Das Verdikt kam früh morgens. Bereits um sieben Uhr begannen die Vorsitzenden der Genfer FDP zu tagen. Auf dem Traktandum: Der Ausschluss von Pierre Maudet. Und das Resultat liess keine Fragen offen, wie Parteipräsident Bertrand Reich an der anschliessenden Pressekonferenz knapp zwei Stunden später erklärte. 22 Ja-Stimmen, ein Nein und eine Enthaltung. Die FDP reicht die Scheidung von Maudet ein.
Das Verfahren gegen das Genfer Regierungsmitglied und einstigen Bundesratskandidaten von 2017 im Zuge seiner luxuriösen Abu-Dhabi-Reise läuft seit rund zwei Jahren. Zuletzt, auch im Zuge der Corona-Krise, wurde es aber wieder etwas ruhiger und Maudet nutzte die Gunst der Stunde, um sich als agiler Macher und Vertreter einer breiten Wählerschaft in Erinnerung zu rufen. Doch in der vergangenen Woche wurde Maudet von der Vergangenheit wieder eingeholt.
Die Zeitung «Le Temps» machte Gesprächsprotokolle der Staatsanwaltschaft öffentlich, welche zuvor Maudet verhört hatte. Dazu gehörte auch ein Austausch über Whatsapp zwischen Maudet und seinem politischen Copain Simon Brandt vom Herbst 2018.
Darin wälzten die beiden Pläne, wie man Maudets Geburtstagsparty am besten im Nachhinein abrechnen solle. Denn die Staatsanwaltschaft untersuchte auch diesen Tatbestand, da die Hotelgruppe Manotel das Fest zum 40. Geburtstag Maudets mitfinanziert hatte. Der Kurznachrichtenaustausch der beiden Männer legt nahe, dass es darum ging, etwas vertuschen zu wollen. Zudem ist darin die Rede von «zuverlässigen» und «weniger zuverlässigen» Parteimitgliedern.
Dabei blieb es nicht. Die Staatsanwaltschaft gab in derselben Woche bekannt, dass sie ihre Untersuchungen abgeschlossen hat und nun einen Gerichtsprozess gegen Maudet plane. Der Verdacht: Vorteilsannahme.
Die Justiz fokussiert sich auf die Abu-Dhabi-Reise von 2015, zu der sich Maudet vom Königshaus der Vereinigten Arabischen Emirate hatte einladen lassen, dies aber anfangs abstritt. Erst später räumte er ein, gelogen zu haben. Der Manotel-Fall wird hingegen fallengelassen.
Bertrand Reich berief vergangene Woche nach den Medienberichten über die Whatsapp-Protokolle eine Sitzung in der kantonalen Parteispitze ein, die nun den Ausschluss Maudets beschlossen hat. Den Rückhalt der nationalen Partei hatte der Bundesratskandidat von 2017 schon länger verloren.
Anfang 2019 gewann Maudet allerdings eine Vertrauensabstimmung bei der kantonalen Parteibasis. Ob diese heute gleich ausfallen würde, ist zweifelhaft. Denn vergangenen Herbst kassierte die FDP in Genf eine heftige Wahlniederlage. FDP-Nationalrat Christian Lüscher und andere Parteikollegen schoben Maudet darauf die Schuld zu. Sein Festkrallen am Amt schade der Partei und er solle endlich zurücktreten, so der Tenor.
Und Maudet? Der 42-jährige – selbst Mitglied der Parteileitung – gibt sich nach wie vor kämpferisch. In einem Newsletter, den er wenige Tage vor der Parteiabstimmung versandte, kritisierte er die Parteileitung scharf. «Von Anfang an wollten meine Gegner mir schaden, indem sie einen mit politisch manipulierten Fakten konstruierten Fall aufbauten.»
Vom Versuch der Parteileitung, ihn auszuschliessen, habe er aus den Medien erfahren. Auf Anfrage schreibt Maudet gegenüber dieser CH Media: «Es war klar, dass die Strategie der FDP-Leitung im Voraus festgelegt wurde und das Ergebnis so erwartet werden konnte.»
Die Frage, ob er gegen den Parteientscheid in den nächsten 30 Tagen rekurrieren werde, beantwortet er nicht. Doch dürfte dies ausser Frage stehen. Somit wird es der Mitgliederversammlung im September obliegen, über Maudets Verbleib in ihren Kreisen zu urteilen.
Und dann stellt sich für Maudet die Frage: wie weiter? Er wäre dann ein parteiloser Staatsrat, der mit einem Gerichtsprozess konfrontiert, aber bis 2023 gewählt ist. Gut möglich, dass Maudet für dieses Szenario an einem Plan B feilt.
Denn schon seit längerem kursieren Gerüchte, dass der einst als Polit-Wunderkind gelobte Genfer eine eigene Partei gründen könnte. SP-Grossratsmitglied Thomas Wenger bestätigt, solche Gerüchte ebenfalls schon gehört zu haben. «Aber wer würde es jetzt wagen, sich mit Maudet zu verbrüdern? Er ist politisch gesehen tot.»
Das Problem sieht Wenger nicht zuletzt in der Genfer Verfassung. «Heute gibt es keine Möglichkeit für ein Amtsenthebungsverfahren.» Zwei Projekte für eine Gesetzesänderung würden derzeit behandelt, um dies zu ändern.
Doch Stand heute würde dies bedeuten, dass selbst wenn Maudet verurteilt würde, er an seinem Amt festhalten könnte – auch wenn er beteuert, in diesem Fall zurückzutreten. Nur: Einst beteuerte er auch, im Falle eines Gerichtsprozesses zurückzutreten. Doch Maudet ist noch immer da, und macht keine Anstalten, den Kampf aufzugeben.
Für Wenger ist klar: «Maudet hätte bereits vorgestern zurücktreten sollen.» Sein Fall laste nicht nur auf dem Image der FDP. «Mit seinem manipulativen Verhalten schadet er dem Image der Genfer Politik in der Deutschschweiz generell, egal ob er verurteilt wird oder nicht. Es ist eine Katastrophe.» (bzbasel.ch)