Schweiz
Gesellschaft & Politik

Nationalrat: Drei Neulinge erzählen, wie ihre ersten 100 Tage waren

Farah Rumy, Patrick Hässig, Katja Riem
Drei neue Nationalräte: Farah Rumy, Patrick Hässig und Katja Riem. Bild: keystone

100 Tage im Amt: «Bürgerliche Mehrheit ist ernüchternd» – 3 Neo-Nationalräte packen aus

Katja Riem, Farah Rumy und Patrick Hässig fallen auf im Nationalrat. Die drei Neugewählten erzählen, wie sie ihre ersten Schritte im Parlament getätigt haben.
12.03.2024, 11:1813.03.2024, 13:03
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Seit den eidgenössischen Erneuerungswahlen im Oktober sitzen knapp 50 Neugewählte im Nationalrat, die sich in die Aufgabe einfühlen mussten. Am heutigen Dienstag haben sie nun ihre ersten 100 Tage im Amt hinter sich.

watson wollte von drei Neo-Nationalrätinnen und -Nationalräten wissen, welche Höhen und Tiefen sie erlebt haben, was sie in dieser kurzen Zeit bewirken konnten und welche Pläne sie noch haben.

Katja Riem, SVP

«Wir müssen von diesem Akademisierungsweg abkommen.»
Katja Riem

Die 27-jährige Katja Riem ist eine von acht Nationalräten für die SVP Bern. Ihr wurden mit dem Listenplatz 19 wenig Wahlchancen zugerechnet, doch überraschend überholte sie viele Parteimitglieder und schaffte die Wahl.

Die juengste gewaehlte Nationalraetin Katja Riem, SVP-BE, spricht waehrend der ersten Sitzung zu Beginn der 52. Legislatur am ersten Tag der Wintersession der Eidgenoessischen Raete, am Montag, 4. Dez ...
Jüngste Nationalrätin: Katja Riem. Bild: keystone

Während für die Neugewählten in der ersten Session die ungeschriebene Regel gilt, mehr zu beobachten, als zu sprechen, wurde für Riem eine Ausnahme gemacht: Als jüngste Parlamentarierin durfte sie eine Rede halten. Wie sie zu watson sagt, war ihr erster Eindruck «surreal».

«Am Anfang wusste ich nicht, wie alles abläuft. Doch nun, in der zweiten Session, wird es langsam greifbarer und ich merke, welche Fäden ich ziehen kann», sagt Riem.

Der Politikbetrieb ist für sie nicht neu: Sie arbeitet zwar hauptsächlich als Winzerin im elterlichen Betrieb, doch politisierte sie schon vor dem Nationalrat im Grossen Rat ihres Heimkantons. Riem gilt im Parlament als Stimme für die Bauern: denn die ausgebildete Bäuerin und studierte Agronomin ist für den Schweizerischen Bauernverband tätig.

Es verwundert wenig, dass sie auf die Frage, was sie bereits bewirken konnte, sagt: «Gerade die Bauernproteste der vergangenen Wochen habe ich mir zu Herzen genommen, um die Anliegen der Bauernbasis im Parlament einzubringen.» Riem hat in der Frühlingssession eine Motion eingereicht, die verlangt, in der Agrarpolitik 2030 die Werte der Bauern mehr zu berücksichtigen. Konkret seien dies weniger administrativer Aufwand und bessere Produzentenpreise. Sie scheut sich nicht, auch gegen die Grossverteiler im Land zu schiessen: «Coop und Migros haben einen Teuerungsausgleich gemacht, aber die Bauern haben davon nichts gespürt.»

