Frau Gössi, der Moment für Ihren Rücktritt im Juni hätte nicht besser passen können: Sie hätten die Abstimmung übers nationale CO2-Gesetz gewinnen und als Siegerin vom Feld gehen können. Doch dann kam alles anders...
Petra Gössi: Das Nein zum CO2-Gesetz hatte sich schon länger abgezeichnet. Dass gleichzeitig über die beiden extremen Agrarinitiativen abgestimmt wurde, hat der Vorlage sicher nicht geholfen. Ein Teil der Gegner und der Presse hat die Niederlage dann meiner Person angelastet, obwohl es sich um eine Behördenvorlage handelt. Wenn man kämpft, muss man auch damit leben können, im Zentrum eines Sturms zu stehen.
Sie haben am Tag darauf Ihren Rücktritt als FDP-Präsidentin bekannt gegeben. Haben Sie frustriert das Handtuch geworfen oder war der Abgang von langer Hand geplant?
Bei solch weitreichenden Entscheidungen, die mein Leben verändern, handle ich sicher nicht im Affekt. Dann überlege ich lange und beziehe auch mein engstes Umfeld ein. Der Zeitpunkt passte, ich bin jetzt 45-jährig und kann beruflich noch einmal richtig durchstarten. Und wenn man sich einmal entschieden hat, muss man es durchziehen, auch wenn es im Moment ein bisschen rumpelt.
Noch im März 2021 sagten Sie in einem Interview zur Frage, ob Sie sich im Jahr 2022 zur Wiederwahl als FDP-Präsidentin stellen: «Ja klar, ich bleibe Präsidentin und will die Wahlen gewinnen.» Was ist seither passiert?
(lacht) Nichts, die Wahlen will ich immer noch gewinnen – auch wenn ich nicht mehr Präsidentin bin! Aber klar, einen solchen Entscheid kann man nicht lange vorankündigen.
Sie sagen es: Es hat gerumpelt. Waren Sie auch überrumpelt?
Nein. Ich fand zwar nicht alle Kritik fair, aber das liegt in der Natur der Sache. Mich beschäftigt aber vielmehr die Aggressivität und die Bereitschaft von vielen, frontal gegen Personen zu schiessen – und dies sogar aus den eigenen Reihen. Das führt dazu, dass immer weniger Leute bereit sind, aus dem Mainstream hinauszutreten und sich zu exponieren.
Sie absolvieren derzeit ein Masterstudium. Es sieht ganz so aus, dass Sie sich bald ganz aus der Politik verabschieden wollen. Wann kommt die Nachricht von Ihrem Rücktritt als Nationalrätin?
Mein politisches Leben geht sicher weiter. Aber mein berufliches Leben ist zu kurz gekommen, mit meiner Ausbildung möchte ich mich weiterentwickeln. Das Nachdiplomstudium ist für mich eine Bereicherung.
Würde Sie dereinst ein Ständeratssitz reizen?
So weit reicht meine Planung noch nicht.
Am Samstag wird Ihr Nachfolger gewählt. Welche Wünsche geben Sie ihm mit auf den Weg?
Er soll authentisch und unabhängig bleiben und mit der Parteibasis zusammenarbeiten. Ich habe gespürt, wie wichtig es ist, dass alle miteinbezogen werden.
Aber genau dafür wurden Sie kritisiert, Sie hätten mit dem Klimathema an der Parteibasis vorbeipolitisiert.
Ach, das wurde von unseren Gegnern so dargestellt. Ich stehe nach wie vor zu meiner Meinung: Wenn die Freisinnigen eine Volkspartei und nicht eine Elitepartei sein wollen, können wir uns nicht nur auf die Wirtschaftspolitik beschränken, dann müssen wir auf alle wichtigen Fragen Antworten haben – auch auf die Umweltthemen.
In Ihrem Heimatkanton jedenfalls scheinen es Klimathemen schwer zu haben, die CO2-Abstimmung wurde deutlich bachab geschickt.
Die Schwyzerinnen und Schwyzer haben einen sehr starken Glauben daran, dass der Regulator nicht immer eingreifen muss und dass die Wirtschaft dann schon selber richtig agiert. Diese Haltung finde ich sympathisch und richtig.
Ärgerten Sie sich darüber, dass sich Ihr Parteikollege und Regierungsrat Kaspar Michel gegen die CO2-Vorlage ausgesprochen hatte?
Ich fand es unschön, weil ich von den Regierungsräten immer höre, dass sie zu den nationalen Vorlagen keine Stellung nehmen möchten. Ich nahm dann zur Kenntnis, dass das je nach Situation sehr individuell ausgelegt wird.
Ihre politische Laufbahn haben Sie im Schwyzer Kantonsrat gestartet. Dort seien Sie nicht besonders aufgefallen, man sei überrascht gewesen, als Sie den Schritt ins FDP-Präsidium wagten, erzählt man sich rückblickend.
