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Bei Solar- und Windstrom bleibt die Schweiz ein «Entwicklungsland»

epaselect epa05563682 A photograph made available on 30 September 2016 showing wind turbines at the site of the highest wind park in Europe at the Griessee, near the Nufenenpass in the Swiss south Alp ...
Am Griessee beim Nufenenpass steht der höchstgelegene Windpark Europas. Doch gerade diese Art der Stromproduktion hat es in der Schweiz sehr schwer.Bild: EPA/KEYSTONE

Bei Solar- und Windstrom bleibt die Schweiz ein «Entwicklungsland»

Bei der Produktion von Solar- und Windenergie gehört die Schweiz in Europa weiterhin zu den Schlusslichtern. Sie muss sich steigern, wenn sie das Klimaziel des Bundesrats erreichen will.
20.05.2020, 06:1320.05.2020, 13:53
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In Corona-Zeiten haben es andere Themen schwer. So hatte der Bundesrat Anfang April eine Teilrevision des Energiegesetzes vorgelegt, also auf dem Höhepunkt der ersten Pandemie-Welle. Die Beachtung hielt sich in Grenzen, dabei geht es um eine zentrale Frage: Wie kann die Schweiz ihre Energieversorgung sicherstellen unter Beachtung der Netto-Null-Klimaziele bis 2050?

Indem die Grundversorgung standardmässig durch Schweizer Strom aus 100 Prozent erneuerbaren Energien erfolgt, lautet die Antwort im Gesetzestext. Der erste Entwurf vor einem Jahr sah lediglich einen Mindestanteil an erneuerbarer Energie vor. Die Weichen in diese Richtung hat das Stimmvolk vor drei Jahren mit der Annahme der Energiestrategie 2050 gestellt.

Allerdings hat die Schweiz bis zu diesem Ziel noch einen weiten Weg vor sich. Die Schweizerische Energie-Stiftung (SES) hat die Pro-Kopf-Produktion von Sonnen- und Windenergie mit den 28 Staaten der Europäischen Union verglichen. Das Ergebnis ist ernüchternd: Die Schweiz ist in diesem Bereich ein «Entwicklungsland». Sie hat mit anderen Worten noch viel Luft nach oben.

Der Vergleich

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Die gute Nachricht vorweg: Im Vergleich mit acht umliegenden Ländern konnte die Schweiz die «rote Laterne» abgeben und Tschechien überholen. In der Gesamtrangliste aber liegt sie auf Platz 24, knapp vor Tschechien, Ungarn, Slowenien, der Slowakei und Lettland. Nur gerade 4,2 Prozent des Stromverbrauchs werden hierzulande laut SES durch Sonne und Wind erzeugt.

Im «Musterland» Dänemark sind es über 50 Prozent, in Deutschland 33 Prozent. In beiden Ländern ist der Windanteil sehr hoch. Bei der Photovoltaik sieht es für die Schweiz besser aus, sie liegt immerhin auf Rang 7. Wirklich vorbildlich ist auch dies nicht, denn sie wird von Ländern mit weniger Sonneneinstrahlung wie Deutschland, Belgien und den Niederlanden geschlagen.

Der Bedarf

Die Energiestiftung berechnet den Bedarf an erneuerbaren Energien in der Schweiz auf rund 80 Terawattstunden (TWh) pro Jahr. Darin berücksichtigt ist der zusätzliche Stromverbrauch durch die «Dekarbonisierung», also den Ersatz von Benzin- durch Elektroautos oder von Ölheizungen durch Wärmepumpen. Mit verbesserter Effizienz könnte der Bedarf auf 70 TWh reduziert werden.

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Die Wasserkraft deckt rund 35 TWh ab. Zusätzlich wurden bis heute rund 4 TWh realisiert. Bleibt eine «Lücke» von 30 bis 40 Terawattstunden. Wegen des Verbots von neuen Atomkraftwerken besteht Handlungsbedarf.« Wir fordern deutlich höhere Ausbauziele bis 2035», sagte Felix Nipkow, Leiter des Fachbereichs erneuerbare Energien bei der SES, an einer Zoom-Medienkonferenz.

