Schweiz
Gesellschaft & Politik

Studie bestätigt strukturellen Rassismus in der Schweiz: Kristina* erzählt

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Institutionell-strukturelle Diskriminierung ist in der Schweiz laut einer Expertin kein Randphänomen. (Symbolbild)Bild: Shutterstock

Kristina* erlebt immer wieder Rassismus in der Schweiz – und ist damit nicht alleine

Eine Studie zeigt, dass Diskriminierung in der Schweiz weit verbreitet ist. So werden gewisse Personengruppen bei der Job- oder Wohnungssuche benachteiligt. watson hat mit einer Betroffenen und mit einer der Studienautorinnen gesprochen.
16.02.2023, 05:2516.02.2023, 13:07
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Kristina* wurde in der Schweiz geboren, ging hier ihr ganzes Leben lang in die Schule, hat einen Abschluss einer Schweizer Universität und besitzt den roten Pass. Ihre Eltern sind aber während des Jugoslawienkriegs in die Schweiz eingewandert.

Weil Kristina sich als Schweizerin sieht und die Werte des Landes schätzt, machte sie ein Praktikum auf einer Schweizer Botschaft.

Während diesem musste sie eine unschöne Erfahrung machen:

«Als ich an einem Apéro mit einem älteren Schweizer Pärchen ins Gespräch kam, fühlte ich mich vor den Kopf gestossen. Ich stellte mich ihnen mit meinem vollen Namen vor. Die Frau erwiderte dann: ‹Das ist aber kein Schweizer Name.› Ich erwiderte: ‹Ja, das stimmt, meine Eltern sind aus Ex-Jugoslawien.› Die Frau war perplex und fragte mich, weshalb ich dann für die Schweizer Botschaft arbeiten würde. Ich sagte ihr: ‹Weil ich Schweizerin bin.›»
Kristina

Die Reaktion der älteren Frau habe sie aber gar nicht so sehr überrascht, erzählt Kristina, denn sie werde seit ihrer Kindheit mit solchen rassistischen Aussagen konfrontiert. Während ihrer Schulzeit gehörten Sätze wie «Wenn du dich so verhältst, dann bestätigst du die Stereotypen, die man von euch hat», zum Standard.

Studie bestätigt strukturellen Rassismus in der Schweiz

Eine Studie der Universität Neuchâtel bestätigt nun, dass Kristina mit ihren Erfahrungen nicht alleine ist. «Institutionell-strukturelle Diskriminierung ist in der Schweiz kein Randphänomen – im Gegenteil, sie ist tief verwurzelt in der Schweiz», sagt Denise Efionayi-Mäder, die im Auftrag der Fachstelle für Rassismusbekämpfung (FRB) an der Studie mitgearbeitet hat, gegenüber watson.

Dem Wissenschaftsteam von Leonie Mugglin, Didier Ruedin, Gianni D’Amato und Efionayi-Mäder ist zudem aufgefallen, dass es zu den Themen Rassismus und Diskriminierung in der Schweiz relativ wenig Forschung gibt: «Es ist ein reales und weitreichendes Problem, aber dennoch wird es unter den Teppich gekehrt – auch in der Forschung.»

Die Universität Neuchâtel hat die Reaktionen von Personalverantwortlichen auf fiktive Bewerbungen verglichen. Dafür wurden verschiedene Bewerbungen mit identischem Lebenslauf, aber unterschiedlichen Namen und Bewerbungsfotos versendet. Folgende Feststellungen wurden gemacht:

«Betreffend Arbeitsmarkt belegen methodisch umfassend abgestützte Studien rassistische Diskriminierung. So ist es bei gleicher Qualifikation je nach Herkunft, vor allem für Personen aus Südosteuropa und Schwarze Menschen, schwieriger eine Stelle zu finden. [...] So wird klar, dass etwa Personen mit jugoslawischem Namen bei gleichwertiger Kandidatur [wie eine Person mit einem Schweizer Namen] weniger häufig an ein Bewerbungsgespräch eingeladen werden.»
Schweizerisches Forum für Migrations- und Bevölkerungsstudien (SFM) der Universität Neuchâtel.

Gemäss Efionayi-Mäder geht die rassistische Diskriminierung weiter über den Arbeitsmarkt hinaus: «Die Diskriminierung ist weitreichend. Auch die Bereiche Behörden und Einbürgerung, Politik sowie teilweise soziale Sicherung und Polizei und Justiz sind betroffen.»

