Schweiz
Film

Zürcher Weihnachts-Tatort «Fährmann» – die Kritik

Siebenmal mussten wir uns für den Zürcher Tatort fremdschämen – nun ist er endlich gut

Die Kommissarinnen jagen an Weihnachten einen Serienmörder. Der «Fährmann» ist die bislang beste Folge aus Zürich und ein Befreiungsschlag für die oft fad und kontrolliert wirkende Anna Pieri Zuercher.
22.12.2024, 21:31
Julia Stephan / ch media
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Date mit dem Mörder: Kommissarin Isabelle Grandjean (Anna Pieri Zuercher) mit Marek Kowalski (Lucas Gregorowicz).
Date mit dem Mörder: Kommissarin Isabelle Grandjean (Anna Pieri Zuercher) mit Marek Kowalski (Lucas Gregorowicz).Bild: srf/Sava Hlavacek

«Ich habe keine Zeit für korrektes Sozialverhalten», sagt Marek Kowalski (Lucas Gregorowicz). Der gut gekleidete Anzugträger, der Isabelle Grandjean im Weihnachtsbudenzauber auf dem Zürcher Sechseläutenplatz ein Lebkuchenherz schenkt, sieht ein bisschen aus wie Elon Musk in attraktiver Version. Kowalski tippt sich an die Stirn. «Hier drin wächst der Tod.» «Ein Tumor zum Flirten? Ist das dein Ernst?», fragt die Kommissarin. Und erliegt dann doch dem Charme des Fremden, der ihr bedeutet: «Komm mit, die Welt ist gross.»

Was wir wissen und Grandjean nicht: Kowalski ist ein Serienmörder. An Werktagen spielt er als Unternehmensberater Gott, entscheidet über das Schicksal von Arbeitskräften und verhält sich dabei ähnlich erratisch wie sein optischer Wiedergänger Musk. Privat betreibt er «ökonomische Euthanasie». Er vergiftet Menschen, die er zuvor von der Karriereleiter geschubst hat, mit Schierling. Dann legt er ihnen eine antike Münze, einen so genannten Obolus, unter die Zunge.

Die Silbermünze gilt in der griechischen Mythologie als Lohn für den Fährmann, der die Toten über den Fluss Styx in die Unterwelt bringt. Und Kowalski – drunter macht er's nicht – spielt in dieser Geschichte den die Geschicke der Welt lenkenden Gott. «Ich bin das A und das O», sagt der Charismatiker einmal. Eine Erlöserfigur mit Allmachtsfantasie.

Billiger Weihnachtsbudenzauber

Doch zurück zum billigen Weihnachtsbudenzauber, der am Sechseläutenplatz sogleich seine volle Wirkung entfaltet. Ausgerechnet die sonst so kontrollierte Isabelle Grandjean (Anna Pieri Zuercher) und nicht ihre von okkulten Praktiken und Esoterik angezogene Kollegin Tessa Ott (Carol Schuler) landet mit dem todkranken Kowalski in einem Hotelbett. Von da an steht nicht nur er, sondern auch sie nichts ahnend an der Schwelle zwischen Leben und Tod.

Sieht alles, nur nicht das Wesentliche: Isabelle Grandjean (Anna Pieri Zürcher).
Sieht alles, nur nicht das Wesentliche: Isabelle Grandjean (Anna Pieri Zürcher).Bild: srf/Sava Hlavacek

Als Grandjean nach einem anonymen Hinweis Kowalskis, der sich vor ihr nie als Mörder zu erkennen gibt, eine Leiche mit einem Obolus findet, gerät sie in Panik. Sie fühlt sich an einen alten Fall erinnert, den sie als Debütantin in La Chaux-de-Fonds gelöst hatte und der den Grundstein zu ihrer heutigen Karriere legte.

«Habe ich den falschen Täter verhaftet?», fragt sich Grandjean, die den Modus Operandi des Täters sofort erkennt. Und: «Baut meine Karriere auf einem Fehler auf?» Angetrieben von Schamgefühlen bringt sie sich auf einem Alleingang in grosse Gefahr, während Ott auf dem Dienstweg seriös weiterermittelt.

Gelingt jetzt der Imagewandel?

Mit der Luzerner «Tatort»-Folge «Ihr werdet gerichtet» feierte 2015 ein aus der Perspektive eines Serienmörders erzählter Schweizer «Tatort» über die Grenzen hinaus grossen Erfolg. Der aus Rache tötende Täter, der damals vom deutschen Schauspieler Antoine Monot jr. verkörpert wurde, brachte – auch in Deutschland und in Österreich – den Glauben an den faden Luzerner «Tatort» zurück.

Auch diesem Serienmörder aus Zürich wäre so ein Coup zuzutrauen. Das Timing wäre perfekt. Über Weihnachten werden wieder viele abtrünnige «Tatort»-Jünger vor dem Fernseher sitzen, und genau die gilt es zu bekehren. Und überzeugen kann diese achte Folge aus Zürich mit einem originellen Drehbuch und einem prominenten deutschen Fernsehgesicht, das bei unseren Nachbarn noch paar Extra-Sympathiepunkte mehr bringen dürfte.

