Es hat nicht sollen sein. Der 20. Platz von Remo Forrer im Final des Eurovision Song Contest in Liverpool muss als Enttäuschung gewertet werden. Denn nach der souveränen Halbfinal-Qualifikation hatte sich die Schweizer Delegation nach vorne orientiert.
Doch der 21-jährige Toggenburger zeigt sich nach der Entscheidung gefasst und abgeklärt: «Wenn ich ehrlich bin, habe ich mir mehr erhofft. Ziel waren die Top Ten. Aber mein Hauptziel, den grossen Final, habe ich erreicht. Ich bin sehr zufrieden mit meinem Auftritt. Es hat extrem Spass gemacht. Ich habe das Gefühl, dass ich mich von Auftritt zu Auftritt steigern konnte. Und der Auftritt im Final war die Krönung der Krönung. Ich konnte es wirklich geniessen.»
Tatsächlich muss sich der Schweizer Sänger nichts vorwerfen. Er hat geliefert und hat sich der Welt als Sänger mit einem beachtlichen Potenzial präsentiert. Es ist sicher nicht falsch, wenn Forrer dabei bleiben würde und versucht, eine professionelle Karriere als Sänger aufzubauen.
Doch weshalb hat es nicht geklappt? Was hat gefehlt? Mit der Performance und der Interpretation von «Watergun» wurde sicher das Optimum herausgeholt. Also doch der Song?
«Watergun» hat immer wieder einzelne Punkte erhalten, aber von keinem Land die höchste Punktezahl. Das deutet auf seine Mittelmässigkeit hin. Der Song war nicht schlecht, aber er ist in der Masse der Songs zu wenig aufgefallen. Erschwerend kam hinzu, dass in diesem Jahr überdurchschnittlich viele Balladen vertreten waren, die sich emotional und atmosphärisch ähnelten. «Watergun» bewegte sich in einem relativ grossen Feld von Songs auf gleicher Höhe. Dort, wo auch der Zufall über eine bessere oder schlechtere Platzierung entscheidet.
Der Rang sagt nicht alles aus. So ist Remo Forrer mit dem 20. Platz zwar schlechter platziert als im letzten Jahr Marius Bear (Rang 17). Er hat aber mit 92 zu 78 mehr Punkte gesammelt. Übrigens auch mehr als Sebalter, der 2014 mit 64 Punkten den guten 13 Platz erreichte. Das zeigt, wie eng das Feld in diesem Bereich ist.
Dazu war die Favoritengruppe mit dem schwedischen Siegersong «Tattoo» von Loreen, dem zweitplatzierten finnischen Beitrag «Cha Cha Cha» von Käärijä, dem israelischen Song «Unicorn» von Noa Kirel sowie dem italienischen Starsänger Marco Mengoni mit «Due Vite» aussergewöhnlich stark. Ein Eindringen in dieses Spitzen-Quartett schien von Anfang an kaum möglich.
Überhaupt: Die Qualität der 66. Ausgabe des ESC war beachtlich. Wirklich peinliche Auftritte gab es für einmal nicht, und auch die Trefferquote der Sängerinnen und Sänger war gross. Es waren kaum schiefe Töne zu vernehmen.
Mehr erhofft hat sich auch Pele Loriano, der als Produzent des Schweizer und der österreichischen Songs gleich zwei Eisen im Feuer hatte. «Das Resultat ist nicht das, was wir angestrebt haben», sagt er. Doch er verweist auf die Global Viral Top 50 von Spotify, wo es nur gerade vier Songs aus dem aktuellen ESC in die Bestenliste geschafft haben. Der exzentrische finnische Beitrag «Cha Cha Cha» schneidet hier mit Platz 5 am besten ab. Der österreichische Song «Who The Hell Is Edgar?», der von Loriano mitkomponiert wurde, steht auf Platz 14 und «Watergun» liegt mit Rang 25 sogar noch vor dem Siegersong von Loreen aus Schweden (Platz 39). Die Streams für «Watergun» schnellen nach oben und lagen am Sonntag schon bei 2.8 Millionen. Die Teilnahme hat sich für Remo Forrer definitiv gelohnt.
Einmal mehr hat sich bestätigt, dass die Solidarität des deutschsprachigen Kulturraums, die immerhin auch in einer gemeinsamen Fernsehsendung vor und nach dem Final zelebriert wurde, nicht funktioniert oder gar nicht existiert. Noch eher zwischen Österreich und der Schweiz, aber sicher nicht zwischen Deutschland und der Schweiz, die sich beide nichts schenkten: Zero Points. Dafür blüht die schweizerisch-albanische Freundschaft umso stärker. Remo Forrer erhielt aus Tirana immerhin sieben Punkte und das albanische Lied von der Schweiz sogar 12 Punkte.
Vielleicht sollten wir es wirklich wieder mit einem Sänger oder Sängerin mit albanischem Hintergrund versuchen. Bei Gjon's Tears hat es ja wunderbar geklappt. Wie wär's mit dem angesagten Rapper und Sänger EAZ, den Peter Reber spasseshalber schon ins Spiel brachte? Oder mit Lorent Berisha, der im Final von «Deutschland sucht den Superstar» (DSDS) den guten dritten Platz erreichte und danach selbstbewusst bekannt gab, dass er die Schweiz im nächsten Jahr vertreten möchte. Oder wie wär's mit Ilira? Die Sängerin aus Bern, die auf Spotify sensationelle 3.6 Millionen monatliche Hörerinnen und Hörer hat. Sie wäre geradezu ideal für einen spektakulären Auftritt, der auch wirklich auffallen würde.
Übrigens: Die grösste Sensation ereignete sich am Rande des ESC: Griechenland, das sich nicht für den Final qualifizierte, gab Zypern nur 4 Punkte.