Schweiz
Pflegeinitiative

Vom Moderator zum Pfleger: Das neue Sendungsbewusstsein des Patrick Hässig

Rhetorisch gewandt: Der 42-jährige Pflegefachmann Patrick Hässig.
Rhetorisch gewandt: Der 42-jährige Pflegefachmann Patrick Hässig.bild: ch media

Vom Radiomoderator zum Pfleger: Das neue Sendungsbewusstsein des Patrick Hässig

Patrick Hässig ist vielen als ehemaligen Radio- und Fernsehmoderator bekannt. Seit einigen Jahren ist er als Pflegefachmann tätig. «Wir können nicht mehr länger zuschauen», begründet er sein Engagement für die Pflegeinitiative.
30.10.2021, 17:5530.10.2021, 17:55
Chiara Stäheli / ch media
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Patrick Hässig wurde innert kürzester Zeit zum Aushängeschild der Pflegeinitiative. Spätestens seit seinen Auftritten in der «Arena» von SRF und «TalkTäglich» von TeleZüri ist Patrick Hässig, 42, landesweit bekannt. Nicht nur als ehemaliger Radiomoderator, sondern auch als engagierter Pflegefachmann, der den Notstand in der Pflege öffentlich beim Namen nennt und sich für die Pflegeinitiative einsetzt.

Das alles macht er aus privater Warte, er wird weder vom Initiativkomitee noch von einer Interessengruppe bezahlt. Bei einem Kaffee in Zürich erzählt der Pflegefachmann von der Quelle seines Antriebs: «Ich spüre die Ohnmacht der Pflegenden. Sie sind dem System ausgeliefert, übernehmen Zusatzschichten, machen Überstunden und müssen mit den vorhandenen Ressourcen eine möglichst gute Patientenbetreuung vollbringen», sagt Hässig. Da bleibe oft weder die Kraft noch die Zeit, sich politisch zu engagieren. Doch: «Wir können nicht mehr länger zuschauen.»

Sein Team steht hinter ihm

An dieser Stelle setzt das Engagement von Hässig an: Er plädiert dafür, dass die Anliegen, Sorgen und Schwierigkeiten, denen in der Pflege tätige Personen tagtäglich begegnen, ernst genommen und Verbesserungen angegangen werden. «Eigentlich wollte ich gar nicht so viel Aufmerksamkeit. Aber jetzt, wo ich sehe, wie viel Dankbarkeit und Unterstützung ich von Arbeitskolleginnen und Privatpersonen erhalte, merke ich, dass es sich lohnt», sagt Hässig. Er spüre vor allem von seinem Team einen enormen Rückhalt, der ihn antreibe, weiterzumachen. Im Gespräch betont er mehrmals:

«Ich tue das hier alles nicht für mich, ich mache das für all die Patientinnen und Patienten, die eine gute, sichere Pflege verdient haben.»

Hässig arbeitet seit vier Jahren im Stadtspital Zürich Waid, mit 38 Jahren begann er die Ausbildung zum diplomierten Pflegefachmann, die er vor rund einem Jahr abschloss. Doch warum wechselte Hässig inmitten seiner Radiokarriere den Beruf? «Der Anstoss für den Wechsel bildete mein Zivildienst, den ich 2012 in einem Spital absolvierte.» Dort habe er festgestellt, dass er den Kontakt zu Menschen in seiner Tätigkeit als Radiomoderator vermisst hat. Er habe sich lange überlegt, ob er noch einmal eine Ausbildung – mit einem deutlich tieferen Einkommen – machen soll.

«Man sagt ja immer, man soll dann aufhören, wenn es am schönsten ist. Genau das habe ich gemacht.»

Bereut habe er seinen Entscheid keine Sekunde.

Vor dem Wechsel in die Pflege war Hässig nach seiner KV-Lehre bei einer Versicherung als Radiomoderator bei verschiedenen Sendern und als Fernsehmoderator einer Quizshow beim Schweizer Fernsehen tätig. Noch heute arbeitet er als Freelancer für das Privatradio Energy. Nebst seinem 70-Prozent-Pensum als Pflegefachmann unterrichtet er Trommelschüler und leitet einen Tambourenverein in der Stadt Zürich. Es scheint, als hätte dieser Mann viele Talente.

Patrick Hässig 2007 an der DRS-3-Hitparaden-Party in Zürich. Er war jahrelang als Radiomoderator tätig.
Patrick Hässig 2007 an der DRS-3-Hitparaden-Party in Zürich. Er war jahrelang als Radiomoderator tätig.bild: ch media

Verlust von erfahrenen Pflegenden ist «fatal»

Hässig ist wortgewandt, auftrittsgeprobt und sich im Klaren darüber, was Geschichten bei Personen auslösen können. Hässig ist aber auch empathisch, bodenständig und reflektiert. Er wählt seine Worte mit Bedacht, interessiert sich für sein Gegenüber und gibt zu, dass er in seiner Funktion als Pflegefachmann erst am Anfang der beruflichen Erfahrungsleiter stehe: «Wenn ich sehe, wie die langjährigen Pflegefachpersonen im Spital arbeiten, bin ich beeindruckt. Sie bringen so viel Erfahrung aus ihrem Leben mit. Kein Studium kommt annähernd an diesen Wissensstand heran.»

