Noch letzte Woche hatte sich die SP-Fraktion online über das Stromabkommen mit der EU unterhalten, weil es keine klare Positionierung gibt. Die Differenzen sollten intern thematisiert werden – nach dem Motto: Der Streit muss nicht über die Medien laufen.
Der Vorsatz währte nicht lange. Am Montag scherte Pierre-Yves Maillard aus, der Präsident des Gewerkschaftsbundes SGB. Er markierte im Interview mit CH Media Fundamentalopposition gegen das Abkommen und kritisierte die «schöne neue Stromwelt der EU». Sie bestehe aus «Stromprekarität, unglaublichen Staatskosten und unglaublichen Profiten für Strombarone».
In der Schweiz gebe es «Strombarönchen», die Strombarone werden möchten, wie es sie in der EU gebe, sagte Maillard weiter. Aber sie würden dann von europäischen Oligopolisten gekauft, weil die Schweizer Unternehmen zu klein seien für den europäischen Markt. Deshalb sei die Liberalisierungsidee im Strombereich falsch. Monopole garantierten Energiekonzernen eine stabile Kundschaft, mit der sie ihre Preise kalkulieren und die Investitionen amortisieren könnten.
Nun kontert SP-Nationalrätin Gabriela Suter die Aussagen von Maillard. Sie sitzt in der parlamentarischen Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie Urek. «Mit Verlaub: Kollege Maillard hat sich verrannt», hält Suter fest. «Er äussert sich zum Stromabkommen noch wie 2002 bei der Abstimmung zum Elektrizitätsmarktgesetz.» Die Realität in der Stromwelt sehe heute aber anders aus, denn die europäischen Strommärkte seien in den letzten 20 Jahren liberalisiert worden.
Das Elektrizitätsmarktgesetz war 2002 mit 52,6 Prozent Nein-Stimmen knapp abgelehnt worden. Das habe damit zu tun, dass es für Konsumentinnen und Konsumenten keinen Mehrwert geboten habe, sagt Suter. Eine Analyse habe das deutlich gemacht.
«Das ist heute ganz anders», betont die SP-Nationalrätin. «Das Stromabkommen erhöht die Versorgungssicherheit und Netzstabilität. Damit verringert sich die Gefahr einer Strommangellage und eines Blackouts – zwei der grössten Ängste von Schweizerinnen und Schweizern.»
Suter empfindet die aktuelle Situation als unbefriedigend, weil die Konsumierenden oft zu viel bezahlten. 70 Prozent der Energieversorgungsunternehmen hätten keine Eigenproduktion. Aber selbst wer Strom produziere, tue dies im Schnitt nur bis zu 20 Prozent. «Die meisten Versorger beschaffen den Strom am Markt», betont Suter. Doch vor allem kleine Versorger hätten «teilweise keine oder nur eine katastrophale Beschaffungsstrategie».
Deshalb sei es etwa 2023 in Oberlunkhofen bei Elektra zu einem Anstieg des Strompreises um das Dreieinhalbfache gekommen. Suters Folgerung: «Über die Beschaffungsstrategie ihres Energieversorgers sind Kundinnen und Kunden bereits heute dem Markt ausgesetzt.»
Die Öffnung des Strommarktes ermögliche es auch den Haushalten, den Anbieter zu wechseln. Seien sie hingegen zufrieden, könnten sie weiterhin zu regulierten Preisen in der Grundversorgung bleiben.
Noch weiter geht SP-Nationalrat Eric Nussbaumer. «Die grossen Energieversorgungsunternehmen behandeln die Haushalte in der regulierten Grundversorgung fair und transparent», sagt er. Anders sehe es bei den kleinen Energieversorgern aus: «Sie möchten lieber keine Verpflichtung zur Grundversorgung. Das ist die Realität.»
Gabriela Suter moniert aber auch, Pierre-Yves Maillard vermische Liberalisierung und Privatisierung. «Das ist hanebüchen», sagt sie. «Die meisten Stromproduzenten gehören heute der öffentlichen Hand. Das wird sich auch in Zukunft nicht ändern – ausser es gibt einen demokratischen Entscheid.» (aargauerzeitung.ch)