Die Schweiz feiert sich am 1. August selber. Doch: Was passierte eigentlich an diesem Datum? Welches war der historische Moment, der uns auch 2024 noch den Schweizer Bundesfeiertag beschert?
Die landläufige Meinung lautet: Es war die Unterzeichnung des Bundesbriefes von 1291. In diesem soll die Gründung der Schweiz beschlossen worden sein. Am 1. August 1291 sollen sich die Urkantone Uri, Schwyz und Unterwalden zum «ewigen Bund» zusammengeschlossen haben. Wilhelm Tell soll dabei die Schweiz zur Freiheit und Unabhängigkeit geführt haben.
Ein Blick in die Geschichtsbücher zeigt jedoch, dass bei der Datumswahl Zufall und Willkür eine grosse Rolle gespielt haben. Die Geschichte der Gründung der Schweiz dient zwar gut als Mythos und als Drama – nur hat sie wenig mit den Fakten zur Gründung der Schweiz zu tun.
Den Bundesbrief 1291 hat es tatsächlich gegeben. Er wurde in lateinischer Sprache verfasst und besiegelte ein Bündnis zwischen den Urkantonen Uri, Schwyz und Unterwalden. Datiert wird der Bundesbrief auf «Anfang August». Bis weit ins 19. Jahrhundert hatte der Bundesbrief historisch gesehen keine grosse Bedeutung.
Wilhelm Tell hingegen kam erst später ins Spiel: Er soll erst um das Jahr 1307 seinen Kampf für die Unabhängigkeit und Freiheit der Urkantone ausgefochten haben. Der Glarner Historiker Aegidius Tschudi († 1572) zumindest datiert den Rütlischwur auf den Abend des 8. Novembers 1307. Heutige Historiker meinen jedoch, dass es Tell gar nicht gab.
Der Bundesbrief von 1315, ebenfalls ein Bündnisvertrag zwischen den Urkantonen, hat historisch gesehen eine grössere Bedeutung als der Bundesbrief von 1291: Er war der erste Bündnisvertrag in deutscher Sprache und beinhaltete erstmals schriftlich den Begriff «Eitgenoze».
Zum Mythos «1. August» beigetragen hat ein weiteres Ereignis, das aber erst viel später stattfand: 1891 wollte die Stadt Bern ihr 700-jähriges Bestehen feiern. Damit die Feier auch gross wird, wollte sie in diesem Jahr auch die Schweiz feiern – in Anlehnung an das mögliche Gründungsjahr 1291.
Da in diesem Jahr auch das Eidgenössische Sängerfest in Bern stattfinden sollte, setzte sich der Berner Bundesrat Karl Schenk in der Landesregierung dafür ein, dass sich die Schweiz 1891 zu ihrem 600-jährigen Bestehen feiere.
Dem Bundesrat gefiel die Idee: Er schickte 1889 eine Botschaft ins Parlament mit der Forderung, am 1. August 1891 eine Bundesfeier abzuhalten. Für den Bundesrat war klar, dass die Schweiz an diesem Tag gegründet wurde. Als Begründung, weshalb man in den letzten Jahrhunderten nie am 1. August gefeiert habe, wurden «widrige Zeitverhältnisse» angegeben.
Näher an der geschichtlichen Wahrheit äusserte sich damals der Ständerat. Er sei sich der Problematik der unterschiedlichen Daten und Jahreszahlen voll bewusst, hiess es damals. Während das Jahr 1891 und damit die Feier näher kam, stritt man sich über den Austragungsort. Nach langem Ringen beschlossen National- und Ständerat, die Feier in Schwyz abzuhalten, da Bern sonst mit den anderen Feiern zur «prunkenden Feststadt» verkommen könnte.
Die Feier am 1. August 1891 war als einmaliges Fest geplant. Der Bundesrat lobte sie in den höchsten Tönen: Überall, wo Schweizer wohnten, habe der Anlass einen «tiefgehenden patriotischen Widerhall» gefunden. Auch die ausländische Presse lobte die Kundgebungen des Schweizertums.
1899 waren es wieder die Berner, die den Mythos um den «1. August 1291» belebten: Sie verschoben ihre Feierlichkeiten zum kantonalen Verfassungstag vom 31. Juli kurzerhand auf den 1. August und regten den Bundesrat an, wieder eine Bundesfeier abzuhalten.
Die Landesregierung willigte ein und verordnete am 1. August in der ganzen Schweiz Glockengeläut und Höhenfeuer. Dies besiegelte die Feierlichkeiten zum 1. August: Ab 1899 gab es an diesem Tag jährlich Feierlichkeiten zur Gründung der Eidgenossenschaft.
Mit dem Ausbruch des 1. und 2. Weltkrieges wurde die Bundesfeier immer mehr zur politischen Veranstaltung, an der insbesondere Bundespräsidenten jeweils zur Bevölkerung sprachen. Im 2. Weltkrieg wurde schliesslich der Mythos um das Gründungsjahr 1291 verstärkt verbreitet, um als «geistige Landesverteidigung» dem Erstarken faschistischer und kommunistischer Kräfte entgegenzusteuern.
Man stützte sich dabei auf ein Werk des Historikers Carl Meyer. Darin «bereinigte» dieser die Gründungsgeschichte der Schweiz: Er verlegte den Rütlischwur kurzerhand auf das Jahr 1291 und gab dem Bundesbrief von 1291 ein grösseres Gewicht als demjenigen von 1315.
Diese Vereinfachung dieses Gründungsmythos half dem Bundesrat und der Schweiz, eine neue Identität für das Land zu schaffen – ganz unter dem Motto: Die Eidgenossen haben ihren eigenen Weg gewählt, unabhängig von den umliegenden Ländern. Ihr Weg ist der von Wilhelm Tell: ein Kampf gegen die «fremden Richter».
In der Nachkriegszeit und im Kalten Krieg, zuletzt bei der EWR-Abstimmung 1992, wurde der «Rütligeist» weitergelebt. Als gesetzlicher Feiertag bestand der 1. August aber noch nicht: Nur wenige Kantone, darunter Zürich, Schaffhausen, Thurgau, Tessin und Genf, definierten den Tag als arbeitsfrei.
Dies änderte sich 1993, als die Initiative «für einen arbeitsfreien Bundesfeiertag» angenommen wurde. Die Volksinitiative, die von den Schweizer Demokraten (SD) lanciert worden war, wurde von einer grossen Mehrheit der Parteien sowie vom Volk mit 83,8 Prozent Ja-Stimmen angenommen. Lediglich die Liberalen wehrten sich gegen die Initiative, sie sahen in der 1.-August-Initiative einen starken Eingriff in den Föderalismus.
Fassen wir zusammen: Das Gründungsdatum der Schweiz ist unklar. Als mögliche Gründungsjahre gelten 1291, 1307 und 1315. Dank den Bernern feiern wir nun den 1. August 1291.
Insbesondere linke Kreise und Kulturschaffende fordern seit Jahren die Einführung eines «neuen Nationalfeiertages». Als Alternativdatum wollen sie den 12. September feiern – den Tag, an dem 1848 die erste Bundesverfassung in Kraft trat.