Das System Pfister: wie er agiert, wer ihn lobt – und wer auf den ersten Fehler wartet
Martin Pfister sei eine ehrliche Haut. Offen für Kritik. Er strahle Ruhe aus. Sei unaufgeregt unterwegs. Nach knapp sechs Monaten erhält der neue Verteidigungsminister Komplimente für sein Auftreten. Doch wie sieht seine Bilanz wirklich aus?
1. Er spricht mit Freund und Feind
Es kommt vor, dass Martin Pfister etwas tut, was kaum ein anderes Bundesratsmitglied macht: Er steht alleine im Vorraum zum Nationalratssaal. Parlamentsmitglieder oder Journalisten können dann unter vier Augen mit ihm sprechen. Bei anderen Bundesräten ist das schwieriger. Sie scharen ihren Stab zum Schutz um sich.
In solchen Momenten beugt der Bundesrat seine 1.90 Meter leicht zum Gegenüber herunter, hört aufmerksam zu, beantwortet geduldig Fragen und erweckt nie den Eindruck, er stehe unter Zeitdruck. Obwohl seine Agenda als Regierungsmitglied dicht ist.
«Er hat echtes Interesse an Menschen», sagt jemand, der Pfister gut kennt. «Und er gibt ihnen grosse Wertschätzung.» Das betrifft auch die Mitarbeitenden im Verteidigungsdepartement VBS. Mit Pfister habe im Bundeshaus Ost eine gewisse Wärme Einzug gehalten, heisst es.
Pfister behandelt SP-Nationalrat und Armee-Kritiker Fabian Molina nicht anders als Armee-Freund Mauro Tuena von der SVP. Pfister sei «sehr zugänglich, offen, zugewandt», sagt Molina. Mitte-Nationalrat Reto Nause, ein Parteikollege Pfisters, betont dessen «seltene Gabe» für einen Politiker: «Er kann zuhören – und tut das auch.»
Politikerinnen und Politiker aus dem Sicherheitsbereich erzählen fast alle von persönlichen Treffen mit Bundesrat Pfister. Von ihr habe er wissen wollen, was sie «über aufkommende neue Kriegsformen» denke, erzählt Mitte-Politikerin Isabelle Chappuis. Sie thematisierte den Weltraum und den kognitiven Krieg, also die Gefahr, dass neue Technologien unsere Gedanken manipulieren. SP-Nationalrätin Priska Seiler Graf, Präsidentin der sicherheitspolitischen Kommission, hat die Erfahrung gemacht, dass Pfister «bei heiklen Informationen» persönlich anruft.
2. Er holt den ärgsten Kritiker ins VBS
Er war erst eine Woche im Amt, als er einen aufsehenerregenden Coup landete. Am 8. April gab Martin Pfister bekannt, dass er ausgerechnet Robert Scheidegger zum stellvertretenden Generalsekretär macht – und zum Leiter der neuen Abteilung «Planung, Controlling, Digitalisierung und Sicherheit». Kaum jemand ausserhalb des VBS kennt die Geschäfte rund um die Armee so gut wie Scheidegger. Für die eidgenössische Finanzkontrolle durchleuchtete er zuvor die Bücher des VBS – und äusserte mehrfach scharfe Kritik.
«Damit traf Martin Pfister einen wichtigen Entscheid für ein gutes Projektmanagement», sagt Nationalrätin Chappuis. Pfister holte auch für sein persönliches Umfeld neue Leute. Interessant ist, dass er sich gleich zweimal bei der Schweizer Mission in der EU in Brüssel bediente: Er holte die Diplomatin Valériane Michel als persönliche Mitarbeiterin und den Diplomaten Lukas Lanzrein als Stabschef des Generalsekretariats. Lanzrein war Rechtsberater der Mission. Das kann man als Hinweis deuten, wie wichtig Pfister die Zusammenarbeit mit der EU in Sicherheitsfragen ist.
Inzwischen hat Pfister mit Benedikt Roos auch den neuen Armeechef ernannt und mit Serge Bavaud den neuen Direktor des Nachrichtendienstes des Bundes. Doch manchen geht der personelle Umbau trotzdem nicht schnell und gründlich genug voran. «Als neuer Bundesrat hat er ein paar Monate Zeit, in den wichtigsten Bereichen seine eigenen Leute zu installieren», sagt SVP-Nationalrat Thomas Hurter. «Das hat er bisher für meinen Geschmack noch zu wenig getan.»
Hurter empfiehlt Pfister ein Motto: «Time to change.» Stattdessen sitze der neue Bundesrat noch «im System Amherd» fest, gerade was IT, Air 2030 und Projektteams angehe. «Es besteht die Gefahr, dass er vor allem Leute und Teams um sich hat, die ihm erklären, was sie alles richtig gemacht haben.»
3. Er löst die Probleme Schritt für Schritt
Die Beschaffung von sechs israelischen Drohnen Hermes 900 ist in der Politik besonders umstritten. Obwohl der Entscheid schon 2015 fiel, hat die Armee erst fünf von sechs Drohnen erhalten und nur zwei sind unbeschränkt flugtauglich. Pfister neigte zuerst zu einer radikalen Lösung: Er bricht die Übung ab. Das bestätigte er am Rande seiner Medienkonferenz im Gespräch.
Doch die Armee konnte Pfister vom Mehrwert der Drohne – herausragende Aufklärung - überzeugen. Er lässt die Beschaffung nun abgespeckt weiterlaufen. «Er hat die Probleme klar erkannt und setzt auf Priorisierung», sagt Mitte-Nationalrätin Chappuis. «Das ist ein strukturierter Ansatz, um die Komplexität zu meistern.»
