Die Schlagzeilen reissen nicht ab. Die SVP fordert einen Stromgeneral, der einen Plan für eine «sichere, unabhängige und kostengünstige Stromversorgung» ausarbeitet; die FDP-Spitze will neue Atomkraftwerke im Grundsatz wieder zulassen und das entsprechende Verbot aus dem Gesetz kippen; und der Stromkonzern Alpiq kam Ende des letzten Jahres derart in finanzielle Nöte wegen steigender Strompreise, dass er den Bund um finanzielle Hilfe bat.
Strom, Strom, Strom: Die Schweiz fürchtet sich vor dem Blackout.
Unbestritten ist: Der Strommarkt steht vor einer grossen Herausforderung. Um das Klima zu retten, soll mit Wärmepumpen geheizt und mit Elektroautos gefahren werden. Der Strom muss das Erdöl ersetzen. Das ist für sich alleine schon keine einfache Aufgabe, weil Erdöl 43 Prozent des Energiebedarfs in der Schweiz deckt. Dazu kommt aber, dass die Atomkraftwerke zwischen 2030 und 2040 an ihr Lebensende gelangen. Das Stimmvolk hat 2017 der neuen Energiestrategie 2050 zugestimmt. Das heisst: kein Neubau mehr von AKW und dafür die Förderung von erneuerbaren Energien etwa aus Sonne, Wind oder Wasser.
Ursprünglich war vorgesehen, die Förderung zeitlich zu befristen. Es war das grosse Abstimmungsversprechen der damaligen Energieministerin Doris Leuthard, um jene Kritiker zu überzeugen, die vor Subventionitis warnten. Doch davon hat sich die Politik längst verabschiedet. Im Schnellzugstempo hat das Parlament erst letzten Herbst neue Förderbeiträge bis 2030 verabschiedet – in seltener Einmütigkeit.
Doch mit der Einigkeit ist es nun vorbei: Die Reform des Energie- und des Stromversorgungsgesetzes tritt in die entscheidende Phase – und in Bundesbern herrscht ein Basar der Ideen. Am Donnerstag wird sich die Umwelt- und Energiekommission des Ständerats (Urek) mit dem Geschäft befassen und über grundlegende, strategische Fragen diskutieren.
Dabei ist schon jetzt so gut wie sicher, dass sie die von Wirtschaftskreisen und vom Bundesrat seit Jahren angestrebte Liberalisierung des Strommarktes zurückstellen wird. Denn erstmals sprechen sich auch einflussreiche bürgerliche Energiepolitiker offen gegen das Vorhaben aus, das für die Linke grundsätzlich nicht in Frage kommt. «Wir müssen zuerst die dringende Verbesserung der Stromversorgung rasch vorantreiben und spätestens auf den 1. Januar 2025 in Kraft setzen», sagt der Luzerner FDP-Ständerat Damian Müller. Mit der Strommarktliberalisierung als Teil der Reform wäre das nicht möglich, auch wenn es zielführender wäre. Fakt ist: «Dann wäre das Referendum von Links garantiert.»
Es käme zu einer Volksabstimmung und – so die Einschätzung mehrerer Energiepolitiker – mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu einem Nein der Reform: «In der heutigen Ausgangslage wäre eine Liberalisierung des Strommarktes für alle Haushalte chancenlos», sagt der Bündner FDP-Ständerat Martin Schmid.
An der europäischen Strombörse seien die Preise für Strombezüge in den Jahren 2023 und 2024 schon jetzt deutlich höher als bisher, «die Leute müssten also einer Reform zustimmen, die für sie höhere Stromkosten bringt», so Schmid. Und auch Mitte-Ständerat Beat Rieder sagt: «Es geht jetzt um die Versorgungssicherheit. Deshalb sollten wir diese Vorlage nicht unnötig mit der Strommarktliberalisierung erschweren.»
