Jositsch schweigt nach Demütigung in der SP-Fraktion – und stellt sich wohl die GLP-Frage
Es sei schlimm für ihn gewesen, ist aus dem Umfeld von Daniel Jositsch zu hören. Im ersten Wahlgang erzielte er vier Stimmen in der SP-Fraktion. Wenn man davon ausgeht, dass er den eigenen Namen auf den Zettel schrieb, hatte er drei Parteikollegen auf seiner Seite. Drei von 48. Die SP liess Jositsch am Samstag durchfallen bei der Nomination ihrer beiden Bundesratskandidaten.
Besonders deprimierend für den Strafrechtsprofessor: Die Versammlung dauerte fünf Stunden. 18 Wahlgänge waren nötig, bis das Zweierticket stand. Jositsch wusste nach wenigen Minuten, dass er chancenlos bleiben würde. Er musste im Saal verharren mit politischen Mitstreitern, von denen er wusste: Sie wollen mich nicht. Die eigene Enttäuschung zu verbergen, über Stunden, das laugt einen aus.
Verhängnisvoller Moment vor einem Jahr
Jositsch rechnete zwar mit Skepsis in der Fraktion. Aber dann desavouierten ihn die Sozialdemokraten. Der bestgewählte Parlamentarier im Land (237'000 Stimmen), der Politiker, den die Schweizerinnen und Schweizer laut Umfragen in die Landesregierung wählen würden, wenn sie könnten, fiel zweimal als erster der sechs Anwärter auf einen Bundesratssitz aus dem Rennen. Eine Schmach.
Es hatte ihm geschadet in der Partei, dass er vor einem Jahr von Diskriminierung sprach. Die SP-Fraktion wollte ein Frauenticket für die Nachfolge von Simonetta Sommaruga. Jositsch fand das unfair. Eine Rolle bei seinem Drängen spielte möglicherweise dies: Man ging in der Partei damals davon aus, dass Alain Berset noch lange im Amt bleibt. Jositsch ist 58. Er wollte nicht länger warten.
Es kam der verhängnisvolle Moment, da der Zürcher Ständerat sitzen blieb, statt im Nationalratssaal ans Rednerpult zu gehen und zu erklären: «Ich bin nicht Kandidat.» 58 Stimmen hatte Jositsch im ersten Wahlgang erzielt, obwohl er nicht auf dem Ticket der Partei stand. Sein Schweigen am 7. Dezember 2022 kam in der SP-Fraktion sehr schlecht an. Einige sprachen von Verrat.
Chantal Galladé glaubt aber nicht, dass Jositsch ohne diesen Vorfall die Nomination jetzt geschafft hätte. «Den sozialliberalen Flügel der SP haben Parteileitung und Fraktion so lange ausgegrenzt, bis es ihn nicht mehr gab. Er passte nicht zur dogmatischen Haltung der Partei», sagt sie.
Galladé war 15 Jahre SP-Nationalrätin und wechselte 2019 zu den Grünliberalen. Sie begründete dies unter anderen damit, dass die Partei zugeschaut habe, wie die Gewerkschaften das Rahmenabkommen mit der EU torpediert hätten.
Die frühere Lebenspartnerin und heutige Freundin Jositschs interpretiert die Geschehnisse vom vergangenen Samstag so: Die SP-Spitze hat eine Gelegenheit genutzt, um einen der letzten verbliebenen bekannten Sozialliberalen wegzudrängen. Jositschs Verhalten vor einem Jahr war dafür nicht Ursache, sondern ein willkommener Vorwand.
Was meint Jositsch selber zu dieser Einschätzung? Warum liess ihn die eigene Fraktion abstürzen? Er schweigt. Möglicherweise bleibt er still bis zu den Bundesratswahlen am 13. Dezember. Jositsch ist dabei, seine Optionen zu prüfen. Es sind deren drei.
- Erstens: Jositsch versucht, den Ärger zu schlucken. Er macht in der SP-Fraktion weiter, irgendwie. Mehrmals hat er erklärt, dass die Sozialdemokratie seine politische Heimat sei und bleibe.
- Zweitens: Jositsch tritt aus der Partei aus. Das tat 2021 ein anderer Exponent des kleinen rechten Flügels der SP: der Zürcher Regierungsrat Mario Fehr. Er hatte sich aufgerieben an den Jungsozialisten, die seinen Kurs als Sicherheitsdirektor unablässig kritisierten. Fehr schaffte auch ohne Parteibuch die Wiederwahl in die Zürcher Regierung - er landete sogar auf dem ersten Platz.
- Die dritte Option: Jositsch wechselt wie Galladé von der SP zu den Grünliberalen. Die GLP vertritt die Ansicht, dass die Schweiz ihre Beziehung zur EU bald in einem neuen, umfassenden Abkommen regeln sollte. Jositsch teilt diese Haltung. Wird er ein Grünliberaler?
Unter den Grünliberalen wird schon gescherzt
In der SP gibt es einige, die finden: Die Parteispitze hätte am Samstag dafür sorgen müssen, dass Jositsch mehr Stimmen erhält und als gescheiterter Bewerber sein Gesicht wahren kann. Denn sein Wechsel zu den Grünliberalen könnte an der Basis der Sozialdemokraten zu Unruhe führen.
Liegt dem Co-Präsidenten der Kantonalzürcher Grünliberalen, Nicola Forster, schon ein Beitrittsgesuch Jositschs vor? Nein. Forster äussert sich zurückhaltend: «Wir mischen uns nicht in SP-interne Konflikte.» In der GLP wird aber bereits gescherzt: Vielleicht entsende der Kanton Zürich mit Tiana Moser und Daniel Jositsch bald zwei Grünliberale in die kleine Kammer. Es wäre eine im wahrsten Sinne ungeteilte Standesstimme. (aargauerzeitung.ch)
