinde Östhammar, zu der Forsmark gehört, sind anscheinend besonders atomaffin: Eine Umfrage im April 2022 ergab, dass knapp 84 Prozent der Menschen ihre Gemeinde als Standort des Tiefenlagers befürworten.

USA

Auch jenseits des grossen Teichs beschäftigt die Frage nach einem Tiefenlager seit Jahren. Und eigentlich waren die USA auf einem guten Weg. Bereits in den 80er-Jahren legte sich das Land mit der weltweit grössten Atomstromindustrie auf der Suche nach einem Endlager grundsätzlich fest: In Yucca Mountain im Bundesstaat Nevada sollte eine entsprechende Infrastruktur aufgebaut werden. Zum damaligen Zeitpunkt schien der Ort perfekt: Fernab von Trinkwasserquellen und menschlichen Siedlungen und umgeben von Unmengen Vulkangestein, das als Hülle für den radioaktiven Abfall fungieren könnte.

FILE - In this May 11, 2003, file photo, protesters lie on the pavement opposed to the proposed Yucca Mountain nuclear storage facility and weapons testing after crossing the line into the Nevada Test ...
Auch in den USA wurde gegen ein Endlager protestiert. Ein Bild aus Yucca Mountain aus dem Jahr 2003. Bild: keystone

Doch die Pläne wurden durchkreuzt, von keinem Geringeren als Ex-Präsident Barack Obama. Dieser sprach sich bereits vor seinem politischen Höhenflug gegen das Endlager in der Wüste aus, 2011 während seiner ersten Amtszeit setzte er den Yucca-Plänen dann ein vorerst definitives Ende.

Dass je länger, je mehr auch geologische Bedenken hinzukamen – aufgrund des Klimawandels und potenzieller seismischer Aktivitäten in der Region –, verkam deshalb zum sekundären Grund für den Baustopp in Nevada. Die Amerikaner wissen damit nach wie vor nicht, wo sie ihren Atommüll definitiv lagern wollen, und das, obwohl die Regierung bis Ende 2021 über 44 Milliarden Dollar für ebendieses Unterfangen angesammelt hat.

Japan

Interessant ist die Situation auch in Japan. Das Land hat während langer Zeit stark auf Atomenergie gesetzt. Seit dem Beginn der Atomenergie-Erzeugung im Jahr 1966 wurden mehr als 19'000 Tonnen hochradioaktiver Abfälle produziert, die in Zwischenlagern im ganzen Land deponiert sind. Deshalb wurde ab dem Jahr 2000 nach einem geeigneten Tiefenlager-Standort gesucht – jedoch ohne Erfolg: Keine Gemeinde zeigte sich bereit, ein solches Lager auf ihrem Boden bauen zu lassen. Ursprünglich sollte bis 2025 ein Ort bestimmt werden, zehn Jahre später hätte mit der Einlagerung begonnen werden sollen.

Doch mit der Atomkatastrophe in Fukushima wandte sich die öffentliche Meinung in Japan um 180 Grad. Plötzlich herrschte sowohl im Volk als auch in der Politik eine Atomkraft-skeptische Atmosphäre. Nur ein Bruchteil der ursprünglich 54 Kernkraftwerke wurde nach Fukushima wieder in Betrieb genommen, das Land möchte, wenn möglich, ganz auf Kernenergie verzichten. Die Suche nach einem «Endlager»-Standort wurde damit vertagt.

So sieht das AKW in Fukushima von innen aus

Video: srf/SDA SRF

Eine mögliche Lösung zeichnete sich im vergangenen Jahr ab: Zwei Ortschaften auf Hokkaido, der nördlichen Hauptinsel Japans, zeigten Interesse, doch Standort zu werden. Grund dafür sind wohl vor allem die hohen Entschädigungen der Regierung, die mit der Einwilligung einhergehen würden.

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So sieht die Sperrzone von Fukushima heute aus
Video: srf
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34 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Brat Wurst
12.09.2022 21:26registriert November 2017
Also… es gibt nur 2 Standorte (SWE/FIN)… diese sind noch im Bau… und sonst nix.
Ich verstehe nicht, wie man immer noch so weiterfahren kann, ohne dieses Problem zu lösen: dies für alle Betreiber.
Zudem sollte dem Strompreis aus KKW’s dieser Tatsache Rechnung tragen… aber am Schluss bleibt es dann an der Allgemeinheit hängen; der Wettbewerb wird es nicht richten (liebe Liberale 😉).
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Pi ist genau Drei!
12.09.2022 20:27registriert Februar 2017
Der Vorteil ist, dass die Baufirmen die diese Konstrukte erstellen ohne probleme eine funktionstüchtigkeit von bis zu einer Million Jahren garantieren können. Ich lehne mich mal weit aus dem fenster und behaupte, dass die Firmen eh nicht solange existieren und daher nicht belangt werden können, sollte das bauwerk ein paar hunderttausend Jahre zu früh kollidieren.
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