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Offener Europa-Streit innerhalb der SP

Pierre-Yves Maillard, SP-VD, an der Sommersession der Eidgenoessischen Raete, am Montag, 2. Juni 2025 im Staenderat in Bern. (KEYSTONE/Til Buergy)
Pierre-Yves Maillard wetterte gegen das Stromabkommen.Bild: keystone

«Erschreckend, was erzählt wird»: Offener Europa-Streit innerhalb der SP

Seit Aussenminister Ignazio Cassis die EU-Verträge vorgestellt hat, äussern sich deren Befürworter pointierter.
16.06.2025, 07:0816.06.2025, 12:05
Benjamin Rosch / Ch media
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Dass die Diskussion um Europa in der SP hart geführt werden würde, stand früh fest. Bereits eine Woche, bevor der Bundesrat die EU-Verträge offiziell vorstellte, verschärfte sich die Tonlage. Roger Nordmann, immerhin ehemaliger Fraktionspräsident, bezichtigte SP-Ständerat Pierre-Yves Maillard nachgerade der Lüge.

Er möge sich doch an die Fakten halten, mahnte Nordmann auf Linkedin und Bluesky den Gewerkschaftschef ab, nachdem dieser in der «Sonntagszeitung» gegen das Stromabkommen gewettert hatte.

Am Freitag trat Bundesrat Ignazio Cassis vor die Medien, um das Vertragswerk vorzustellen, das die Beziehung der Schweiz zur EU stabilisieren soll. Im Kern ist es ein Handelsabkommen über verschiedenste Belange des öffentlichen Lebens. Von Strom über Gesundheit bis Zuwanderung.

Bundesrat Ignazio Cassis spricht an der Medienkonferenz des Bundesrates ueber die Vertraege mit der Europaeischen Union EU, im Anschluss an die woechentliche Bundesratssitzung, am Freitag, 13. Juni 20 ...
Bundesrat Ignazio Cassis.Bild: keystone

Wenige Tage davor hatte die SVP noch Hellebarden aufs Rütli geschleppt, um die Schweizer Unabhängigkeit zu beschwören. Doch seit dem Auftritt von Cassis sind es vor allem die Befürworter der EU-Verträge, die angriffslustig in Erscheinung treten.

Auch Nussbaumer teilt gegen Eigene aus

Einer davon ist der Baselbieter SP-Nationalrat Eric Nussbaumer. In einer Hauruck-Aktion trommelt er kurzerhand nationale Parlamentarierinnen und Parlamentarier vor dem Bundeshaus zusammen.

«Ich wehre mich – auch in meiner Funktion als Nationalratspräsident – im Kern gegen den Begriff ‹Schwächung›», sagt Eric Nussbaumer (SP). «Die demokratischen Rechte bleiben von A bis Z gewahrt.»
Baselbieter SP-Nationalrat Eric NussbaumerBild: ch media/Andrea Zahler

60 Politiker folgen seinem Aufruf, den Auftakt der EU-Debatte einzuläuten. Die meisten davon gehören dem rot-grünen Lager an. Doch auch Bürgerliche bekennen Farbe: Philippe Nantermod etwa, Daniel Ruch und Anna Giacometti (alle FDP) sowie Maya Bally, Reto Nause und Nicole Barandun aus der Mitte-Partei stellen sich vor die Kamera.

Auf der Plattform X doppelt Nussbaumer nach: Wenn das Parlament erst einmal die Verträge gelesen habe, «werden es über 100 (Parlamentarier, Anm. d. Red) sein».

«Erschreckend, was am linken Rand der Sozialdemokratie erzählt wird.»
Eric Nussbaumer

Seinem Freund Nordmann folgt er zudem gleich in den Ring gegen Pierre-Yves Maillard: Es sei «erschreckend, was am linken Rand der Sozialdemokratie erzählt wird. Es ist eine Kombination aus energiewirtschaftlichem Unwissen und dem bösen Willen, das europäische Projekt schlechtzureden», giftelt Nussbaumer gegen den Waadtländer Ständerat. Selten traten die innerparteilichen Differenzen in der SP so zutage wie jetzt.

Die Angst der Pro-Europäer ist gross, dass Maillard mit seinem Kurs die Basis entzweit. Nachdem dieser in der Debatte um den Lohnschutz bereits radikale Positionen einnahm, bekämpft er nun das Stromabkommen. Was vor allem in der Welschschweiz verfängt.

Bundesrat Jans provoziert SVP

Dagegen schickt sich ein Bundesrat an, die SVP rhetorisch zu kontern. In einem Interview mit dem «Sonntagsblick» greift Justizminister Beat Jans die Legende von Wilhelm Tell auf und sagt: «Das EU-Vertragspaket ist wie der Rütli-Schwur: ein gegenseitiges Versprechen in schwierigen Zeiten – mit Partnern, die gemeinsam vorwärtsgehen wollen.»

