Peter Bodenmann, in den 90er-Jahren SP-Präsident, nun Hotelier in Brig, ist am Telefon hörbar euphorisiert: «Das ist ein TGV Richtung Solaranlagen in den Alpen! Jetzt kommt der Goldrausch!»
Anlass für den Jubel des 70-jährigen Polit-Altmeisters ist ein Communiqué der Umwelt- und Energiekommission des Ständerats (Urek-S) von Montag.
Unter dem Titel «Dringliche Massnahmen zur Erhöhung der Winterstromproduktion» hat sie mehrere Entscheide bekannt gemacht, die sie letzte Woche gefällt hat: Angesichts drohender Stromknappheit und möglicher Versorgungsunterbrüche «muss die Stromproduktion, insbesondere in den Wintermonaten, dringend weiter erhöht werden», schreibt die Urek-S. Doch sei unabdingbar, «dass diese zusätzliche Produktion auf erneuerbaren Energien beruht und damit klimaneutral ist».
Auf dieser Grundlage hat sie beschlossen, «eine rechtliche Grundlage für die schnelle Realisierung von Freiflächen-Fotovoltaikanlagen zu schaffen». Sie läuft auf eine Revolution der Energiepolitik hinaus.
Es geht um Anlagen «mit hohem Anteil von Winterstromproduktion, wie sie insbesondere im alpinen Gelände denkbar sind», schreibt die Kommission. Für solche Anlagen mit einer Jahresproduktion von über 20 Gigawattstunden sollen die Bewilligungskriterien stark vereinfacht werden. Es genügt, wenn ihr Bedarf ausgewiesen, sie standortgebunden sind und «das Interesse an ihrer Realisierung anderen Interessen von nationaler und kantonaler Bedeutung vorgeht».
Für sie soll weder eine Planungs- noch eine Umweltverträglichkeitsprüfungspflicht gelten. Vorausgesetzt wird lediglich die Zustimmung der Grundeigentümer und Standortgemeinden. «Der Bund fördert diese Anlagen zudem mit einem Investitionsbeitrag.»
Solche Anlagen mit reihenweise Solarpanels, die sich über Hunderte Meter ausdehnen, stehen in Gondo und in Grengiols im Wallis zur Diskussion. Es war Peter Bodenmann, der in den letzten Monaten für solche Projekte geweibelt hat. Grengiols brachte er als mögliches Projekt ins Gespräch, in Gondo ist er engagiert.
Als Mitstreiter hat er auch den ehemaligen FDP-Bundesrat Pascal Couchepin aus dem Unterwallis gewonnen: «Neuerdings unterstütze ich Peter Bodenmann, meinen alten, freundlichen Gegner. Er plant eine Solaroffensive in den Walliser Alpen. Ein fantastisches Projekt!», sagte Couchepin am Montag im Interview mit der NZZ.
Entsprechend erfreut ist Bodenmann nun über den Entscheid der Urek-S: «Es ist das beste, was passieren konnte.» Bald würden die künftigen Tarife für den Strom bekannt, die sich auch für Privathaushalte «in den nächsten drei Jahren verdoppeln» dürften. Mit den Solaranlagen in den Bergen könnten die Schweizer Verteiler, die heute einen Grossteil des Stroms auf dem freien Markt einkaufen müssten, Energie viel günstiger beschaffen.
Bodenmann macht einen Bogen zum Ukraine-Krieg, der zu einer schlagartigen Verteuerung der Energie in Europa führte: «Putin hat die Solar-Revolution in den Alpen ausgelöst!» Es werde neben Gondo und Grengiols schon bald noch viel mehr Solar-Projekte geben.
In der Tat dürfte die Vorlage aus der Urek-S den Ständerat problemlos passieren: Die Kommission hat den Beschluss einstimmig gefällt, mit Stimmen von der SP bis zur SVP.
Zwar relativierte vor wenigen Tagen der beim Energiekonzern Alpiq zuständige Projektleiter, Grengiols könnte wohl erst 2025 realisiert werden.
Angesichts des radikalen Abbaus von Planungshürden halten die Befürworter einen Baubeginn aber schon im kommenden Sommer für möglich, sodass bereits im Winter 2023-2024 Strom fliessen könnte. Dies umso mehr, als die Urek-S auch gesetzgeberisch aufs Tempo drückt: Die Vorlage soll schon im September durch den Ständerat und noch in der gleichen Session vom Nationalrat behandelt werden.
Entsprechend desillusioniert zeigt sich Raimund Rodewald von der Stiftung Landschaftsschutz. Gegen die Allianz aller Parteien sei Widerstand aussichtslos, sagt er. Obwohl es sich bei der Vorlage um «reine Kriegs- und Panikpolitik» handle. Er zählt auf: «Das Raumplanungsgesetz, das Umweltschutzgesetz und das Gesetz für Natur- und Heimatschutz werden schlicht ausgehebelt.» Und dies just an dem Tag, an dem die Walliser Regierung das Projekt Grengiols im normalen Verfahren in die Vernehmlassung schicke. «Mit diesem Gesetz ist das ordentliche Planungsverfahren obsolet», sagt Rodewald.
Der Landschaftsschützer kritisiert, dass nun Vorhaben beschleunigt werden, die das Landschaftsbild tiefgreifend verändern, während der Bau von Solaranlagen an Staumauern und bei Autobahnen noch immer einer Bewilligungspflicht unterworfen seien. «Wir würden besser dort vorwärtsmachen.» Zwar hat die Urek-S ebenfalls einstimmig beschlossen, «dass die geeigneten Oberflächen von Infrastrukturanlagen des Bundes bestmöglich zur Nutzung von Sonnenenergie verwendet werden sollen». Von einer Lockerung der Bewilligungsverfahren steht da aber nichts.
Wenigstens einen Mitstreiter hat Rodewald: Pro Natura. Auch für Freiflächen-Fotovoltaik müssen Zielkonflikte ernsthaft und frühzeitig angegangen, Interessen sorgfältig abgewogen, die Standorte und Projekte weitsichtig geplant und die Umweltorganisationen dabei einbezogen werden, schreibt der Verband: «Es braucht starke, griffige Massnahmen zum Schutz der Biodiversität, nicht das Gegenteil.»
Immerhin: Einen Entscheid der Urek-S begrüssen sowohl Pro Natura als auch die Stiftung Landschaftsschutz. Die Kommission will eine Solarpflicht auf allen Neubauten ab Anfang 2024. Bloss: Die Idee erhielt nur dank dem Stichentscheid der Kommissionspräsidentin von der SP eine Mehrheit. Sie dürfte im mehrheitlich bürgerlichen Rat einen schweren Stand haben.