Versorgungssicherheit ist also Thema der Stunde. Bundesrätin Simonetta Sommaruga hat klare Vorstellungen, wie diese erreicht werden kann. Und auch die Ständeräte haben Ideen. Eine kurze Übersicht:
Speicherprojekte: Der Bundesrat will die Speicherwasserkraft ausbauen, damit die Schweiz vor allem im Winter auf eigenen, klimaneutralen Strom zurückgreifen kann. Zur Finanzierung soll der Netzzuschlag um 0.2 Rappen pro Kilowattstunde erhöht werden. Diesen Winterzuschlag müssten alle Stromkunden zahlen. Die Kommission wird auch eine Erhöhung auf 0.4 oder gar 0.5 Rappen diskutieren – um nebst der Wasserkraft auch andere Technologien zu unterstützen, um die Gefahr einer Stromlücke zu verringern. Das könnten Gaskraftwerke sein, für die Abdeckung der Spitzenlast, wie das Sommaruga demnächst dem Bundesrat vorschlagen wird; eine andere Lösung sind kleine, dezentrale Wärme-Kraft-Kopplungsanlagen.
Tiefere Kosten für Verteilnetze: Vor allem die Wirtschaft hat keine Freude an höheren Netzzuschlägen. FDP-Ständerat Ruedi Noser bringt deshalb eine andere Idee ein: «Heute können die Energiedienstleister mit dem Ausbau und dem Betrieb von Verteilnetzen Gewinne erwirtschaften», sagt Noser. Verteilnetze sollten aber nicht gewinnorientiert betrieben werden, die Abgaben sollten «wie eine Gebühr» lediglich kostendeckend sein. «Dadurch könnten Mittel freigespielt werden, ohne zusätzliche Abgaben wie den Winterzuschlag», sagt Noser.
Pflichtlager: Der Bundesrat will eine strategische Energiereserve einrichten. Stromkonzerne sollen entschädigt werden, wenn sie Wasser in den Stauseen zurückbehalten, um im Notfall damit Strom produzieren zu können. Am Samstag hat Sommaruga in den Tamedia-Zeitungen überraschend angekündigt, dass sie dieses Notlager bereits auf Verordnungsweg einführen will. Offenbar arbeitet ihr die Ständeratskommission zu langsam.
Umwelt- und Landschaftschutz: Sommaruga hat unlängst angekündigt, dass sie die Bewilligungsverfahren für grosse Wind- und Wasserkraftanlagen beschleunigen will. Oft scheitern diese Projekte an Einsprachen von Umwelt- und Naturschutzorganisationen. Bürgerliche Ständeräte haben aber noch einen anderen Plan, um den Ausbau der erneuerbaren Energien zu forcieren: Die Umwelt- und Landschaftsschutzauflagen sollen gelockert werden: «Wir müssen besser abwägen können, was wichtig ist», sagt Ständerat Schmid und nennt ein Beispiel, «eine unberührte Landschaft oder der Ausbau eines Wasserkraftwerks.»
Freilich würde jede Einschränkung im Natur- und Landschaftsschutz die Umweltorganisationen auf den Plan rufen. Damit stiege die Wahrscheinlichkeit eines Referendums und somit auch das Risiko, dass die Reform trotz aller Dringlichkeit scheitert. Andererseits würde der Ausbau der Fördermittel und die Erhöhung des Netzzuschlags wohl den Widerstand der Wirtschaft und der bürgerlichen Parteien befördern. Nicht zuletzt darum sagt der Luzerner Ständerat Müller:
Denn dann, so hat es die Eidgenössische Elektrizitätskommission letztes Jahr festgehalten, könnte der Schweiz im Winter der Strom ausgehen.
Rethinking
Wohnhäuser, Büros, Industrie, Lager, Bahnhöfe, Autobahnen etc.
Stefan003
theia-hyperion
Es hatte fatale Folgen und führte zu teils absurden Situationen, als bspw. Strompreise, wenn Strom überhaupt noch verfügbar war, zwischenzeitlich auf tausende $ pro kWh stieg, Leute die Wahl hatten zu erfrieren oder Strom zu diesem Preis zu konsumieren.