Es ist eine ungewöhnliche Situation: Die Schweiz führt im Eiltempo eine neue Steuer ein - und noch ist unklar, wofür das Geld genau verwendet werden soll.
Hintergrund ist die OECD-Steuerreform, die für international tätige Konzerne mit einem Umsatz von mindestens 750 Millionen Euro eine Mindestbesteuerung von 15 Prozent vorsieht. In der Schweiz sollen diese Firmen ab 2024 eine Ergänzungssteuer zahlen, wenn sie den Mindeststeuersatz nicht erreichen. Das schlägt der Bundesrat vor.
Der Bund schätzt, dass dadurch rund 1 bis 2.5 Milliarden Franken zusätzlich beim Fiskus landen. Geht es nach dem Bundesrat, soll dieses Geld vollumfänglich den Kantonen zufliessen, damit sie den Verlust an Steuerattraktivität abfedern können.
Das Parlament dürfte damit aber nicht einverstanden sein, wie die Vernehmlassung zeigt, die am Mittwoch endete. Grüne, SP, GLP und Mitte sprechen sich dafür aus, dass der Bund zumindest einen Anteil erhält. Zusammen haben die vier Parteien eine Mehrheit in beiden Kammern.
Sie kritisieren, dass beim Vorschlag des Bundesrats hauptsächlich die Tiefsteuerkantone profitieren würden. Zudem stören sie sich daran, dass der Bund gar Minus machen würde - wegen des Finanzausgleichs kommen Mehrausgaben in der Höhe eines niedrigen dreistelligen Millionenbetrags auf ihn zu.
Der Basar ist dabei eröffnet: Während die Mitte für einen Bundesanteil von 25 bis 50 Prozent plädiert, wollen die Grünen gleich alles dem Bund zukommen lassen.
Selbst die Kantone zeigen sich bereit, auf einen Teil der Einnahmen zu verzichten: Die Konferenz der kantonalen Finanzdirektorinnen und -direktoren will dem Bund maximal 25 Prozent der Einnahmen zugestehen. Die beiden grössten - und nicht als Tiefsteuerstandorte bekannten - Kantone Zürich und Bern wollen dem Bund noch mehr zuschanzen.
FDP und SVP sowie der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse plädieren hingegen grundsätzlich dafür, das Geld den Kantonen zufliessen zu lassen. Diese würden direkt mit einem Verlust steuerlicher Attraktivität konfrontiert sein, schreibt etwa die FDP. Mit den zusätzlichen Steuereinnahmen könnten sie die Nachteile kompensieren.
Wie das genau geschehen soll, ist der zweite grosse Zankapfel. Zur Diskussion stehen unter anderem Investitionen in die Bildung oder die Herabsetzung anderer Steuern und Abgaben. Von links bis hin zur Mitte heisst es indes, zumindest ein Teil der Mehreinnahmen müsse den Bürgerinnen und Bürgern zugutekommen.
An Ideen, wie das Geld eingesetzt werden könnte, mangelt es nicht: Prämienverbilligungen, familienergänzende Kinderbetreuung, AHV oder Klimaschutzmassnahmen - um nur einige Beispiele zu nennen.
Unklar ist, wie viel überhaupt in die Kassen gespült wird. Bemerkenswert ist ein Satz in der Stellungnahme von Economiesuisse: Ein finanzieller Effekt ausserhalb der geschätzten 1 bis 2.5 Milliarden Franken erscheine «als ebenso wahrscheinlich wie ein Effekt innerhalb der Spannbreite». Ob es eher weniger oder mehr sei, lasse sich nicht sagen, heisst es beim Verband auf Nachfrage.
Anders gesagt: Man weiss es schlicht nicht. Das liegt unter anderem daran, dass die äusserst komplexen OECD-Regeln zur Berechnung der Steuerbelastung noch nicht im Detail klar sind. Das Finanzdepartement hält fest, die Schätzung sei provisorisch und werde mit Blick auf die Botschaft des Bundesrats - die im Juni vorliegen soll - «weiter vertieft».
Angesichts dieser Unsicherheit sei es schwierig für den Bund, konkrete Projekte und Programme zu beschliessen, schreibt Economiesuisse. Für die Kantone sei dies einfacher, argumentiert der Verband. «Die Kantone kennen ihre Unternehmen, da sie diese veranlagen, und können die zusätzlichen Einnahmen besser abschätzen, sobald die Vorgaben konkreter sind», sagt Christian Frey. Zudem könnten sie rascher und flexibler auf schwankende Einnahmen reagieren als der Bund.
Ob dieses Argument bei den Politikerinnen und Politikern zieht, wird sich bald weisen: Die Vorlage soll bereits im September ins Parlament kommen. Das letzte Wort sollen die Stimmberechtigten am 18. Juni 2023 haben. (aargauerzeitung.ch)