Menschen mit gewissen ausländischen Nachnamen müssen laut Studie durchschnittlich mehr Bewerbungen schreiben als Personen mit typischen Schweizer Namen. (Symbolbild)
Menschen mit gewissen ausländischen Nachnamen müssen laut Studie durchschnittlich mehr Bewerbungen schreiben als Personen mit typischen Schweizer Namen. (Symbolbild)Bild: Shutterstock

Efionayi-Mäder erklärt watson im Gespräch, dass viele Menschen gewisse Personengruppen diskriminieren würden, ohne das überhaupt zu merken: «Das macht die ganze Problematik noch komplexer. Viele Leute, die beispielsweise Wohnungen vermieten oder in der Personalabteilung eines Unternehmens arbeiten, diskriminieren gewisse Menschen nicht unbedingt absichtlich. Sie legen die Bewerbungen beispielsweise einfach schneller weg und senden eine Absage. Würde man sie konfrontieren, würden sie sich wohl gegen solche Vorwürfe wehren.»

Wie kann man dieser tief verwurzelten rassistischen Diskriminierung entgegenwirken? Efionayi-Mäder sagt: «Wichtig ist schon mal, dass man über das Thema spricht. Betroffene sollten es offen ansprechen können, wenn ihnen so etwas widerfährt. So kann man die Menschen aufklären. Die Personen, die sich diskriminierend verhalten, müssen dann aber auch zuhören und gewillt sein, ihre eigenen Muster zu verändern.»

Als Kristina* einfach vom Tisch aufstand

Für Kristina sind Aussagen, wie sie auf der Botschaft gemacht wurden, verletzend, denn «echte» Schweizer müssten sich nie solche Dinge anhören. Sie fügt an: «Die Messlatten sind unterschiedlich. Als ‹Ausländerin› muss man immer 200 Prozent geben, als ‹Schweizerin› nicht. Meine Eltern haben mich gut erzogen und ich war immer eine engagierte Schülerin. Aber das hat damals scheinbar nie wirklich gereicht. Heute weiss ich es besser, denn mittlerweile habe ich einen Universitätsabschluss, so schlimm kann ich also nicht gewesen sein.»

Als Kristina mit einer Schweizer Familie in den Ferien beim Abendessen war, machte die Familie fortlaufend Witze über verschiedene Nationalitäten: «Einmal war der Pole der Dumme, einmal der Italiener. Als dann der ‹Jugo› zur Zielscheibe wurde, bin ich aufgestanden und gegangen. Das muss ich mir doch nicht geben. Die Menschen sagen solche Dinge, denken, sie seien keine Rassisten, und verstehen gar nicht, dass das verletzend ist für uns.»

*Name von der Redaktion geändert.

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723 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Thomas Meister
16.02.2023 06:23registriert April 2019
Man sollte schon aufpassen. Ich habe viele Kollegen aus dem Balkan, die meisten hier geboren. Trotzdem ist ihr das Herkunftsland wichtiger als die Schweiz. Ja sie leben auch die Traditionen aus ihrem Herkunftsland weiter und sammeln sich am liebsten unter sich. Ich erfahre dadurch immer wieder Diskriminierung im eigenen Land. Aber darüber redet man nicht gerne. Man zeigt lieber die andere Seite, den bösen Schweizer.
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In per tuts, tuts per in
16.02.2023 05:57registriert Juli 2020
In manchen Firmen bekommt man auch als weisshäutige Schweizer ü40 keinen Job, weil man den Diversity-Vorgaben nicht entspricht…
Die ganzen Schubladisierungen sind generell schlimm (nicht, dass ich damit Rassissmus kleinreden möchte).
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Kollani
16.02.2023 06:03registriert Januar 2017
Auch hier wäre es wichtig, die Dinge beim Namen nennen zu dürfen. Ja, solche Erfahrungen habe ich auch gemacht und mein Umfeld auch. Zum Glück ist es nicht tagtäglich der Fall, aber hin und wieder merkt man einfach, dass man nicht dazu gehört (und das tut immer noch weh). Ich hoffe aber, dass das irgendwann kein Thema sein wird und auch die „Papierlischweizer“, mit anders klingenden Namen und einer anderen Zweitsprache, als echte Schweizer angesehen werden, was immer das auch sein mag.
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