Die Berner SVP-Grossraete Katja Riem, rechts, und Hans Joerg Ruegsegger kandidieren mit Wahlplakaten fuer den Nationalrat, am Sonntag, 11. September 2023, in Emdtal im Kandertal. Am 22. Oktober dieses ...
Eine von acht Berner SVP-Mitgliedern in der grossen Kammer: Katja Riem. Bild: KEYSTONE

Katja Riem kämpft an allen Fronten für die Sache der Bauern. Als die wichtigste Abstimmung in diesem Jahr nennt sie die Biodiversitätsinitiative, die im Herbst an die Urne kommt. «Die Anliegen der Initiative wirken auf die Bauern sehr übertrieben, die müssen wir dringend ablehnen», sagt sie. In ihrer ersten Legislatur möchte sich Riem als Mitglied der Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur aber auch für eine «stärkere Berufsbildung» einsetzen. Sie sagt: «Wir müssen von diesem Akademisierungsweg abkommen.»

Patrick Hässig, GLP

«Ich werde schon noch die eine oder andere Rakete zünden.»
Patrick Hässig

Wer Patrick Hässig nicht kennt, der hat vielleicht seine Stimme trotzdem schon gehört: Der Neo-Nationalrat der Zürcher GLP arbeitete früher als Radiomoderator, war aber auch im Zürcher Gemeinderat und Kantonsrat. Er liess sich nach vielen Jahren beim Radio aber umschulen zum diplomierten Pflegefachmann. Seinen Einzug in die grosse Kammer verpasste der Zürcher am Wahlsonntag am 23. Oktober knapp, aber dank der Wahl von Tiana Moser in den Ständerat konnte er ihren Platz im Nationalrat übernehmen.

Der wortgewandte 45-jährige Politiker sagt zu watson, es sei «gewaltig», nun Teil des Parlaments zu sein. Besonders die Bundesratswahl vom Dezember habe einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Er sei aber damit beschäftigt, «z’lose, luege, und erst dann laufe», weshalb er sich noch nicht so sehr eingebracht habe in den ersten 100 Tagen im Amt. Hässig, der sich primär als Vertreter der Pflegebranche sieht, konnte schon erste Akzente in diesem Bereich setzen. So hat er eine Interpellation an den Bundesrat eingereicht zur Umsetzung der Pflegeinitiative. Der GLP-Nationalrat verspricht euphorisch: «Ich werde schon noch die eine oder andere Rakete zünden.»

Patrick Haessig, GLP-ZH, spricht waehrend der Debatte um das Stimm- und Wahlrecht fuer 16-Jaehrige waehrend der Fruehlingssession der Eidgenoessischen Raete, am Mittwoch, 28. Februar 2024, im National ...
Für die GLP Zürich im Nationalrat: Patrick Hässig.Bild: KEYSTONE

Doch auch Ernüchterungen gehören zum Alltag eines Politikers. Als in dieser Frühlingssession viele bürgerliche Parlamentarier gegen ein Verbot von Konversionstherapien stimmten, habe ihn das enttäuscht. «Ich frage mich manchmal, wie im Jahr 2024 noch so viele der Meinung sein können, dass man die sexuelle Orientierung umpolen kann. Das hat mich erstaunt und auch etwas beelendet», sagt Hässig, der selbst mit einem Mann verheiratet ist.

Hässig erachtet es als wichtig, dass er durch seine Arbeit manchmal etwas Abstand vom Politbetrieb gewinnen kann. Zu 30 Prozent arbeitet er nach wie vor als Pflegefachmann im Kindernotfall in einem Spital. «Ich übe meinen Job sehr gerne aus und brauche auch den Kontakt zu Menschen, die nicht im Parlament sitzen. Während der Arbeit kommen mir oft auch neue Ideen für Vorstösse.»

Farah Rumy, SP

«Ich will eine starke Stimme sein für Menschen mit Migrationshintergrund.»
Farah Rumy

Auch Farah Rumy ist in der Pflege zu Hause. Sie sitzt im Nationalrat, dank der Wahl von Franziska Roth in den Ständerat. Die 32-jährige Solothurnerin verkörpert eine neue Generation von Parlamentariern: Sie ist die erste Politikerin mit sri-lankischen Wurzeln, die in den Nationalrat gewählt wurde.