Priorisierung ist das zentrale Wort. Unter Robert Scheidegger schlägt die Revision im VBS nicht mehr alle Projekte über dieselbe Leiste. Projekte ohne Probleme bleiben unbehelligt. Unter die Lupe genommen werden jene mit Problemen – die roten Projekte.
Noch 2024 hatte das VBS verschiedene rote Projekte. Heute stehen laut Kontrolleur Scheidegger bloss noch drei Projekte auf rot: das israelische Drohnensystem ADS 15, ein Projekt zur Modernisierung der Kommunikationssysteme der Armee (TKA) und das Programm Nepro. Mit ihm sollen die Kernsysteme des Bundesamts für Landestopografie Swisstopo zur Geodaten-Produktion erneuert werden.
Schritt für Schritt arbeitet Pfister an Lösungen. Auch bei zentralen Strategiefragen. Bis Ende Jahr soll die erste sicherheitspolitische Strategie des VBS vorliegen. Sie soll innere und äussere Sicherheitslage vereinen und darlegen, welche Mittel Armee, Nachrichtendienst und Polizei benötigen. Im Zentrum stehen hybride Bedrohungen, Cyberattacken und der Schutz kritischer Infrastrukturen.
4. Er will Transparenz
«Wer ist Schuld am Debakel mit den israelischen Drohnen? Herstellerin Elbit? Oder die Schweiz?» Diese Frage an der Drohnen-Medienkonferenz führte dazu, dass sich Bundesrat Pfister und Armasuisse-Direktor Urs Loher kurz anblickten. Loher antwortete als erster: Die Verantwortung liege bei Elbit. Dann sprach Pfister: Wegen der vielen Helvetisierungen müsse die Schweiz einen Teil der Verantwortung auf sich nehmen.
Damit zeigte Pfister: Transparenz ist für ihn zentral. «Er betreibt eine offensive Informationspolitik und versucht, sehr schnell Transparenz zu schaffen», sagt Nationalrat Nause. «Das ist ein Schlüssel, um das Vertrauen in das VBS wieder aufzubauen.»
5. Er will ein gutes Klima im Bundesrat
Nachdem Martin Pfister am 12. März in die Regierung gewählt worden war, sagten ihm Bundesräte, was sie von ihm erwarteten: Dass er mit ihnen spricht. Das war bei Viola Amherd in der Schlussphase offenbar nicht mehr immer der Fall. Ihr Dauerkonflikt mit Sparministerin Karin Keller-Sutter belastete die Zusammenarbeit des ganzen Gremiums.
Auch Pfister selbst hatte – wohl im Wissen um Amherds Einsamkeit im Bundesrat – ein Anliegen an seine Kolleginnen und Kollegen: Er übernehme das VBS, sagte er. Aber er hoffe auf Unterstützung.
Es gibt einen Beleg dafür, dass sich das Klima in der Regierung mit Pfister deutlich verbessert hat. Bei den Ernennungen von Roos als Armeechef und Bavaud als Geheimdienstchef kam es zu keinen Indiskretionen. Amherd war das nicht vergönnt, als Thomas Süssli und Christian Dussey ihre Rücktritte als Armeechef respektive Geheimdienstchef einreichten. Nachdem die beiden Rücktritts-Papiere in die Bundesverwaltung eingespiesen waren, dauerte es nur 30 Minuten, bis die Neuigkeit den Weg an die Öffentlichkeit fand.
Mit Pfister ist Ruhe ins System eingekehrt. Zu viel Ruhe vielleicht sogar, wie Kenner sagen. Sie haben mit Erstaunen zur Kenntnis genommen, dass vor kurzem eine Bundesratssitzung mit grösseren Geschäften schon nach zwei Stunden beendet war. Und fragen sich: Ist die Harmonie nicht plötzlich zu gross?
6. Er muss sich noch bewähren
Das Lob an Pfister überwiegt derzeit – doch es gibt es auch Kritik. Etwa am Vorgehen. Pfister führe bisher «zu wenig stark», findet SP-Nationalrat Molina. «Gerade beim F-35 und bei den israelischen Drohnen lässt er sich vom VBS-Apparat treiben.»
Aber auch am Inhalt. «Der Lackmus-Test ist der F-35», sagt SP-Nationalrätin Seiler Graf, Präsidentin der Sicherheitskommission. «Wir haben Schwierigkeiten mit den USA», sagt sie. «Es erfüllt mich deshalb mit Unbehagen, ein derart zentrales Rüstungsgeschäft mit den USA zu haben. Die USA sind für uns nicht mehr verlässlich. Dieses Land hat sich vom Rechtsstaat verabschiedet. Das Grundvertrauen fehlt.»
Pfister müsse ernsthaft evaluieren, was Frankreich und Deutschland in Sachen Kampfjets zu bieten hätten, betont sie. Was den F-35 betrifft, sagt Seiler Graf: «Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende.»
Und Nationalrat Nause kommt auf Pfisters Grundproblem zu sprechen. Es hat sich seit Amherds Abgang nicht geändert. «Die Linke will nicht markant aufrüsten, die politische Rechte steckt im Dilemma mit ihrem Neutralitätsbegriff – und die Schuldenbremse ist ein Problem», sagt er. «Zugleich läuft uns die Zeit davon.»
Das zeigt: Martin Pfister hat zwar einen bemerkenswert guten Start hingelegt. Einen Zauberstab besitzt aber auch er nicht. (aargauerzeitung.ch)