Denn dem deutsch-polnischen Schauspieler Lucas Gregorowicz, der bis 2022 als «Polizeiruf»-Kommissar Adam Raczek in Frankfurt an der Oder ermittelte, gelingt es, das Geheimnis des Täters, der ab Minute eins feststeht, zu wahren und als Figur für den Zuschauer interessant zu bleiben. Kowalski sucht die absolute Kontrolle, zeigt wegen eines unheilbaren Tumors aber auch Schwächen. Warme Zuwendung und Kälte wechseln sich ab, und auch die Bildsprache der Folge folgt diesem Prinzip.

Als Grandjean und der Mörder sich wieder am Weihnachtsmarkt treffen, knipst ein Stromausfall die Lichterketten aus, und es bleibt nicht der letzte Vorfall in dieser mystisch aufgeladenen «Tatort»-Folge. Immer wieder kriecht die Kälte in die warmen Weihnachtsszenen, während der Täter zur intimsten Bekanntschaft der vereinsamten Kommissarin wird. Die will das fehlende Puzzleteil ihrer Ermittlungen, das da vor ihrer Nase steht, einfach nicht erkennen.

Der Mörder im Massanzug: Der ehemalige Polizeiruf-Ermittler Lucas Gregorowicz tötet in Serie. Und fühlt sich dabei als Erlöser.
Der Mörder im Massanzug: Der ehemalige Polizeiruf-Ermittler Lucas Gregorowicz tötet in Serie. Und fühlt sich dabei als Erlöser.Bild: srf/Sava Hlavacek

Regie geführt hat wie auch schon bei der Züri-Zoo-Folge «Von Affen und Menschen» der Schweizer Michael Schaerer («Stationspiraten»). Seine Vergangenheit als Filmeditor dürfte verhindert haben, dass der «Fährmann» nicht wie fast alle Vorgängerfolgen wie ein verunglücktes Schnipselwerk sich überbietender Ideen aussieht. Zum ersten Mal überhaupt in der Geschichte des Zürcher «Tatorts» kommt hier eine Folge wie aus einem Guss. Allein schon das ein Grund zum Feiern.

Und feiern muss man auch die mächtige Soundkulisse aus klassischen Blasinstrumenten und elektronischen Knackgeräuschen von Mirjam Skal, die für ihren Soundtrack zu «Von Affen und Menschen» den Rolf-Hans Müller Preis für Filmmusik erhielt. So intensiv ist sie, dass man den Eindruck bekommt, die Schauspieler müssten sich nur zur Musik verhalten, um in ihren Gesten bedeutungsvoll zu wirken.

Vor allem aber können die geistigen Erfinder der Zürcher Kommissarinnen, Stefan Brunner und Lorenz Langenegger, als Drehbuchschreiber endlich das Image der Isabelle Grandjean korrigieren, die als kontrollierter, humorloser Gegenpart von Tessa Ott oft langweilig und vorhersehbar wirkte. Es sei ihre bisher liebste Folge gewesen, lässt sich die Darstellerin Anna Pieri Zuercher in der Medienmitteilung zitieren. Und auch wir sind nach sieben Folgen des Fremdschämens endlich erlöst von der Rolle der Dauernörglerin – dank guter Schweizer Qualitätsarbeit. (aargauerzeitung.ch)

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67 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Protomix
22.12.2024 22:45registriert Dezember 2024
Ich hab mich gerade durchgequält. Auch wenn die Figur Grandjean früher Fehler gemacht hat, wie kommt eine langjährige Komissarin auf die Idee einen Alleingang zu machen und auch noch Spuren zu beseitigen. Da hats mir eigentlich schon gereicht.
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MartinZH
22.12.2024 22:27registriert Mai 2019
Ich bin ganz anderer Ansicht:

Der Plot war sehr flach: Ein irrer Serientäter vergiftet Menschen und legt ihnen eine Münze unter die Zunge. Warum diese Obsession zu historischen Münzen? Keine Ahnung. Weil der Täter Banker war?

Eine Polizistin geht dem Täter auf den Leim und wäre fast gestorben. Warum diese plumpe Dramatik? Es war ja absehbar, dass sie das überlebt.

Die Story war simpel und langatmig erzählt: Ohne die Längen hätten 45 Min. gereicht.

Null Situationskomik oder witzige Elemente.

Krimis, wo der Täter von Beginn weg bekannt ist, sind immer schwierig. Columbo bildet die Ausnahme.
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Jazz Guitarero
22.12.2024 21:44registriert September 2021
Wenn das die beste Folge war, müssen die anderen sechs sehr schwach gewesen sein. Die Geschichte ist schwach, strotzt von Klischees, und war vorhersehbar.
Nur wenige deutsche Tatort-Folgen sind auch so schwach, die allermeisten sind deutlich besser.
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