Schweiz
Energie

Ein Preisdeckel gegen steigende Strom- und Gaspreise schadet allen

Weshalb ein Preisdeckel gegen steigende Strom- und Gaspreise allen schadet

Alle reden von Marktversagen, doch nun droht vor allem viel Staatsversagen.
08.10.2022, 13:4708.10.2022, 13:47
Florence Vuichard / ch media
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ARCHIVBILD ZUM ZIEL DES BUNDESRATES, IM WINTERHALBJAHR 2022/23 15 PROZENT WENIGER GAS ZU VERBRAUCHEN, AM MITTWOCH, 24. AUGUST 2022 - Ein Gasherd in einer Zuercher Mietwohnung, fotografiert am Dienstag ...
Der Preis für Gas ist stark gestiegen.Bild: keystone

Die Meinung war schnell gemacht. Angesichts der in die Höhe schnellenden Strom- und Gaspreise fiel die Konsensfindung für einmal leicht: Der Markt habe versagt, hiess es von allen Seiten. Von links, weil man dort dem Markt grundsätzlich misstraut, und von rechts, weil letztlich auch viele wettbewerbsfreundliche Kräfte nur solange zum Markt halten, wie sie von ihm profitieren.

Nun gelten die Energiepreise als zu hoch, und schon werden allerlei Rezepte präsentiert, wie diese mittels staatlicher Eingriffe wieder gesenkt werden könnten. Im Ausland, aber auch in der Schweiz. Besonders beliebt: Der Deckel, mit dem die Energiepreise auf ein künstlich tieferes und für den unbekümmerten Konsum verträglicheres Niveau gedrückt werden könnte. Das klingt gut, hat aber eine Menge unguter Folgen.

Erstens löst sich die Differenz zwischen dem Marktpreis und einem politisch festgelegten Deckelpreis nicht einfach in Luft auf. Sie muss beglichen werden, wenn nicht durch die Verursacher, dann durch das Kollektiv der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler. Der Versuch Frankreichs jedenfalls, einen Teil der Kosten dem schon ziemlich angeschlagenen Energieversorger EDF aufzubürden, hat letztlich nicht funktioniert. Er hat unter anderem sogar dazu beigetragen, dass der Konzern nun ganz verstaatlicht werden musste -, um nicht Konkurs zu gehen.

Zweitens und viel gravierender: Ein Preisdeckel unterdrückt die Lenkungswirkung des Marktes. Denn letztlich senden hohe Preise ein deutliches Signal aus: Dass die Energie knapp ist. Konsumentinnen und Konsumenten werden so gezwungen, den Energiekonsum - wo auch immer möglich - zu drosseln. Die Unternehmen wiederum erhalten starke Anreize, dasselbe zu tun, indem sie anders und innovativer produzieren oder gar ihre Geschäftsmodelle den veränderten Bedingungen anpassen. So sinkt die Abhängigkeit des ganzen Landes von fossiler Energie.

Die hohen Preise könnten also bewerkstelligen, was der grünen, klimafreundlichen Politik nie gelungen ist: Sie könnten der viel beschworenen Energiewende mächtig Schub verleihen. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet die grüne Lichtgestalt Europas, der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck, mit seinem 200-Milliarden-Euro-Gasdeckel die Energiewende abbremst und ein riesiges Gas-Subventionsprogramm propagiert.

Echte Preise können unangenehme Wirkungen haben, unechte aber auch. Das hat etwa das Negativzinsregime der Nationalbank eindrücklich aufgezeigt. Das Experiment hat zwar zu Beginn wie intendiert den Franken geschwächt und folglich einen potenziellen Schaden für den Werkplatz Schweiz abgewendet. Aber es hatte eben auch viele unerwünschte Folgen, die mit den Jahren immer deutlicher zum Vorschein kamen. Denn, wenn Geld plötzlich nichts mehr wert ist und das Sparbuch zum Verlustgeschäft wird, dann werden Schulden zu neuen Einnahmequellen - und die Preise von Aktien und Immobilien steigen in ungesunde Höhen.

Der Preisdeckel hat noch eine dritte, schädliche Nebenwirkung: Er suggeriert Normalität, wo keine herrscht. Denn die Energieknappheit ist real. Wird der Konsum nicht reduziert, dann dürfte genau das geschehen, was eigentlich niemand will: eine Kontingentierung. Oder gar ein Blackout.

Natürlich soll die Politik die Tatsache nicht ausblenden, dass die hohen Energiepreise negative Konsequenzen haben - für die Schweizer Volkswirtschaft als Ganzes, die ärmer wird, weil sie mehr für die Gas- und Ölimporte bezahlen muss, für viele Unternehmen, die kurzfristig mit tieferen Margen rechnen müssen, und insbesondere für jene, die mit immer tiefbleibenden Preisen gerechnet und sich bei der Energiebeschaffung nicht abgesichert haben. Und auch für die Haushalte, denen aufgrund der steigenden Strom- und Heizrechnung Ende Monat weniger im Portemonnaie bleibt. Oder gar nichts mehr.

Es ist die Aufgabe der Politik, genau hinzusehen und die Folgen für die am härtesten betroffenen Kreise gezielt zu lindern. Ein Preisdeckel oder andere nach dem Giesskannenprinzip ausgestaltete Energiesubventionsprogramme helfen diesen Menschen wenig, schaden aber allen. (aargauerzeitung.ch)

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55 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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remono
08.10.2022 14:08registriert Februar 2016
Störend und unverständlich ist für mich die Tatsache, dass regelmässig in solchen Krisen Unternehmen Rekordgewinne einfahren. Dem Verbraucher wird dann jeweils erklärt, dass dies ja der Markt sei und man da nichts machen könne. Der Marktpreis setzt sich letztlich nicht selbst, gerade im Bereich wo Unternehmen ohne echte Alternativen operieren können. Daher sehe ich den Mark als Entität die sich "schon irgendwie selbst regeln" wird kritisch.
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Blanda
08.10.2022 14:31registriert Mai 2015
***
Denn letztlich senden hohe Preise ein deutliches Signal aus: Dass die Energie knapp ist.
***

Oder das die Marge hoch ist.. mit "notwendigkeiten" konnte der Markt (Synonym für "die Gierigen") schon immer Kasse machen... 👺
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Overton Window
08.10.2022 14:25registriert August 2022
Die hohen Energiepreise sind eine einmalige Gelegenheit für die schnelle weiterentwicklung der Menschheit in
Richtung CO2-neutralität. Bitte einfach so belassen.

Und wenn man etwas unterstützt, dann unter der Auflage, dass dadurch etwas langfristig verbessert wird. Nur als einfaches Beispiel was ich damit meine: den Bedürftigen einen sparsameren Kühlschrank oder eine bessere Heizung vorfinanzieren, statt die Stromrechnung zu übernehmen.
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