Es war ein grünes Wochenende, wieder einmal. Bei der Europawahl gehören die Grünen zu den grossen Siegern. Quer über den Kontinent, in dem in den letzten Tagen das Europäische Parlament neu bestellt wurde, war das so. Und in einem Land besonders: Deutschland. Dort haben die Grünen dermassen zugelegt, dass die schon oft zitierte «grüne Welle» eine ganz neue Dimension erhalten hat. Die Partei erreichte einen Wähleranteil von 20.5 Prozent. Das ist fast doppelt so viel wie bei der letzten Europawahl im Jahr 2014. Sie war hinter der CDU die zweitstärkste Kraft im Land, weit vor der kriselnden SPD, die komplett eingebrochen ist und statt bei 27 nur noch bei knapp 16 Prozent liegt.
Doch was heisst das alles? Was bedeuten die Ergebnisse aus Europa und aus Deutschland im Besonderen für die Schweiz und die eidgenössischen Parlamentswahlen im Herbst?
Zu einer ähnlichen Explosion des Grünen-Wähleranteils wird es in der Schweiz im Herbst nicht kommen. Das sieht selbst Regula Rytz, die Präsidentin der Grünen, so: «Wir bleiben auf dem Teppich.» Das Wahlziel von vier bis fünf zusätzlichen Sitzen im nationalen Parlament werde trotz der europäischen und kantonalen Wahlerfolge nicht heraufgesetzt. «Aber klar geht es auch in der Schweiz um eine Klimawahl», sagt die Berner Nationalrätin.
Auch Politikwissenschafter Lukas Golder, Co-Leiter des Forschungsinstituts gfs.bern, sagt, man könne Deutschland und die Schweiz nicht vergleichen: «Was in Deutschland passiert ist, war ein spezieller Fall.» Er verweist etwa darauf, dass die Europawahl oft den Charakter von Oppositionswahlen hat. Dass die Bürger sie also nutzen, um den regierenden Parteien ihren Unmut kundzutun.
In Deutschland stehen die CDU und vor allem die SPD unter Druck, weil ihre Grosse Koalition keine gute Figur macht – seit Monaten, gar Jahren schon. Dazu kommt, dass die deutschen Grünen ein anderes Profil haben als ihr Schweizer Gegenstück. Sie politisieren weniger weit links, erreichen deshalb auch Bürger aus der politischen Mitte. Und es gibt in Deutschland nur eine Partei, die mit dem Etikett «grün» um Wähler wirbt. In der Schweiz ist das seit der Abspaltung der Grünliberalen von den Grünen im Jahr 2007 anders. Das alles, sagt Golder, verringert das Wachstumspotenzial der Grünen im anstehenden Schweizer Wahlherbst.
Gleichzeitig steht für Golder nach den Europawahlen endgültig fest, dass das Klimathema gekommen ist, um zu bleiben. Grünen-Präsidentin Rytz spricht schon seit Monaten von der Klimawahl, die bald anstehe. Auch für Lukas Golder ist die Klimadebatte kein Hype mehr, sondern «ein relevanter Trend», denn: «Es ist nicht bei jedem Thema so, dass sich Bewegungen wie jene für das Klima in das politische Verhalten übertragen. Hier aber schon», sagt Golder.
Wie sehr das Klima die jüngeren Wähler umtreibt, zeigen Zahlen aus Deutschland eindrücklich. Bei den 18- bis 24-Jährigen erreichten die Grünen 34 Prozent. Sie waren dort die dominierende Partei, und zwar mit Abstand. 88 Prozent ihrer Wähler gaben an, der Umweltschutz habe bei ihrer Wahlentscheidung eine grosse Rolle gespielt.
Von jenen Wählern, die am Wochenende zum ersten Mal an die Urne gingen, erreichten die Grünen mehr als einen Drittel. Das ist auch mit Blick auf die Schweiz ein interessanter Wert. Denn gerade bei den Jungen gibt es hierzulande noch viel Mobilisierungspotenzial. 2015, bei den letzten Wahlen, machten laut der Selects-Studie nur 30 Prozent der 18- bis 24-Jährigen mit, so wenige wie in keiner anderen Altersgruppe. Und sie wählten keine Partei öfter als die SVP, die auf 25 Prozent der Stimmen kam.
Das könnte in diesem Jahr anders aussehen, wobei Lukas Golder auch bei den jungen Wählern keine Verschiebungen erwartet, die nur annähernd an jene in Deutschland herankommen. Im Mobilisierungs-Wettrennen sieht er jene Parteien im Vorteil, die über gut organisierte Jungparteien verfügen. Das sind für ihn die FDP, die SP und die Grünen.
Die Parteien, das zeigt eine Umfrage, glauben sich alle gut gerüstet für das Werben um die Jungen und planen keine grossen Werbe-Offensiven. Sie verweisen etwa auf ihre Social-Media-Aktivitäten. Oder darauf, dass sie sowieso schon offen seien für junge Menschen.