Über die Verfassungsänderung entscheidet das Stimmvolk am 14. Juni. Heute dürfen nur so viele Eizellen im Reagenzglas zu Embryonen entwickelt werden, wie der Frau sofort eingepflanzt werden können. Es sind dies drei. Nur jede sechste befruchtete Eizelle ist aber überlebensfähig.
Mit dem neuen Verfassungstext dürften so viele Embryonen entwickelt werden, wie «für die medizinisch unterstützte Fortpflanzung notwendig sind». In einem Behandlungszyklus könnten bis zu zwölf Eizellen entwickelt und anschliessend auf ihre Überlebensfähigkeit untersucht werden.
Damit würde zum einen die Wahrscheinlichkeit auf eine Schwangerschaft steigen. Zum anderen würde das Risiko einer Mehrlingsschwangerschaft verkleinert, da der Frau künftig ein einziger Embryo übertragen würde.
Die Verfassungsänderung sei zeitgemäss, sagte FDP-Ständerat Felix Gutzwiller (ZH) vor den Medien in Bern. Heute habe die Schweiz eine der restriktivsten Gesetzgebungen. Mit einem Ja zur Verfassungsänderung werde Paaren mit unerfülltem Kinderwunsch eine effizientere und sicherere Behandlung ermöglicht.
Wird die Verfassungsänderung angenommen, ist der Weg frei für die Einführung der Präimplantationsdiagnostik (PID), der Untersuchung des Embryos auf Krankheiten vor der Einpflanzung. Darüber stimmt das Volk am 14. Juni nicht ab: Die PID hat das Parlament in einem Gesetz geregelt, gegen das die Gegner bei einem Ja zum Verfassungsartikel das Referendum ergreifen wollen.
Dennoch ist die PID schon im aktuellen Abstimmungskampf Thema. Die Gegner des Verfassungsartikels führen Argumente ins Feld, die sich gegen das Gesetz richten. Auch im Ja-Komitee, dem Vertreterinnen und Vertreter aller grossen Parteien angehören, gibt es kritische Stimmen. Ihr gehe das Gesetz zu weit, sagte SP-Ständerätin Pascale Bruderer (AG). Im Grundsatz befürworte sie jedoch die Präimplantationsdiagnostik, daher brauche es ein Ja zum Verfassungsartikel.
Heute ist die PID in der Schweiz verboten, doch kann das Verbot umgangen werden. Nach der Einpflanzung des Embryos in den Mutterleib dürfen die Tests nämlich durchgeführt werden. Ist das Kind von einer schweren Erbkrankheit betroffen, entscheiden sich viele Paare für einen Schwangerschaftsabbruch. Andere gehen ins Ausland, weil die PID dort erlaubt ist.
Sie halte beide Umwege für unbefriedigend, sagte Bruderer. Sinnvoller sei es, die PID in restriktiver Form zuzulassen. Auch SVP-Nationalrätin Céline Amaudruz (GE) befand, die Präimplantationsdiagnostik sei sinnvoller als eine «Schwangerschaft auf Probe».
Das Ziel sei es, die gleichen Tests, die heute während der Schwangerschaft erlaubt seien, auch vor der Übertragung in die Gebärmutter zuzulassen, erklärte CVP-Nationalrätin Ruth Humbel (AG). «Es leuchtet nicht ein, warum dieselben Tests, die in der 11. Schwangerschaftswoche zugelassen sind, am Tag 5 verboten sein sollten.»
Humbel betonte ausserdem, dass die Tests freiwillig seien. Jedes Paar müsse für sich selbst entscheiden, ob es sie durchführen lasse - und ob es ein behindertes Kind grossziehen wolle oder nicht. Die Verfassungsänderung stärke die Eigenverantwortung der Eltern.
Das Argument der Gegner, dass die grundsätzliche Zulassung der Präimplantationsdiagnostik am Ende zu einer «Menschenauslese» führen könnte, weisen die Befürworter zurück. Die Ängste seien unbegründet, sagte GLP-Nationalrat Thomas Weibel (ZH). Im europäischen Ausland liessen sich keine Indizien dafür finden.
Die gesetzlichen Regeln zur PID waren im Parlament umstritten gewesen. Der Bundesrat wollte die Untersuchungen lediglich für jene Paare zulassen, die bekanntermassen Träger schwerer Erbkrankheiten sind. Das Parlament entschied jedoch, dass alle Paare die Embryos vor der Einpflanzung auf Erbkrankheiten sowie Chromosomenanomalien untersuchen lassen dürfen.
Die Befürworter des Verfassungsartikels stellen diese Diskussion nicht in den Vordergrund. Gutzwiller räumte jedoch ein, dass sich der Verfassungsartikel und das Gesetz nicht ganz trennen liessen. Für die Kampagne hat das Ja-Komitee nach eigenen Angaben ein eher bescheidenes Budget zur Verfügung. Gutzwiller rechnet mit 250'000 bis 300'000 Franken. (viw/sda)