Man fühlt sich alt, wenn man in Jahren zurückrechnet: Bei den nächsten eidgenössischen Abstimmungen im März werden Jugendliche teilnehmen können, die 2003 geboren wurden.
Geht es nach den Befürworterinnen und Befürwortern des Stimmrechtsalters 16, sollen bald noch jüngere Personen in der Schweiz abstimmen dürfen. Die Debatte dazu wurde diese Woche definitiv lanciert: Im Ständerat entschied eine knappe Mehrheit mit 7 zu 6 Stimmen, die Verfassung dazu ändern zu wollen.
Zeit, sich mit dem aktuellen Stimm- und Wahlrechtsalter zu beschäftigen. Dieses lag nämlich nicht immer bei 18 Jahren: Volk und Stände durften in der Geschichte der Eidgenossenschaft mehrmals darüber entscheiden, ab welchem Alter man an die Urne gehen darf.
Machen wir einen kurzen Allgemeinwissen-Test:
Der Applaus im Bild oben gilt all jenen, die den 3. März 1991 angeklickt haben. Das Bild stammt aus demselben Jahr und zeigt ein paar klatschende Bundesräte. Sie tun dies nicht wegen dem Volks-«Ja» zur Senkung des Stimmrechtsalters, sondern weil die Schweiz in diesem Jahr das 700-jährige Bestehen der Eidgenossenschaft feierte.
Die Abstimmung im Jahr 1991 warf alles andere als hohe Wellen, wie sich Politologe Claude Longchamp erinnert. Longchamp, der bekannte Fliegenträger, war damals 33-jährig und engagierte sich im Komitee der SVP für ein «Ja» zur Senkung des Stimmrechtsalters von 20 auf 18.
Richtig gelesen. Die SVP war dafür. Die Partei entschied sich mit 178:9 Stimmen deutlich für eine «Ja»-Parole – und war nicht die einzige Befürworterin. Alle waren dafür, von links bis rechts. Im National- und Ständerat war das «Ja» sogar einstimmig. Entsprechend deutlich war mit 91,6 Prozent auch die Annahme am Abstimmungstag.
Was war da los? Man müsse das im historischen Kontext betrachten, analysiert Longchamp: «Die Gründe für das wuchtige ‹Ja› nahmen ihren Anfang im Jahr 1979.»
In diesem Jahr wollten Volk und Stände nichts von einem tieferen Stimmrechtsalter wissen. Die Vorzeichen standen zwar gut: Das Parlament war dafür, die grösseren Parteien von links bis rechts ebenfalls. Das überzeugendere «Nein» kam damals vom Bundesrat.
Seine Argumente damals zusammengefasst: Die Jugendlichen würden das gar nicht so klar wollen, in den meisten Kantonen herrschte noch das Stimmrechtsalter 20. Zudem gebe es dringendere Anliegen. Ein Leserbriefschreiber schimpfte die Forderung gar als «Ausfluss der politischen Unrast». Seine Empfehlung an die Stimmbevölkerung: «Es gehörte seit jeher zu den schweizerischen Gepflogenheiten, neue Ideen zunächst auf unterer Ebene in die Wirklichkeit umzusetzen.»
Das Resultat sah am 18. Februar 1979 so aus: 50,81 Prozent sagten knapp «Nein».
Nach dem Nein auf Bundesebene, folgte eine regelrechte Senkungslawine in den Kantonen. Nach und nach setzte sich die Position durch, dass 18-Jährige auch abstimmen können sollten.
Auf Bundesebene mussten diese jungen Erwachsenen aber weiterhin warten. «Gleichzeitig entstand eine nicht unbedeutende Opposition in der Bevölkerung: Die grüne Bewegung erstarkte, die Armee wurde zunehmend von 20- bis 30-Jährigen kritisiert», erinnert sich Longchamp.
Für die Politik wurde zunehmend klar, dass man diese jungen Kräfte einbinden muss. «Es gab ein politisches Vakuum, das unberechenbar hätte werden können in den aufgeladenen 80er- und 90er-Jahren. Die Europadebatte stand neben Klima, Armee und gesellschaftlichen Themen auf der Traktandenliste. In dieser Zeit wollte kaum mehr jemand riskieren, dass eine politisierte Jugend erst mit 20 Jahren an die Urne darf», sagt Longchamp weiter.
Mit dem 700-Jahr-Jubiläum der Eidgenossenschaft kam dann der ideale Zeitpunkt. Der Bundesrat verknüpfte im Abstimmungsbüechli die Senkung des Stimmrechtsalters sogar ausdrücklich mit dem «Geburtstag der Schweiz». Die Landesregierung sprach dort von einem «Zeichen für die ungebrochene Lebenskraft und Offenheit der Demokratie».
Von einer solchen Überschwänglichkeit können die heutigen Befürworterinnen und Befürworter der Stimmrechtsalter-Senkung nur träumen. Zwar hat die Ständeratskommission diese Woche – wie bereits erwähnt – beschlossen, eine Verfassungsänderung auszuarbeiten. Doch der Entscheid war mit 7:6 Stimmen knapp und vor allem überraschend.
Angesichts dieses Ergebnisses könnte man vermuten, dass eine Volksabstimmung über das Stimmrechtsalter 16 schlechte Chancen hätte. Die Voraussetzung, die 1991 zum Volks-«Ja» geführt hat, nämlich, dass die meisten Kantone den Weg lokal bereits geebnet hatten, fehlt heute.
Longchamp sieht weitere Gründe, die die Einführung des Stimmrechtsalters 16 erschweren könnten. «Das ‹Nein›-Lager könnte durch die starke Politisierung der Jugend im Rahmen der Klimabewegung gestärkt werden. Gleichzeitig sehe ich aber, dass junge Erwachsene politischer werden und sich mit politischen Fragen beschäftigen, die auf die Jugend zielen.» Longchamp nennt da etwa das Referendum gegen das sogenannte «Anti-Terror-Gesetz», das Kontakt-, Rayon- und Ausreiseverbote auch gegen Kinder erlauben würde.
Seine Prognose? «50:50, ehrlich gesagt», so Longchamp. Entscheidend könnte seiner Analyse nach sein, wer sich aus dem bürgerlichen Lager für das Stimmrechtsalter 16 einsetzen wird. Ein Blick in den Kanton Uri zeigt: Die FDP und CVP stimmten diese Woche mehrheitlich für ein tieferes Alter auf kantonaler Ebene. Dagegen war einzig die SVP.
Aber abstimmen.
Wow.
Covid? Neue Sozialwerke, Altersarmut? Konkurswelle?
Pipifax, jetzt gilt mal wichtiges tun.
Schweiz 2021: setzt wieder mal Prioritäten