Dass es sich dabei um eine wohl kalkulierte Provokation handelt, zeigt sich daran, dass Jans den Satz im Verlauf des Sonntags auch noch auf X teilt. Auch zum Verhandlungsergebnis mit der EU äussert sich der SP-Magistrat pointiert: «Unser Chefunterhändler Patric Franzen würde in England dafür zum Ritter geschlagen – er und die ganze Verhandlungsdelegation haben exzellente Arbeit geleistet.» Einen Adelstitel liesse die Schweizer Verfassung indes nicht zu.

Beat Jans äusserte sich auf X zum Vertragspaket.
Beat Jans äusserte sich auf X zum Vertragspaket.

Die Spitze verfehlt ihre Wirkung nicht. «Für Euro-Turbo Jans ist der Rütlischwur etwa gleich fremd wie die Schweizer Demokratie für EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen», schimpft SVP-Präsident Marcel Dettling. Aus der Tell-Geschichte ziehe Jans die falschen Schlüsse, findet der Innerschweizer. Kurz: «So wie er im Asylwesen versagt, versagt er auch im EU-Dossier.»

FDP-Fraktion: «Nur eine Handvoll dagegen»?

Auch in der FDP ist die Meinung noch nicht gemacht. Am Samstag hielten die Jungfreisinnigen ihre Delegiertenversammlung. Ohne ein Wort über Europa zu verlieren. Geht es nach dem freisinnigen Solothurner Nationalrat Simon Michel, habe die Fraktion allerdings ihre Position gefunden.

«Es gibt kritische Stimmen, aber in der Bundeshausfraktion sind das lediglich eine Handvoll Leute», sagte der Pro-Europäer in einem Interview mit der «NZZ am Sonntag». Natürlich sei durch den Entscheid der Partei, sich erst vertieft mit den Verträgen zu befassen, ein gewisses Vakuum entstanden. «Das gilt es nun zu füllen», sagte Michel.

Die SVP kritisiert der Ypsomed-CEO mit harschen Worten. Diese sei «mit einem antieuropäischen und xenophoben Kurs gross geworden», schade dem Schweizer Wirtschaftsstandort aber «massiv». Auch an Gegenspielerin und SVP- Vizepräsidentin Magdalena Martullo liess Michel kein gutes Haar: Diese investiere als Unternehmerin zu einem grossen Teil ohnehin nicht mehr in der Schweiz.

Inhaltlich ist die Diskussion um die Schweizer Beziehung zu Europa nach dieser Rede und Gegenrede noch nicht wesentlich weiter als vor der Publikation der Verträge am Freitag. Der Ton der Debatte ist aber allemal gesetzt.

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Proteste in Georgien
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In der georgischen Hauptstadt Tiflis kam es am späten Donnerstagabend zu Protesten. Mehrere Tausend Menschen versammelten sich vor dem Parlamentsgebäude.
quelle: keystone / zurab tsertsvadze
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176 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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magicfriend
16.06.2025 07:58registriert Oktober 2014
Angeblich soll ja die Abstimmung frühestens 2027 vor das Volk kommen. Und ganz ehrlich: Politischer Diskurs soll und muss sein. Doch da wird vergiftet, polemisch und mit Halbwahrheiten in allen Lagern argumentiert werden. Die Arena wird das Thema 23 Mal behandeln. Ich hoffe wirklich, dass die Medien ihre Aufgabe wahrnehmen und verständlich die Vor- und Nachteile über die nächsten Monate aufarbeiten und wiedergeben. Wir als Volk werden die richtige Entscheidung treffen.
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winglet55
16.06.2025 09:46registriert März 2016
Ein jeder im Pro wie im Nein Lager picken, ein Detail eines Vertrages heraus, der sicher hunderte von Punkten betrifft, die eine künftige Zusammenarbeit mit der EU regeln sollen!
Wer ein solches Vertragswerk, wegen ein paar Punkten, die einem nicht passen, zu Fall bringen will, muss sich nicht wundern, dass die Schweiz Rosinenpicker genannt wird.
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Nils Egger
16.06.2025 11:12registriert Mai 2023
Wenn Michel im NZZ-Interview die Kritik an der Zuwanderung vom Tisch so klar vom Tisch wischt, finde ich das problematisch.

Klar profitiert die Wirtschaft davon. Aber die Schweiz muss nicht in die Breite wachsen, sondern in die Höhe.

Fakt ist: Die Integration funktioniert teilweise schlecht. Gewisse Migrationsgruppen fallen mir immer wieder durch eine andere Geisteshaltung auf – eine sehr egoistische und familienorientierte, was ich aufgrund der Korruption etc. in gewissen Ländern verstehen kann.

Aber solche Kosten wälzt die Wirtschaft auf die Gesellschaft ab.
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