Die Welt dreht sich schneller als früher, und das wirkt auch in die Arbeitswelt hinein. Immer mehr Arbeitnehmer geben an, dass sie mehr leisten müssen, als sie können. Im neusten Job-Stress-Index sagen 27 Prozent der Befragten, dass die Belastung ein kritisches Ausmass erreicht habe.
Es gibt zwar keine Schweizer Burnout-Statistik. Doch das Thema treibt Angestellte und Firmen zunehmend um. Und letzte Woche hat die Weltgesundheitsorganisation WHO das Syndrom in ihren Katalog aufgenommen, nicht als Krankheit, sondern als krankmachenden Faktor.
Die Diskussion erreicht auch die Politik. In der heute beginnenden Sommersession ist ein Vorstoss von SP-Nationalrat Mathias Reynard traktandiert. Der Walliser verlangt, dass das Burnout künftig als Berufskrankheit anerkannt wird. Auch SP-Vizepräsidentin Barbara Gysi hält dies für notwendig. «Die Arbeitswelt hat sich stark verändert. Das führt teils zu anderen Verletzungen und Krankheiten als früher. Dem gilt es Rechnung zu tragen», sagt die Gewerkschafterin.
In der Schweiz ist jeder Arbeitnehmer gegen Berufsunfälle und gegen Berufskrankheiten versichert. Damit eine solche Berufskrankheit, und damit der Anspruch auf Leistungen der Unfallversicherung, anerkannt wird, muss eine Reihe von Kriterien erfüllt werden. Dazu gehört, dass die Krankheit auf einer abschliessenden Liste steht – so wie etwa die Staublunge.
Psychische Erkrankungen finden sich dort aber nicht. Sie werden in der Schweiz grundsätzlich nicht als Berufskrankheit betrachtet.
Betroffene können zwar versuchen, ihre Krankheit individuell anerkennen zu lassen. Allerdings hat das Bundesgericht dafür hohe Hürden festgelegt. So muss für den kausalen Zusammenhang zwischen der Arbeitstätigkeit und der Erkrankung eine Wahrscheinlichkeit von 75 Prozent nachgewiesen werden.
Das bedeutet, dass ein Arbeitnehmer beweisen muss, dass seine psychische Erkrankung grossmehrheitlich mit seinem Job zu tun hat. In der Praxis gelingt das so gut wie nie. Sabine Steiger-Sackmann, Dozentin für Arbeits- und Sozialversicherungsrecht an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW), hat Kenntnis von einem einzigen Fall. Die posttraumatische Belastungsstörung eines Kriegsjournalisten wurde als psychisch bedingte Berufskrankheit anerkannt.
Wer ein Burnout erleidet, landet heute meist bei der Krankenversicherung – etwa wegen einer Depression, die im Zusammenhang mit einem Burnout steht. «Am Schluss bezahlt also die Krankenkasse – und damit die Allgemeinheit – für eine Krankheit, die vor allem mit dem Job zu tun hat», sagt SP-Nationalrätin Gysi. Um diesen Missstand zu beheben, sei es unabdingbar, dass Burnouts als Berufskrankheit anerkannt werden.
So weit dürfte es aber nicht kommen. Das bürgerliche Lager stellte sich in der vorberatenden Kommission nämlich gegen das Anliegen. FDP-Nationalrätin Regine Sauter sagt, es fehle eine klare medizinische Burnout-Diagnose, ein einheitliches Krankheitsbild. «Zudem ist es schwierig, den kausalen Zusammenhang eindeutig nachzuweisen. Es sind meist mehrere Gründe, die zu einem Burnout führen, private wie berufliche», sagt Sauter, die Direktorin der Zürcher Handelskammer ist.
Selbst eine Arbeitgeberin, stellt sich die Zürcherin auf den Standpunkt, dass es an den Firmen sei, das Thema Überlastung am Arbeitsplatz im Auge zu haben. Und allfällige Burnouts so frühzeitig zu verhindern. «Ich bin überzeugt, dass das heute schon passiert», sagt Sauter.
Der Widerstand von Wirtschaftsvertretern dürfte aber auch noch einen anderen Grund haben: Die Angst vor einem markanten Prämienanstieg, wenn Burnouts plötzlich auf der Liste der Berufskrankheiten stehen. Diesen müssten die Schweizer Unternehmen berappen.
Sabine Steiger-Sackmann von der ZHAW findet, dass das Schweizer Arbeitsrecht nicht mehr zur Arbeitswelt passt. Das heisst aber nicht, dass sie eine Befürworterin des Vorstosses von Reynard ist. Dieser ist ihr zu sehr auf das Thema Burnout fokussiert.
Steiger-Sackmann findet, dass es eine breitere Diskussion brauche. «Es gibt viele Krankheitsbilder, die mit der Belastung am Arbeitsplatz zusammenhängen können», sagt sie – und zählt da etwa auch Hirnschläge oder Herzinfarkte auf.
Wer heute in der Schweiz eine Berufserkrankung geltend machen will, erhält entweder alles oder nichts. Dass eine Krankheit nur teilweise vom Beruf verursacht worden ist: Diese Abstufung ist nicht möglich. Steiger-Sackmann kritisiert: «Es braucht ein Umdenken, um die Gefahren der modernen Arbeitswelt besser abzubilden.»
Ihr schweben genauere Abklärungen vor, inwiefern eine Erkrankung mit dem Job zu tun hat. «Wir müssen Berufskrankheiten grosszügiger anerkennen», sagt sie. Die Expertin erhofft sich auch den Effekt, dass durch höhere Prämien – und damit höhere Präventionszuschläge – die nötigen Mittel für gezieltere Prävention am Arbeitsplatz bereitgestellt werden. (bzbasel.ch)
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