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Pharmabranche: So viele Medikamente kommen nicht auf den Schweizer Markt

Krebsmedikamente werden oft über Einzelfallvergütungen bezahlt.
Krebsmedikamente werden oft über Einzelfallvergütungen bezahlt.Bild: Maria Casinos / Getty

Pharmabranche verrät: So viele Medikamente kommen nicht auf den Schweizer Markt

Seit Anfang Jahr gelten neue Regeln für die sogenannte Einzelfallvergütung. Hersteller von Medikamenten monieren, die Ziele dieser Revision seien verfehlt worden.
12.12.2024, 07:25
Pascal Michel / ch media
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Die Reform ist so kompliziert, dass die Behörden die Details immer wieder erklären müssen. Es gab bereits etliche Runde Tische mit Krankenkassen, der Pharmaindustrie und den Ärzten. Der Bund sah sich zudem genötigt, ein 32-seitiges Dokument mit den wichtigsten Fragen und Antworten zusammenzustellen. Und er hat einen umfassenden Verwaltungsbericht verfasst, der die Nuancen der KLV-KVV-Reform aufzeigen soll. Dennoch braucht es noch weiteren Klärungsbedarf. Auch 2025 sind wieder zwölf Treffen dreier Arbeitsgruppen angesetzt.

Ein viel diskutierter Punkt aus dem Massnahmenpaket zur Kostensenkung im Gesundheitswesen ist die Einzelfallvergütung: Vor dem 1. Januar 2024 konnte jede Krankenkasse eigenmächtig entscheiden, ob sie beispielsweise ein Krebsmedikament, das in der Schweiz noch nicht zugelassen ist, bezahlen will. Sie musste dazu den Preis direkt mit dem Hersteller verhandeln. Das führte zu einer Ungleichbehandlung. Einige Kassen bezahlten die Therapie – andere lehnten identische Anträge ab. Für die Patienten konnte dies fatale Konsequenzen haben.

Hier setzt die besagte Reform an und verpflichtet seit Anfang Jahr alle Kassen, unter gewissen Bedingungen sogenannte Off-Label-Medikamente zu bezahlen. Statt individueller Preisverhandlungen mit den Herstellern wenden die Krankenkassen für diese Therapien seither definierte Preisabschläge von 30 bis 50 Prozent des Auslandspreises an. Das sollte die Chancengleichheit verbessern.

Bürokratie greift um sich

Dieses Ziel wurde laut der Vereinigung der Pharmafirmen in der Schweiz (Vips) verfehlt. Der Zugang sei zwar vereinheitlicht worden, aber auf tieferem Niveau. Zu diesem Schluss kommt deren Geschäftsführer Ernst Niemack aufgrund einer Befragung bei 75 Vips-Mitgliedern, die CH Media vorliegt. Darin erklären die befragten Firmen, dass sie 2024 bei insgesamt sieben Medikamenten ganz darauf verzichtet hätten, diese in der Schweiz auf den Markt zu bringen. Ebenfalls verzichteten einige Hersteller darauf, den Behandlungsbereich bestehender Produkte auszuweiten.

ARCHIV - 06.03.2020, Sachsen, Leipzig: Medikamente liegen im Lager einer Apotheke. (zu dpa:
2024 verzichteten die Firmen auf sieben Medikamente.Bild: keystone

Die Firmen bringen ihre Innovationen nicht auf den Markt, weil sie mit den neuen Einzelfallvergütungen zu starke Preisabschläge befürchten. Zudem sehen sie den steigenden bürokratischen Aufwand kritisch. Die Zahl der Einzelfallvergütungen nimmt zu, weil mit den neuen Regeln viel mehr Krankenkassen dieses Instrument nutzen müssen. Gleichzeitig ist der Zeitaufwand pro Fall gestiegen. Zuvor lag er bei knapp einer halben Stunde pro Fall, nun ist er höher, wie mehr als die Hälfte der befragten Firmen angeben.

Diese Gemengelage führte laut dem Verband dazu, dass in diesem Jahr 200 Patienten der Zugang zu teilweise lebenswichtigen Medikamenten verwehrt blieb. «Wir haben bereits in der Vernehmlassung davor gewarnt, dass die Reform zwar die Chancengleichheit verbessert, gleichzeitig aber die Versorgung gefährden könnte», sagt Niemack. «Diese Befürchtungen, die der Bundesrat und das Bundesamt für Gesundheit ignorierten, haben sich nun bestätigt.» Der Pharma-Vertreter warnt deshalb davor, dieselben Fehler im Kostendämpfungspaket 2 zu wiederholen, das derzeit im Parlament behandelt wird. Erst diese Woche hat der Nationalrat dort neben den «semitransparenten» Preismodellen etwa Mengenrabatte für umsatzstarke Medikamente beschlossen. Niemack hofft zudem, dass die äusserst komplexen Einzelfallvergütungen bei einer nächsten Revision vereinfacht werden.

Der Bund kontert

Das BAG betont auf Anfrage, die Schweiz habe die höchsten Medikamentenkosten pro Kopf in Europa. «Die Einzelfallvergütung macht einen minimalen Anteil der Umsätze von Pharmaunternehmen in der Schweiz aus. Gerade für neue Arzneimittel sind die erforderlichen Preisabschläge in der Einzelfallvergütung vergleichsweise gering.» Vor diesem Hintergrund sei wenig nachvollziehbar, dass «Firmen ihre Arzneimittel den Schweizer Patientinnen und Patienten nicht zur Verfügung stellen wollen».

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25 Kommentare
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Ironiker
12.12.2024 08:15registriert Juli 2018
Parallelimporte aus sicheren Quellen zulassen. Und schon sind diese Medikamente in der Schweiz erhältlich. Nebenbei würde dies eine erhebliche Auswirkung auf die Krankenkassenprämie haben.

Aber in Bundesbern wird lieber die Millionen-Saläre und Boni der Geschäftsleitung geschützt, als für den einfachen Bürger geschaut.
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Gen X
12.12.2024 08:58registriert August 2023
Meine Frage hierzu:
Wenn dem Bund das Wohl der Patient*innen wirklich an erster Stelle steht, warum sperrt er sich gegen den Parallelimport von Medikamenten? Und nein, es ist nicht so kompliziert. Wenn man eben die Patient*innen als erste Priorität behandelt.

Dieselbe Frage an die Krankenkassen, die bei diesem Thema mit der Pharmalobby paktieren.

Dass die Pharmaindustrie daran kein Interesse hat, liegt bei den hohen Einkünften auf der Hand.
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