Solche Personen zu verlieren, weil die Arbeitsbedingungen der hohen Verantwortung der Pflegenden keine Rechnung tragen würden, sei «fatal», so Hässig. Es könne so nicht mehr weitergehen. «Wenn zu wenig Personal verfügbar ist, leidet darunter die Betreuungsqualität. Es kommt viel eher zu Fehlern», erläutert der in Zürich wohnhafte Pflegefachmann. Solche beobachte er zum Beispiel bei der Mobilisation von Patienten. Immer wieder komme es vor, dass er eine bettlägerige Person alleine aus dem Bett aufnehmen müsse, da niemand da sei, der ihm helfen könne. Und die Zeit, in der er sich mit den Patienten austauschen könne, sei ebenfalls rar. Hässig ist davon überzeugt, dass die Pflegeinitiative diesem Umstand Abhilfe verschaffen würde:

«Im Gegensatz zum indirekten Gegenvorschlag beinhaltet die Initiative auch Forderungen bezüglich der Arbeitsbedingungen.»

Vier von zehn Pflegenden verlassen den Job vorzeitig

Bürgerliche hingegen kritisieren genau diesen Passus. FDP und SVP sowie Teile der Mitte – und der Bundesrat – unterstützen den indirekten Gegenvorschlag, der eine Ausbildungsoffensive sowie die Möglichkeit der direkten Leistungsabrechnung für Pflegefachpersonen vorsieht. Für Hässig und viele seiner Berufskolleginnen geht der Gegenvorschlag aber zu wenig weit: «Das Kernproblem ist, dass viele Pflegende ihren Beruf bereits nach wenigen Jahren wieder verlassen. Das wird mit dem Gegenvorschlag nicht gelöst.»

Tatsächlich steigen gemäss einer Studie des Schweizerischen Gesundheitsobservatoriums Obsan über 40 Prozent der ausgebildeten Pflegefachpersonen und Fachpersonen Gesundheit vorzeitig aus dem Beruf aus. «Da reicht eine Ausbildungsoffensive nicht. Wir müssen das Ziel haben, die Leute im Beruf zu halten», sagt Hässig. Dass der frühzeitige Berufsausstieg durch die aktuellen Arbeitsbedingungen eher gefördert als verhindert werde, sei augenscheinlich.

Auch Hässig selbst hat schon etliche frustrierende Momente im Berufsalltag erlebt, wie er sagt:

«Wenn ich sehe, wie oft ich meinen Anspruch nach einer qualitativ guten Pflege nicht erfüllen kann, macht mich das auch mal wütend.»

Er und seine Teamkolleginnen werden in der Freizeit regelmässig von ihrem Arbeitgeber angefragt, ob sie Schichten von ausgefallenen Mitarbeitern übernehmen könnten.

Betreuung der Patienten wird anspruchsvoller

Aktuell sind in der Schweiz rund 11'000 Stellen in der Pflege unbesetzt. Der Personalmangel könnte sich in den nächsten Jahren weiter verschärfen. Insbesondere auch, weil «das Patientengut immer anspruchsvoller» werde, wie es Hässig ausdrückt. «Die Leute werden immer älter, sie haben andere Bedürfnisse als junge Patienten. Dafür brauchen wir entsprechend ausgebildetes, zusätzliches Personal.»

Die Gegner der Initiative betonen im Abstimmungskampf stets, dass der Gegenvorschlag rasch umgesetzt werden könne – im Gegensatz zur Initiative, bei welcher der parlamentarische Prozess erst noch durchlaufen werden müsse. Dieses Argument lässt Hässig so nicht stehen: «Der Gegenvorschlag ist nicht schneller. Die konkrete Ausarbeitung der Initiative ist zwar eine Herausforderung, aber eine machbare.» Sollte es zu einer Annahme der Initiative kommen, setze er sich persönlich dafür ein, dass die Bestimmungen alsbald möglich in Kraft treten würden. Diese Aussage bestätigt einmal mehr: Wenn Hässig etwas anpackt, dann lässt er es so schnell nicht wieder los.

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14 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Ploderi
30.10.2021 19:11registriert Februar 2016
Gut hat das Initiativkomitee einen wie ihn.

Wir hören doch alle aus dem Freundes- u Bekanntenkreis seit langem dasselbe: zu viel, zu wenig Zeit, zu belastend.

Ein JA Ende November zur Initiative!
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Clife
31.10.2021 01:38registriert Juni 2018
Die Berufe, welche am wichtigsten (und entsprechend auch nicht wegzudenken) sind, werden unterbezahlt. Pflege, Müllabfuhrpersonen, Forstwärter, Bestatter, Polizist, Erzieher/Lehrer, gewissermassen Mechatroniker. Was haben wir in Relation? Irgendwelche Bankangestellte, Finanzhaie, Versicherungstypen etc. etc. die nicht nur überbezahlt werden sondern gar die Menschen ausbeuten. Hier läuft definitiv etwas schief. Die Berufe, welche eine sinnvolle Tätigkeit beschreiben werden quasi geächtet. Lediglich Ärzte und Informatiker nicht, aber nayah…
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Hadock50
30.10.2021 22:23registriert Juli 2020
Der Gegenvorschlag ist wie so oft einfach nur Müll und löst die Problem nicht- liebe FDP/ SVP !
Daher ganz klar JA zur Pflegeinitiative !
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