Farah Rumy, gewaehlte Nationalraetin, posiert nach dem 2. Wahlgang zu den Staenderatswahlen des Kantons Solothurn, am Sonntag, 19. November 2023, vor dem Rathaus, in Solothurn. Sie nimmt den Platz von ...
Für die SP Solothurn im Nationalrat: Farah Rumy. Bild: keystone

Rumy ist eine Macherin, sie reichte bereits in ihrer ersten Session zwei Vorstösse zum Gesundheitswesen ein. Ihr Highlight in den ersten 100 Tagen im Amt war aber die Annahme der 13. AHV-Rente. «Das war ein unglaublich tolles Gefühl und motiviert mich, mich in den nächsten vier Jahren für soziale Themen einzusetzen», sagt Rumy, die als stellvertretende Berufsschullehrerin arbeitet. Manchmal sei es nämlich «ernüchternd, in einem Parlament mit einer bürgerlichen Mehrheit» zu politisieren.

Ihr Herzensthema ist als gelernte Pflegefachfrau die Gesundheitspolitik: «Wir haben einen Pflegenotstand, jeden Monat verlassen 300 Pflegende den Beruf. Es ist wichtig, dass wir noch in dieser Legislatur die Pflegeinitiative umsetzen.» Als Mitglied der aussenpolitischen Kommission des Nationalrats interessiert sie sich auch für die geopolitische Lage.

Die Herausforderung bestehe insbesondere darin, mit der «humanitären Katastrophe in Gaza» umzugehen, für die die Schweiz eine «klare Haltung» einnehmen müsse. Aber auch der Ukraine-Krieg beschäftigt sie. «Es braucht dringend einen zusätzlichen Wiederaufbaufonds für das Land, möglicherweise finanziert durch eingefrorene Gelder von Oligarchen», sagt Rumy. Dabei unterstreicht sie, dass diese Mittel keinesfalls aus dem Fonds für internationale Zusammenarbeit (IZA) abgezogen werden dürfen, da dies zu Lasten der ärmsten Länder der Welt gehen würde.

Franziska Roth, SP-SO, gewaehlte Staenderaetin, rechts, freut sich mit Farah Rumy, gewaehlte Nationalraetin, links, ueber seine Wiederwahl nach dem 2. Wahlgang zu den Staenderatswahlen des Kantons Sol ...
Doppelte Freude: Dank Franziska Roths Wahl in den Ständerat zügelte Farah Rumy in den Nationalrat nach. Bild: keystone

Die SP-Politikerin kommt richtig in Fahrt, wenn sie von ihren Zielen spricht. «Ich werde mich dieses Jahr stark engagieren bei der Prämien-Entlastungs-Initiative der SP, die im Juni zur Abstimmung kommt, und bei der BVG-Reform.» Für sie sei das Top-Thema in dieser Legislatur, die Kaufkraft der Menschen und die Familienvereinbarkeit zu stärken. Und: «Ich will eine starke Stimme sein für Menschen mit Migrationshintergrund. Es erfüllt mich mit Freude, wenn Menschen auf mich zukommen und sagen, dass sie aufgrund meines Engagements ermutigt werden, sich einzubürgern und in der Politik einzubringen.» (kma)

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99 Kommentare
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El_Chorche
12.03.2024 11:25registriert März 2021
"Riem gilt im Parlament als Stimme für die Bauern: denn die ausgebildete Bäuerin und studierte Agronomin ist für den Schweizerischen Bauernverband tätig."

Wäre interessanter zu wissen, wer von der SVP ausnahmsweise NICHT für den Bauernverband politisiert.
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Tokyo
12.03.2024 11:49registriert Juni 2021
sollte die Winzerin nicht wissen, dass Biodiversität wichtig ist, weil sie sonst irgendwann ihren Wein vergessen kann...?
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Stammtischler
12.03.2024 11:46registriert Oktober 2023
Das Problem ist, das jeder der Haareschneiden will eine Ausbildung mit Prüfung braucht, ein Parlamentarier brauch keine Qualifikation!
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