Ich gehöre nicht zu jenen, die sich laut bemerkbar machen. Für mich ist solide Arbeit und gezieltes Auftreten wichtiger. Ich mag mich noch gut an meinen ersten Auftritt im Kantonsrat erinnern, ich hatte weiche Knie und war nervös und unsicher. In die Politik wächst man hinein, ich bin dankbar, dass ich diese Schritte in Schwyz machen konnte.
Was war Ihr schönstes Erlebnis als Parteipräsidentin?
Für mich war die Bundesratswahl nach dem Rücktritt von Didier Burkhalter sehr spannend und lehrreich. Wir mussten nach seinem überraschenden Rücktritt innert weniger Stunden den ganzen Wahlprozess organisieren, da waren die Tour mit den Kandidaten durch die Schweiz und das Verhandeln mit den anderen Fraktionen. Auch am Tag der Wahl von Ignazio Cassis war ich unglaublich nervös, da war eine riesige Spannung drin. Ich habe es gern, wenn die Post abgeht.
Und was war der Tiefpunkt?
Die Corona-Zeit finde ich sehr schwierig. Ich besuchte sonst während mindestens fünf Abenden pro Woche FDP-Gruppen in der ganzen Schweiz, ich konnte mich direkt mit den Menschen austauschen und das gab mir auch die nötige Energie für mein Amt. Und dann war dies alles plötzlich nicht mehr möglich. Ich führte viele digitale Stammtische durch, aber es hat mich nie wirklich begeistert. Unser Parteiprogramm ist nicht einfach schwarz-weiss, unsere Positionen muss man den Leuten im direkten Gespräch näherbringen. Uns hat Corona nicht gutgetan.
Das heisst, dass die FDP bei den nächsten Wahlen weiter verlieren wird?
Nein! Ich bin zuversichtlich. Wir kommen in eine Zeit, die für uns einfacher sein wird. Wirtschaftsfragen sind unsere Kernkompetenz, und diese Themen werden jetzt wieder ins Zentrum rücken.
Einfacher heisst aber noch lange nicht, dass die FDP zulegen kann.
Das stimmt. Aufholbedarf haben wir sicher im Bereich Social Media. Diese Kanäle müssen wir noch stärker bewirtschaften, das wird uns schnell helfen.
Zu welchem Thema werden Sie als jetzt ganz «normale» Nationalrätin einen Vorstoss einreichen?
Zum nationalen Finanzausgleich, weil wir dort meines Erachtens immer noch offene Fragen haben. Ich will in Erfahrung bringen, wie kantonale Steuerrulings dem Ressourcenpotenzial angerechnet werden.
Was tun Sie jetzt mit der vielen freien Zeit?
Ich möchte wieder mehr Sport machen, für ein Wochenende zum Skifahren oder Wandern verreisen, ohne dass ich ständig erreichbar sein muss. In der Corona-Zeit habe ich begonnen, selber zu kochen. Bislang war ich ständig unterwegs und ass immer auswärts, jetzt möchte ich wieder bei mir daheim Gäste einladen.
Sie paddeln neuerdings auf dem Vierwaldstättersee.
Tatsächlich, ich habe das Paddeln einmal ausprobiert, und es hat mir wahnsinnig gut gefallen. Deshalb habe ich mich jetzt bereits schlau gemacht, wie ich ein Kajak von meiner Wohnung quer durchs Dorf bis zum See transportieren könnte, und wann ich überhaupt Zeit finde, um Paddeln zu gehen.
Sie erwähnen es, das Parteipräsidium ist ein Verschleissjob.
Der Druck ist gross. Ich war ständig im Einsatz oder einsatzbereit, selbst am Wochenende und in den Ferien, denn in der Politik läuft immer etwas, und man muss Red und Antwort stehen. Und man trägt eine grosse Verantwortung – auch für Dinge, auf welche man gar keinen direkten Einfluss hat.
Und jetzt können Sie wieder ruhig schlafen.
Das ist wohl mein grösstes Geschenk: Ich kann immer gut schlafen.
Es ist nicht die Zeit der FDP im allgemeinen, die ihrer Klientel nichts zu bieten hat. Dir Probleme die auf uns warten sind nicht die Basis für eine FDP-Politik der letzten beiden Jahrzehnte.
Die Probleme sind so gross, dass wenig Spielraum für lockeren Liberalismus oder gar Neuliberalismus bleibt.
Auch Burkart wird dies schnell merken. Wer heute nicht an tragbaren Lösungen ernsthaft mitarbeitet der geht unter.
Die FDP steht vor einer nötigen Erneuerung und muss den Beweis antreten, dass es ihr zB in Sachen Klima Ernst ist.