Das Ziel

Das Bundesamt für Energie berechnet das Potenzial der Fotovoltaik auf Dächern und Fassaden in der Schweiz auf rund 67 Terawattstunden. Zusammen mit der Wasserkraft würde dies den gesamten Strombedarf decken. Vollständig realisiert werden kann es kaum, doch es gibt weitere Möglichkeiten, etwa Solarzellen an Lärmschutzwänden oder Staumauern.

Dies kann zu Konflikten mit dem Natur- und Landschaftsschutz führen. Die SES fordert deshalb vereinfachte Genehmigungsverfahren. Man müsse bestehende Infrastrukturen ausnützen und mögliche Konflikte im Vorfeld bewältigen, meint Felix Nipkow. Was nicht immer ganz einfach sei: «Im Tessin sind Photovoltaik-Anlagen auf Staumauern verboten. Keine Ahnung, warum dies so ist.»

Die Finanzen

Schweizer Stromversorger haben in den letzten Jahren vornehmlich im Ausland in erneuerbare Energien investiert. Das Problem seien die schlechten Investitionsbedingungen in der Schweiz, so die Energiestiftung. Gleichzeitig strebt der Bundesrat mit dem Stromversorgungsgesetz die vollständige Liberalisierung des Strommarktes an. Auch deshalb sei eine Absicherung wichtig.

Wichtige Player wie der Verband Swisspower fordern eine Marktprämie, also einen garantierten Mindestpreis. Der Bundesrat setzt in erster Linie auf Investitionsbeiträge anstelle der bisherigen Einspeisevergütung. Er will vereinfacht gesagt den Bau von Anlagen subventionieren und nicht mehr die Stromproduktion.

«Bei den erneuerbaren Energien spielen fast nur die Fixkosten für den Bau eine Rolle», sagte Nipkow. Auf dem Strommarkt könne man sie nicht decken, deshalb brauche es einen zusätzlichen Beitrag, der durch den bereits bestehenden Netzzuschlag von 2,3 Rappen pro Kilowattstunde finanziert wird. Er soll ohne Begrenzung beibehalten werden, fordert die SES.

Man wolle verhindern, dass die Schweiz bei der Stromproduktion vom Ausland abhängig werde, sagte Felix Nipkow. «Wir werden im Sommer Strom exportieren und im Winter importieren, wie das heute schon der Fall ist.» Damit liesse sich auch das Speicherproblem entschärfen, etwa indem sich die Schweiz an Anlagen beteilige, die Strom zu Gas und wieder zurück «verwandeln».

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138 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Posersalami
20.05.2020 08:26registriert September 2016
Es ist völlig unverständlich und nur durch lobbying zu erklären, wieso wir nicht schon längst massiv mehr PV zubauen.

Wir könnten den Strombedarf unseres Landes decken, wenn wir NUR die gut geeigneten Dächer und Fassaden nützen würden! Dafür muss kein m2 Boden versiegelt, kein Berg verschandelt, kein Bisschen Natur zerstört werden.

https://www.swissolar.ch/services/medien/news/detail/n-n/bfe-studie-schweizer-solarpotenzial-groesser-als-benoetigt/

Wir müssen einfach nur damit anfangen.
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yey
20.05.2020 07:31registriert August 2018
Der wichtigste Grund für die wenigen Windkraftanlagen fehlt: Viele Einsprachen und Misserfolg von Projekten an der Urne.

Umgekehrt ist das wohl auch dee Grund wieso der Bund wieder verstärkt auf Photovoltaik setzen will.
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Wandervogel
20.05.2020 08:11registriert Juni 2019
Wenn bei jeder Dachrenovation oder bei jedem Neubau eine Photovoltaikanlage verbaut wird und man die Autos/Heizung/Warmwasser direkt über die Anlage mit Strom verspeisen kann, können wir bereits sehr viel an anderweitigen Emmissionen einsparen. Es gäbe viel weniger Abgase auf dem Land und v.a. in der Stadt und wüste Windparks bräuchte es nicht oder weniger. Es gibt mittlerweile sehr schöne Lösungen für Indachsysteme, die sogar mit den beliebten Ziegeldächern einhergehen. Das sollte man mehr fördern, Stichwort Einmalvergütung.
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